Wie ein Klassiker zum Video-Clip getrimmt wird
Eines schönen Tages erschien ein freundlicher Mann, der sich bescheiden als Giorgio Moroder vorstellte, bei Enno Patalas, dem Leiter des Münchner Filmmuseums. Er erzählte, daß er Komponist sei und sich für die Vertonung von Stummfilmen interessiere, es fehle ihm nur der geeignete Film. Ahnungslos und erfreut über das seltenen Interesse breitete Patalas, der noch an das Gute im Komponisten glaubte, die Perlen der Filmkunst vor ihm aus und schlug ihm »Metropolis« vor. Das Ton-Drama nahm seinen Disco-Lauf.
Mit »Metropolis« ist Fritz Lang in den zwanziger Jahren ein expressionistischpathetisches Meisterwerk des Stummfilms gelungen. Ein noch größeres Kunststück ist jetzt Giorgio Moroder damit geglückt. Mit einem geschickten Coup stellt der die Filmkunst auf den Kopf: Musik ist nicht länger das Beiwerk zum Film, der Film wird degradiert zum Tonträger der Sound-Mixtur. Moroder benutzt den Klassiker, eben mal so, als Transportmittel für die lukrative Verbreitung seiner Disco-Musik. Zu diesem Zweck hat er aus diversen Fassungen des Films mit Liebe, aber vor allem mit Geschäftssinn, eine sehr eigene »Rekonstruktion« gebastelt. Moroder schafft auf Anhieb, was nicht jedem Filmemacher gelingt: Man sitzt im Kinosessel und ist erst mal grenzenlos erstaunt.
Er hat sich nicht einmal die Mühe gemacht, seine Fassung auf Stummfilm-Vorführgeschwindigkeit zu bringen, und jagt sie um ein Drittel zu schnell über die Leinwand. Moroder »rekonstruiert« »Metropolis« denn auch nach eigenem Schnittmuster. Er schneidet aus längeren Szenen ganze Passagen raus, fügt nachgedrehte Aufnahmen ein und schmeißt die Zwischentitel raus, womit er jeden Stummfilmrhythmus zerstört.
Für Rhythmus sorgt jetzt sein hämmernder Synthesizersound und eine elektronische Geräuschkulisse, zusammenkomponiert wie für einen Comic-Film. Er garniert das stumme Werk mit sieben Songs und erreicht mühelos den Effekt, als ob der Vorführer vergessen hätte, die flotte Pausenmusik abzustellen. Über den schwarzweißen Bildern breitet er luftige Farbschleier aus. So wird der Film als eine Art gigantischer abendfüllender Video-Clip »unseren Kleinen«, der neuen Walkman-Generation, schmackhaft gemacht: Fritz Lang zum Mitsummen.
»Eine ganze Generation erhält jetzt die Chance und Motivation, ein Meisterwerk zu entdecken, in das sie sonst nicht gehen würden« (Moroder). Nur handelt es sich nicht mehr um das Meisterwerk, das es mal war, es bleibt wenig von Fritz Langs Zukunftsvision zu entdecken, denn »Metropolis« wird zu »Giorgio Moroders phantastischer Rock-Vision« (Verleihankündigung).
Der Weg dahin war ebenso phantastisch wie einfach. Moroder ermittelte die Publikumswünsche in kleinem Kreis. Bei einer Handvoll privater Vorführungen hat er Fragebögen verteilt und mußte erfahren, sein Publikum wünscht Rockmusik zum stummen Film und viele Songs. Den Wünschen ist er ohne Zögern nachgekommen, in der Art seines bewährten Disco-Rezeptes: »Ein bißchen Philadelphia-Sound, eine Prise von da, eine Prise von dort und nach eigenem Gutdünken gemischt.«
Um diese Pioniertat abzurunden, steckt sich Moroder selbst einen kinematographischen Verdienstorden an. Er stilisiert sich zum rettenden Kulturengel und präsentiert den Bastard als die »Auferstehung« eines vergessenen Meisterwerks. Diese Form der Wiederbelebung stellt aber eher eine kulturelle Beerdigung dar; sie setzt voraus, daß man den Film erst mal zur Leiche erklärt, die es zu retten gilt, um sich dann an ihr zu vergehen. Moroder ist geschickt genug, um zu wissen, wo die Gefahr liegt, und baut durch gezieltes Wehklagen bereits vor: »Man wird mir vorwerfen, ich hätte den Film finanziell ausgebeutet, ganz besonders die deutschen Kritiker.«
Sein Hinweis, daß neben seiner Patchwork-Version schließlich für »Puristen« noch die alte Fassung existiert, ist scheinheilig, wo er gerade versucht, eine ganze Generation für sein Produkt zu »motivieren«, um sie auf seinen musikalischen Leim zu locken. Vor allem vergißt er zu sagen, daß eine Besichtigung praktisch kaum möglich ist, da nur noch wenige und unvollständige Kopien existieren, verstreut in aller Welt, und jede einzelne Vorführung seiner Genehmigung bedarf.
