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KATASTROPHEN Wie asphaltiert

Der Untergang eines Tramp-Tankers vor der US-Küste signalisiert doppelte Gefahr: Die meisten Unfallkandidaten kommen aus Liberia -- weltweit fehlt es an Mitteln, eine große Ölpest zu verhindern.
aus DER SPIEGEL 3/1977

Ächzend stemmte sich der Tanker vor der Küste des US-Staats Massachusetts gegen hohe Wellenberge, als Kapitän Georgios Papadopoulos die Order gab, nach den Sternen auszuschauen. Eine Sextanten-Messung sollte zeigen, wo es am frühen Morgen des 15. Dezember, 5.30 Uhr, mit dem 18 700 Tonnen großen Liberianer »Argo Merchant« lang ging.

Exakt eine halbe Stunde später dämmerte dem Griechen, daß er sich schwer vertan hatte: Knirschend lief sein Schiff südöstlich von Nantucket auf eine Sandbank.

Was dann kam, nannte Russell Train. Chef der Washingtoner Umweltschutzbehörde, »das größte Öl-Desaster in der Geschichte unseres Landes«. Unter den Schlägen bis zu acht Meter hoher Brecher brach die »Argo Merchant« mittschiffs auseinander. 28 Millionen Liter Venezuela-Rohöl liefen aus genug, um 2501) Tanklastzüge zu füllen.

Diesmal aber hatten die Fischer von Nantucket Glück im Unglück: Die Schweröllache, Anfang letzter Woche auf über 200 Kilometer Länge angewachsen, wurde von Winterstürmen über den amerikanischen Kontinentalsockel hinweg auf hohe See hinausgetrieben (siehe Graphik).

Dort fing die »Argo Merchant«-Ladung an. »sich um sich selbst zu drehen«, wie ein Sprecher der US-Küstenwache formulierte. Eine Gegenströmung des Golfstroms hatte den Ölteppich erfaßt und teilweise unter die Wasseroberfläche gedrückt. Damit war vorerst die Gefahr gebannt, auch Europas Küsten könnten durch den Rohöl-Schlick lädiert werden.

Jedoch: Kaum gaben die Experten auf beiden Seiten des Atlantik Entwarnung, da ergoß sich abermals ein Ölstrom in den Ozean. Vom kanadischen Halifax aus stiegen Suchflugzeuge auf. um den als verschollen geltenden Panamesen »Grand Zenith« oder das, was von ihm übrigblieb, zu finden. Wahrscheinlicher Totalverlust an Menschen und Material: eine Crew von 38 Mann und weitere 30 Millionen Liter Rohöl.

Die beiden Katastrophen im Atlantik lassen indes nur ahnen, was den Meeren von den riesenhaften »Ölefanten« (so das »Esso Magazin") neueren Baujahrs droht: Havarien, hei denen Hunderte von Millionen Liter schwarzen Schleims das Meer verpesten.

Als der holländische Supertanker »Metula«, ein Schiff der 250 000-Tonnen-Klasse, 1974 in der Magellan-Straße strandete und 50 000 Tonnen Öl verlor, kamen nicht nur 40 000 Pinguine um. Seither, so konstatierte der US-Meeresbiologe Roy Hann, wirke die felsige Feuerlandküste durch den Ölteer »wie asphaltiert«.

An eine »zunehmende Zahl solcher Desaster«, so prophezeite letzte Woche auch der Supertanker-Kritiker und Buchautor Noel Mostert, werde man sich fortan gewöhnen müssen. Schon sei die erste Generation von Tankern der Viertelmillion-Tonnen-Kategorie zehn Jahre alt und beginne »strukturelle Schwächen« zu zeigen.

Dabei zeichnet sich eine globale Ölgefahr schon durch die bloße Existenz noch voluminöserer Tankschiffe ab. So übertrumpfte jüngst der 540 000 Tonnen große Shell-Neubau »Batillus« den Leviathan »Nissei Maru« (484 000 Tonnen) -- bis dahin unangefochtenes Symbol für den Größenwahn der Ölkonzerne.

