JUDEN Wie Deutsche?
Theodor Duesterberg, Führer des »Stahlhelm« in den zwanziger Jahren, entstammte einer Rabbiner-Familie. Philip Rosenthal, heute SPD-Bundestagsabgeordneter, war 1932, trotz eines jüdischen Großvaters, Mitglied der Hitler-Jugend. Alfred Kerr, jüdischer Literaturpapst in Berlin, stärkte im Ersten Weltkrieg die deutschen Soldaten mit Durchhalteversen. Beispiel: »Das wahre Glück bringt Schießen nur, drum gaudeamus igitur.«
Beweisen solche Daten und Zitate. daß es eine »Wahlverwandtschaft zwischen Deutschen und Juden« gibt -- eine militaristische vielleicht, eine »Wesensähnlichkeit« gar?
Jörg von Uthmann, 40, zur Zeit Botschaftsrat der bundesdeutschen Vertretung bei den Vereinten Nationen, ist offenkundig dieser Meinung. Er hat ein Buch geschrieben, das eben jene These von der geistigen Verwandtschaft der Deutschen und der Juden vertritt*. Zu seinem Beweismaterial gehören die Duesterberg-, die Rosenthal- und Kerr-Daten und viele andere.
* Jörg von Uthmann: »Doppelgänger, du bleicher Geselle. Zur Pathologie des deutsch-jüdischen Verhältnisses. Seewald Verlag, Stuttgart; 192 Seilen: 22 Mark.
Die Anregung -- zu seinem Buch hat Uthmann in Israel empfangen. Er war persönlicher Referent von Botschafter Pauls. Er begleitete den Missionschef. als der im August 1965 bei Präsident Schasar seinen Antrittsbesuch machte. Er passierte mit ihm den sich daran anschließenden Steinhagel auf der Straße. »Nie werde ich die haßverzerrten Gesichter vergessen«, gesteht er in seinem Buch. Wenige Zeilen zuvor: »Nirgendwo sonst findet man eine so tiefe Liebe zu Deutschland wie in Israel.«
Ein »gelassenes Miteinander« falle, meint Uthmann aufgrund seiner zwiespältigen Israel-Erlebnisse, Deutschen und Juden schwerer als anderen Völkern -- was er sich dadurch erklärt, daß die deutsche und die jüdische Nation geistige »Doppelgänger« seien.
Uthmanns »Doppelgänger«-Theorie ist keineswegs völlig neu. Goethe, Heine, Moses Hess und andere haben sich aphoristisch ähnlich geäußert. Auch Hitler meinte, »daß der Jude in allem und jedem das genaue Gegenteil des Deutschen ist und ihm doch wieder so verwandt, wie es nur zwei Brüder sein können«.
Ohne Zweifel weist die Geschichte des alttestamentlichen Judentums Ähnlichkeiten mit der deutschen auf. Mit Recht verweist Uthmann darauf, daß die Geschichte Deutschen wie Juden nicht erlaubt hat, »in einem geschlossenen Staatsverband jenes ungezwungene Nationalgefühl zu entwickeln, wie es andere Völker besitzen«.
Um diesen immerhin räsonablen Kern seiner Doppelgänger-These hat Uthmann freilich einen wirren Haufen von abstrusen und teilweise politisch bedenklichen Theorien gesponnen. Gegen Ende seines Buches entdeckt Uthmann nicht mehr und nicht weniger, als daß die klassenlose Gesellschaft der Kommunisten, der heutige Staat Israel und Hitlers Großdeutsches Reich auf eine Stufe zu stellen seien -- eine Bemerkung, die er im letzten Kapitel seines Buches noch verschärft.
Man könne nicht umhin, meint er dort, »zwischen dem dritten deutschen und dem dritten jüdischen Reich (sprich: Israel) gewisse Parallelen zu konstatieren«. So sei ja nicht zu bestreiten, daß es einen »gemeinsamen Denkansatz von Zionismus und Antisemitismus« gebe.
