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TECHNIK Wertvolle Winde

Bonn erprobt ein Comeback der Windmühlen -- als umweltfreundliche Stromerzeuger. Eine erste »Großanlage« soll dieses Jahr gebaut werden.
aus DER SPIEGEL 2/1979

Eigentlich hatten sie schon ausgedient: Nur gelegentlich mahlt noch ein knappes Dutzend Mühlen im platten Schleswig-Holstein mit Wind das Korn.

Die übrigen sind verfallen oder von Liebhabern in Museen, Kneipen oder Wohnungen umgewandelt. Denn mit den elektrifizierten Großbetrieben konnten die Wahrzeichen der guten alten Zeit nicht konkurrieren.

Jetzt bahnt sich ein Comeback der Windmühlen an -- nicht als Mahl-, sondern als Kraftwerke: Auf der Suche nach alternativen, umweltfreundlichen Energiequellen will das Bonner Forschungsministerium mit der 3000-Kilowatt-Superwindmühle »Growian« die Nutzungsmöglichkeiten des Windes ermitteln. Noch 1979, so teilte das Ministerium zum Jahresauftakt mit, werde in Brunsbüttel mit dem Bau der »Großwindanlage« begonnen.

Gleichzeitig sollen fünf kleinere Windenergieanlagen von etwa zehn Kilowatt Leistung nördlich der Elbe getestet werden. Und eine mittlere 270-Kilowatt-Strommühle entsteht auf der Schwäbischen Alb.

Im Schatten des Kernkraftwerks Brunsbüttel wird »Growians« zweiblättriger Rotor (Durchmesser 100 Meter) sich an einem 100 Meter hohen Stahlbeton-Turm drehen -- mit einem Geräuschpegel, der »dem eines Segelflugzeugs entspricht« (so die Entwicklungsfirma MAN).

»Growian« wird, wenn er fertiggestellt ist, der Rekordhalter unter den modernen Windmaschinen sein. Ein Drittel weniger Leistung. bis zu 2000 Kilowatt, erbringt der Großrotor von Tvind an der windzerzausten dänischen Westküste. Seine Windflügel mit einem Durchmesser von 54 Metern wurden zu Beginn vergangenen Jahres auf einen 53 Meter hohen Schaft montiert.

Die damals zweitgrößte Windmühle der Welt, in den Vereinigten Staaten, nahm etwa zur gleichen Zeit den Betrieb auf. Mit 200 Kilowatt Leistung soll sie zur Stromversorgung von 60 Häusern des amerikanischen Viehzuchtstädtchens Clayton in New Mexico ausreichen.

Genügend Strom schließlich für 500 Häuser -- bis zu 1500 Kilowatt -- soll die Windmühle erzeugen, die die US-Energiebehörde auf einen Berg in North Carolina setzte. Die Rotorblätter dieser Turbine von 61 Meter Durchmesser drehen sich auf einem 42 Meter hohen Stahlturm.

Die Windmühle von Clayton enttäuschte allerdings bereits nach sechs Monaten: Die Rotorblätter mußten vorübergehend ausgebaut und repariert werden. »Growians« Konstrukteure -- Hauptauftragnehmer MAN arbeitete zusammen mit der Universität Stuttgart, der Gesamthochschule Kassel und der Deutschen Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt in Köln-Porz -- hoffen hingegen auf eine Lebensdauer von 20 Jahren.

Das Rotorblatt der Brunsbüttler Windmühle wurde aus glas- und kohlefaserverstärktem Kunststoff mit einem zweiteiligen Stahlholm gebaut. Die beiden Blätter sind drehbar gelagert, so daß ihr Anstellwinkel der Windstärke angepaßt werden kann.

Vom Wind in Drehung versetzt, treibt der Rotor einen Generator an. Die so gewonnene elektrische Energie wird direkt in das vorhandene Verbundnetz eingespeist.

Maßgeblich für die Standortwahl war die Windgeschwindigkeit: Als Voraussetzung für die großtechnische Nutzung gilt ein Jahresmittel von mindestens vier Metern pro Sekunde. München etwa liegt mit 3,2 Metern pro Sekunde darunter -- über die schleswigholsteinischen Deiche hingegen bläst der Wind durchschnittlich mit rund sechs Metern pro Sekunde. Die Gleichmäßigkeit, so geben die MAN-Ingenieure zu, läßt allerdings zu wünschen übrig: Fast ein Viertel der Zeit steht »Growian« wegen zu schwachen Windes still. Zu stark stürmt es nach den Erwartungen der Experten nur an etwa sieben Tagen im Jahr. Dann wird »Growian« abgeschaltet.

Theoretisch sei es möglich, so das Fazit des Deutschen Wetterdienstes nach einer Abschätzung des Windenergiepotentials der Bundesrepublik, rund zwei Drittel der Bruttostromerzeugung durch Wind-Energie zu decken.

Die Nutzung dieser Quelle in großem Maßstab habe aber nur eine Chance, wenn sie kostengünstig sei, schränkte Forschungsminister Volker Hauff im vergangenen Herbst auf einem Windenergie-Seminar der Kernforschungsanlage Jülich ein. Wenn »Growian« fertig ist, werden rund 100 Millionen Mark Fördergelder in den Wind investiert sein.

Eher als Mühlengiganten des Growian-Typs dürften sich jedoch die kleinen, schon auf dem Markt erhältlichen Anlagen für Einzelverbraucher durchsetzen.

Denn die stets nach Alternativ-Energie verlangenden Umweltschiitzer haben auch an den großen Windmaschinen schon wieder etwas auszusetzen: Dutzendweise über die Schwäbische Alb oder die Norddeutsche Tiefebene verstreut, würden die Growiane den TV-Empfang stören und die Landschaft verschandeln.

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