In großzügiger Würdigung seiner Verdienste um den »verstaubten« Film nähert Moroder sich Lang schließlich von Künstler zu Künstler: »Lang hätte sicher die gleichen akustischen Mittel eingesetzt, wenn sie ihm zur Verfügung gestanden hätten.« Eine wirklich kühne Legitimation. Der Lang, den ich kurz vor seinem Tode noch kennengelernt habe, war ein verbitterter Lang, der sein ganzes Leben für seine Rechte als Regisseur gekämpft hatte, ein Perfektionist, der keine Eingriffe in sein Werk duldete, sie aber während seiner ganzen Karriere ertragen mußte. Lang kann sich nicht mehr wehren gegen Moroders Tiefschlag im Kampf um sein Copyright.
Um Mißverständnisse zu vermeiden: Meine Einwände richten sich nicht gegen Moroders Musik - ich schätze ihn sehr als Komponisten für Filme wie »American Gigolo«, »Scarface«, »Cat People« und die Songs von Blondie -, sondern gegen diese Art von Filmverwertung. Unter dem fröhlichen Motto »Modern und zeitgemäß« macht sich Moroder damit zur Galionsfigur einer amerikanischen Unterhaltungsindustrie, die darangeht, die letzte heilige Bastion zu nehmen, und die Filmarchive plündert. Firmenchefs werden erstmals in ihren
Archiven beim Staubwischen gesichtet. Die »Metropolisierung« der Filmkunst beginnt. Das spart Lagerkosten und soll einen Ausgleich schaffen für den Mangel an Original-Ideen, um den Moloch Medium mit Software zu füttern.
Aus alt mach neu, Hollywood als optisch-akustische Wiederaufbereitungsanlage, von der Fachpresse als »wegweisend« gefeiert, weil damit die Möglichkeit eröffnet wird, längst abgeschriebene Ladenhüter gewinnträchtig aufzupolieren »in neuem zeitgemäßem Kostüm« (Moroder). So wie man einer abgetragenen Hose die Beine abschneidet, ein paar bunte Flicken aufnäht, um das Ganze als modische Shorts zu verhökern.
Dem Erfindungsgeist für künstlerische Übergriffe sind keine Grenzen gesetzt in einer Industrie, die offensichtlich nicht fähig ist, den Stummfilm als Form zu akzeptieren, sondern darin schlicht einen Film sieht, dem der Ton fehlt, und im Schwarzweiß-Film einen Film, dem es an Farbe mangelt.
Inzwischen werden alte Filme in Spezialverfahren noch einmal abgefilmt, »modernisiert« mit völlig neuen Bildausschnitten; schwarzweiße Filmklassiker werden in schillernden Farben neu aufgelegt, zum Beispiel »Casablanca« in »living colours«. Stolz erklärt der Chef der US-Farben-Firma: »Wie ein Film gedreht wurde, ist dann nicht mehr sichtbar.« Von Fritz Langs Meisterfilm »Metropolis« ist nach Moroders modischer Verkleidung auch kaum noch was zu sehen. Früher wurden alte Filme vernichtet, nur um das Photosilber im Wert von Pfennigen zurückzugewinnen, das Zelluloid wurde zu Kämmen verarbeitet. Heute werden alte Filme spekulativ »umgestylt«. Das Verfahren ist anders, die Zerstörung dieselbe. Als Kämme haben mir die Filme immer noch besser gefallen.