Spätestens hier wird Uthmanns Buch zum Politikum. Jörg von Uthmann ist Diplomat der Bundesrepublik bei den Vereinten Nationen, deren Vollversammlung im Herbst vorigen Jahres mit 72 von 139 Stimmen eine Resolution verabschiedete, wonach der Zionismus »eine Form des Rassismus und der Rassendiskriminierung« darstellen soll -- eine Resolution, von der Uthmanns Bemerkung über den »gemeinsamen Denkansatz von Zionismus und Antisemitismus« gewiß nicht weit entfernt ist.
Unbestritten ist, daß der moderne Zionismus auch Anregungen aus der Gedankenwelt Herders und der deutschen Romantik bezogen hat -- also aus Quellen, die auch bei der Entstehung des Nationalsozialismus eine Rolle gespielt haben. Doch eben diese keineswegs unbekannten Zusammenhänge kommen bei Uthmann nicht vor.
Statt dessen setzt Botschaftsrat von Uthmann seine Doppelgänger-Betrachtungen mit Enthüllungen fort, die. wenn sie richtig sind, die giftige UN-Resolution gegen den Zionismus nun auch noch mit der Behauptung anreichern, es habe während des Zweiten Weltkrieges eine Art von Fraternisation zwischen Dienststellen Hitler-Deutschlands und zionistischen Organisationen in Palästina gegeben, das damals noch Völkerbundsmandat war und von den Engländern verwaltet wurde.
Daß es nach 1933 Verhandlungen zwischen Nazi-Dienststellen und zionistischen Organisationen gegeben habe, wurde des öfteren behauptet. Uthmann berichtet im Buch vor allem über zwei Vorgänge dieser Art. Danach sollen
* 1937 Kontakte zwischen dem SD des Reichsführers SS und der jüdischen Selbstschutz-Organisation Haganah stattgefunden haben, in deren Verlauf die Zionisten den Deutschen Spionage-Dienste angeboten hätten,
* 1941 Vertreter des Irgun Zwai Leumi, einer anderen jüdisch-palästinensischen Guerilla-Truppe, dem deutschen Marine-Attaché in Istanbul jüdische »Waffenbrüderschaft« angeboten haben.
Das politische Ärgernis solcher Berichte liegt auf der Hand. Sie nicken den Zionismus und den heutigen Staat Israel in die Nähe des Faschismus und bestätigen so die Uno-Resolution. Um so mehr hätte der Botschaftsrat seine Berichte sorgfältig dokumentieren müssen. Statt dessen macht er keine nachprüfbaren Angaben über seine Quellen.
Im Fall der Haganah-Kontakte beruft sich von Uthmann -- nach Anfrage des SPIEGEL bei ihm -- auf die Photokopie eines maschinengeschriebenen Briefes, über dessen Autor die Kopie keine Auskunft gibt. Im Fall der Irgun-Zwai-Leumi-Kontakte verweist Botschaftsrat von Uthmann den SPIEGEL auf die Photokopie eines Briefes, den der deutsche Marine-Attaché in Istanbul am 11. Januar 1941 an seinen Botschafter schrieb.
Die Dokumente, deren Photokopien Botschaftsrat von Uthmann dem SPIEGEL überreichte, mögen echt sein oder falsch -- in keinem Fall beweisen sie, daß zwischen Hitlers SS und den jüdischen Guerilla-Kriegern eine ideologische Verbrüderung stattgefunden hat. Auch wenn die Dokumente echt sind, gibt es zahlreiche andere Interpretationsmöglichkeiten: Spielmaterial, Alleingang eines Haganah- oder Irgun-Zwai-Leumi-Flügels, verzweifelte Hoffnung der palästinensischen Organisationen, eine möglichst große Zahl von deutschen Juden retten zu können, und so weiter.
Der Botschaftsrat von Uthmann hat keine dieser Möglichkeiten in Erwägung gezogen. Er hat die beiden Urkunden, wenn sie welche sind, einfach als Beweisstücke für seine Theorie über den »gemeinsamen Denkansatz von Zionismus und Antisemitismus« genommen. Das war leichtfertig.