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WIE DEUTSCHLAND TÜCHTIGE LEUTE KAPUTTMACHT

aus DER SPIEGEL 47/1970

Am 25. Juli 1864

trafen Helene von Dönniges und Lassalle in Rigi-Kaltbad (Schweiz) zusammen. (Sie kannten sich seit zwei Jahren.) Mit Freunden unternahmen sie einen Ausflug, von dem sie am nächsten Tag zurückkehrten. An diesem Tag, dem 26. Juli, schrieb Helene an Lassalle:

Sie wissen, daß ich verwöhnt war von dem so schön zurückgelegten Weg -- gestern abends und heute früh, so verwöhnt, daß ich mich ungern in meine Einsamkeit fand. Daß ich Ihrem Wunsch nicht nachkommen konnte, lag nun natürlich daran, daß ich, wie Sie, mein Freund, sagen, willenlos wie ein Kind bin. Aber diesmal, Freund Satan, wird Ihnen das Kind beweisen, daß es seine teuflische Verwandtschaft fühlt, daß Ihre dämonische Nähe endlich dahin gewirkt hat, daß die Natur aus ihrem Schlaf erwacht und Tropfen Ihres satanischen Blutes in ihre Adern gerollt ist, ihr Kraft und Lust zum Leben gebend. Als ich Sie verließ, und zum letzten Male Ihre Lippen meine Hand berührten, da sagte Ich mir, daß, ehe ich Waeggis verlasse, mein Entschluß fürs Leben gefaßt sein soll ...

Und nun wissen Sie auch mit Ihrem schönen, herrlichen Geiste und Ihrer so großartigen, mir so lieben Eitelkeit, wie mein Entschluß lautete: Ich will und werde Ihr Weib sein!

Am 28. Juli

schrieb Lassalle seiner mütterlichen Freundin Sophie von Hatzfeldt, er sei der Politik »müde und satt«. In demselben Brief berichtete er von seinem Treffen mit Helene:

Die Sache wird ernst, sehr ernst, und das große Gewicht des Ereignisses fällt mir wieder etwas auf die Brust. Inzwischen -- einmal kann ich nicht mehr zurück, und dann wüßte ich auch wahrhaftig nicht, warum ich zurück sollte! Es ist ein schönes Weib, wie ihrer Individualität nach das einzige Weib, das sich für mich paßt und eignet; das einzige, das Sie selbst für geeignet finden würden. Also en avant über den Rubikon. Es führt zum Glück! Auch für Sie, gute Gräfin, mindestens ebenso wie für mich.

Am 3. August

reisten Helene und Lassalle getrennt von Bern nach Genf. Dort berichtete Helene ihren Eltern, sie wolle ihr Verlöbnis mit Janko von Racowitza lösen und Lassalle heiraten. Ihre Eltern verweigerten die Zustimmung. Helene eilte darauf -- hin in die Pension Bovet zu Lassalle. Dort warf sie sich auf das Bett mit dem später viel glossierten Ruf: »Ich bin das unglücklichste Geschöpf von der Erde. Hier hast du deine Sache. Mach mit mir, was du willst.« Lassalle brachte jedoch Helene in die Wohnung ihrer Eltern zurück -- ein Verhalten, dessen Richtigkeit er bereits am nächsten Tag bezweifelte. Er schrieb am 4. August an Sophie von Hatzfeldt: Ich kann nicht anders, obgleich ich seit vierundzwanzig Stunden dagegen ankämpfe, aber ich muß mich ausweinen an der Brust meines besten und einzigen Freundes. Ich bin so unglücklich, daß ich weine, seit fünfzehn Jahren zum ersten Male! Was mich dabei noch zermartert, ist das Verbrechen meiner Dummheit! Wie konnte ich so beschränkt sein, auf Helenens Wunsch nicht einzugehen, sie ihren Eltern zurückzuliefern und loyal um sie zu werben! Ich hätte den Besitzstand benützen und sofort mit ihr entfliehen sollen! Jetzt ist das Unglück da! Sie Ist unter vollständiger Sequestration und furchtbarster Mißhandlung. Ich weiß nicht, wie Ich mich ihrer bemächtigen werde, ob durch List, durch Gewalt. Alles ist mir gleich. Sie wissen nicht, was sie leidet, das edle Geschöpf!

... Meine Dummheit richtet mich hin! Der Gewissensbiß frißt mich auf! Aber wenn ich mein Verbrechen nicht wieder gutmache, koste es, was es wolle, und um jeden Preis, so will Ich mein Haupt scheren und Mönch werden.

Am 10. August

mahnte Lassalle Helene, fest zu bleiben. Schon am 4. August waren ein Doktor Arndt und ein Graf Kayserlingk, beide Verwandte von Dönniges, bei Lassalle erschienen und hatten behauptet, Helene sage sich von ihm los. Lassalle schrieb: Helene! Wenn Du mir treulos sein könntest -- uneingedenk Deiner Schwüre mir entsagen könntest, Du würdest nicht wert sein, was Ich für Dich leide. Beruhige mich durch eine Zeile! Der Gedanke, daß Du mich aufgibst, bringt mich dem Wahnsinn nahe ... Helene! Rasend und mit Schmerzen der Verzweiflung geliebtes Weib! Gib mir eine Zeile, daß Du fest bleibst.

