SCHALLPLATTEN / NEU IN DEUTSCHLAND Wie früher
Einst hatten sie den gleichen Musizierstil, die gleiche politische Überzeugung und ein gemeinsames Lager: Bob Dylan und Joan Baez, die beiden berühmten, miteinander befreundeten Folksong- Interpreten, protestierten gegen die »Herren des Krieges«, gegen Rassenterror und Völkermord.
Seit sie sich jedoch getrennt haben, gehen sie auch politisch und musikalisch verschiedene Wege: Dylan agitiert nicht mehr; Joan Baez, die eine »Schule der Gewaltlosigkeit« gegründet hat und in aller Welt für den Frieden wirbt, mag nicht mehr singen.
In dem Doppelalbum »The First Ten Years« legt ihre Plattenfirma noch einmal 23 der rund 180 Baez-Aufnahmen aus den letzten zehn Jahren vor. Dabei zeigt sich, daß Joan Baez in ihrer Musik stets weit weniger konsequent als in ihren politischen Äußerungen gewesen ist.
In Amerika, so pflegte sie zu erklären, sei »nur die Erdnußbutter in Ordnung«. Aber sie besang mit Geigen- und Chorbegleitung auch das »grüne, grüne Gras zu Hause« und ließ sich von den rassistischen Südstaaten-Musikanten aus Nashville begleiten, von denen sie selbst sagt: »Bei anderer Gelegenheit hätten mich diese Faschisten in einer Minute gelyncht.«
Neben Spirituals, traditionellen Volksliedern und Popmusik-Stücken von Donovan und Mick Jagger enthält diese repräsentative Baez-Auswahl vor allem Bob-Dylan-Songs: Die sechs besten Lieder wurden von ihrem einstigen Spielgefährten komponiert.
Für Dylan ist nach seinem mißlungenen »Selbstporträt« ein »neuer Morgen« angebrochen. Auf der Platte mit diesem Titel singt und spielt er wieder so überzeugend wie früher; auch die Songtexte haben die alte surrealistische Qualität. So beschreibt er beispielsweise drei Engel, die unvermittelt auf einer Kleinstadtstraße erscheinen, einen Wahrsager, der in einem düsteren Minnesota-Hotel ein Mädchen tanzen läßt, und den Tag, an dem einem Mann der Schädel in Stücke sprang. »Es roch wie im Grab«, singt er, »und ich hoffte, daß kein Fetzen seines Kopfes mich traf.«
In einer solch verrückten Welt, will Dylan mit »New Morning« sagen, braucht man nichts dringender als die Liebe zu den Frauen und zu Gott. In den meisten der zwölf Songs spricht er von seinen Liebschaften; der letzte ("Father of Night") ist ein Gebet.