Umgekehrt verhält es sich dagegen mit der Zahl von Spezialschiffen, mit denen ausgelaufenes Öl sich womöglich gefahrlos beseitigen ließe. Frederick P. Schubert, Offizier der US-Küstenwache, nach dem »Argo Merchant«-Zwischenfall: »Wir haben nicht die notwendige Ausrüstung, um so viel Öl erfolgreich zu bekämpfen.«

Obschon die Coast Guard eine 20 Mann starke »Strike Force« auf die »Argo Merchant« ansetzte, schaffte es das »beste Team der Welt« (so Einsatileiter Lynn Hein) nicht einmal, an der Wrack-Wand die Schutzkissen für Hochseeschlepper zu vertäuen. Die 2200 Kilo schweren Fender wurden von den Wogen über Bord gefegt.

Auf den Einsatz sogenannter Dispergatoren, die den Ölteppich hätten zerreißen können, verzichteten die Amerikaner. 1967, nach dem Bruch des Tankers »Torrey Canyon« vor der britischen Südwestküste, stellten Cambridge-Wissenschaftler fest, daß die Chemikalien am Ende mehr Fische getötet hatten als das Öl.

Deutsche Experten wie etwa der Hamburger Seeverkehrs-Beamte Henning Menzel setzen indes weiterhin auf die »nur schwach toxischen Dispergatoren« (Menzel). 60 Tonnen davon liegen derzeit in Cuxhaven auf Lager. Daneben verfügt Menzels Wehr über zwei »Tonnenleger mit Sprüharmen« -- garantiert zu wenig, um die Folgen eines Unglücks zu verhindern, das Professor Klaus Tiews von der Hamburger Bundesforschungsanstalt für Fischerei fürchtet: einen Supertanker. der in der Nachbarschaft des Wattenmeeres leckschlägt. »Der Schaden«, so schätzt Tiews, »könnte dann leicht eine Milliarde Mark betragen.«

Auf die Idee, die Ölkonzerne im Vorgriff auf ein mögliches Desaster jetzt schon in die Pflicht zu nehmen, ist auch Bonns Verkehrsbürokratie bislang nicht gekommen. Nur die amerikanische Gulf Oil hat ein Spezialsaugschiff gekauft, das mit Hilfe einer Walze Öl von der Wasseroberfläche schöpfen kann.

Ähnlich leger verfahren die öldurstigen Industrieländer mit jenen dünnwandigen Tramp-Tankern, die unter der Steuer-Sparflagge Liberias sozusagen mit postlagernder Fracht die See durchpflügen: insgesamt 945 Exemplare mit einer Gesamt-Tonnage von 89 Millionen Tonnen -- mehr als ein Viertel der Welt Tankerflotte.

Einsam führen die Riesen aus Monrovia denn auch die internationale Unfall-Liste an. Die Dezember-Bruchliste liberianischer Tanker: »San Sinena«. cm 38 000-Tonner, in Lang Beach explodiert (neun Tote); die »Olympic Games« im Delaware-Fluß, die »Oswego Peace« im Thames River (US-Staat Connecticut) und die »Daphne« unweit Puerto Ricos aufgelaufen.

Liberianer, so behauptet Tanker-Autor Mostert, würden von schlechten Crews und noch schlechteren Kapitänen »gefahren, bis sie auseinanderbrechen. Die 1953 auf Hamburgs Howaldt-Werft gebaute »Argo Merchant« war bis zu ihrem Untergang in 18 Unfälle verwickelt und zweimal gestrandet. Nun, bei der letzten Havarie, fehlten elektronische Navigationsgeräte; die Strömungskarte war veraltet.

Kapitän Papadopoulos brachte nach dem Unglück zu seiner Entlastung vor: »Das Schiff saß fest, weit wir wohl an der falschen Stelle waren.«

Die »Argo Merchant« war, getrieben von der harten Konkurrenz des Tanker-Business, blind weitergefahren, obwohl der Kreiselkampaß ausgefallen war.

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