Am 26. August

empfing Helene von Dönniges zwei Beauftragte Lassalles: den Doktor Haenle und den Oberst Rilstow, einen ehemals preußischen Offizier, der sich 1860 als Stabschef Garibaldis einen Namen gemacht hatte und zeitweilig der Geliebte der Gräfin Hatzfeldt war. Helene lehnte ein Zusammentreffen mit Lassalle ab. Lassalle schrieb am selben Tag an Herrn von Dönniges:

Nachdem ich durch den Bericht des Oberst Rüstow und des Dr. Haenle vernommen habe, daß Ihre Tochter Helene eine verworfene Dirne ist und es folgeweise nicht länger meine Absicht sein kann, mich durch eine Heirat mit ihr zu entehren, habe ich keinen Grund mehr, die Forderung der Satisfaktion für die verschiedenen Avanien und Beleidigungen länger zu verschieben und fordere Sie daher auf, mit den beiden Freunden, die Ihnen diese Erklärung überbringen, die erforderlichen Verabredungen zu treffen. F. Lassalle

Am 28. August

fand in Carrouge bei Genf das Duell zwischen Lassalle und Janko von Racowitza statt. Oberst Rüstow, einer der Sekundanten, gab zu Protokoll:

Für jeden Schuß waren 20 Sekunden gegeben, welche von dem ladenden Sekundanten dadurch zu markieren waren, daß er beim Anfang 1, bei 10 Sekunden 2, bei 20 Sekunden 3 kommandierte. Ich beobachtete die Vorsicht, vorher noch: »Achtung!« zuzufen.

Ich gab das Kommando 1. Kaum 5 Sekunden nachher fiel der erste Schuß, und zwar von Seiten des Herrn von Racowitza. Unmittelbar nachher, es verging nicht eine Sekunde, antwortete Lassalle. Er schoß vorbei, er hatte den Tod schon Im Leibe. Es war ein Wunder, daß er überhaupt noch hatte schießen können.

Am 4. September

-- vier Tage nach dem Tod Lassalles -- schrieb Engels an Marx: Du kannst Dir denken, wie mich die Nachricht überraschte. Lassalle mag sonst gewesen sein, persönlich, literarisch, wissenschaftlich, wer er war, aber politisch war er sicher einer der bedeutendsten Kerle in Deutschland. Er war für uns gegenwärtig ein sehr unsichrer Freund, zukünftig ein ziemlich sichrer Feind, aber einerlei, es trifft einen doch hart, wenn man sieht, wie Deutschland alle einigermaßen tüchtigen Leute der extremen Partei kaputtmacht. Welcher Jubel wird unter den Fabrikanten und unter den Fortschrittsschweinehunden herrsehen, L war doch der einzige Kerl in Deutschland selbst, vor dem sie Angst hatten.

Aber was Ist das für eine sonderbare Art, ums Leben zu kommen: sich in eine bayrische Gesandtentochter ernstlich zu verlieben -- dieser would-be Don Juan -, sie heiraten wollen, in Kollision kommen mit einem abgedankten Nebenbuhler, der noch dazu ein walachischer Schwindler ist, und sieh von ihm totschießen zu lassen. Das konnte nur dem L passieren, bei dem sonderbaren Gemisch von Frivolität und Sentimentalität.

Am 7. September

schrieb Marx an Engels:

Das Unglück des L ist mir dieser Tage verdammt durch den Kopf gegangen. Er war doch noch immer einer von der vielile souche (altem Stamm) und der Feind unserer Feinde. Dabei kam die Sache so überraschend, daß es schwierig ist zu glauben, daß ein so geräuschvoller, stirring, pushing (rühriger) Mensch nun maustot ist und altogether das Maul halten muß. Was seinen Todesvorwand angeht, so hast Du ganz recht. Es Ist eine der vielen Taktlosigkeiten, die er in seinem Leben begangen hat. With all that tut's mir leid, daß in den letzten Jahren das Verhältnis getrübt war, allerdings durch seine Schuld.

Am 7. November

schrieb Engels an Marx:

Der L ist offenbar daran kaputt gegangen, daß er das Mensch nicht sofort in der Pension aufs Bett geworfen und gehörig hergenommen hat, sie wollte nicht seinen schönen Geist, sondern seinen jüdischen Riemen. Es ist eben wieder eine Geschichte, die nur dem L passieren konnte. Daß er den Walaehen zum Duell zwang, Ist doppelt verrückt. Die Idee der alten Hatzfeldt, Du solltest dem modernen Erlöser eine Apotheose schreiben, Ist doch gar zu gut.

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