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SPIEGEL-GESPRÄCH »Wie im richtigen Leben«

Die Schauspielerin Senta Berger über ihre wechselhafte Karriere, stieselige Männer, wehleidige Frauen und ihren neuen Fernsehfilm »Mit fünfzig küssen Männer anders«
Von Angela Gatterburg und Nikolaus von Festenberg
aus DER SPIEGEL 14/1999

SPIEGEL: Frau Berger, »Männer bleiben ihr ganzes Leben lang kleine Jungen«, sagen Sie als Malerin Marie in Ihrem neuen Fernsehfilm. »Und wir Frauen sind so blöd, das mitzumachen.« Entspricht das Ihrer Erfahrung?

Berger: Ja. Das hat sicher immer noch mit der Rolle zu tun, die Söhne von ihren Müttern zugewiesen bekommen. Daraus definiert sich die Rollenverteilung von Mann und Frau. In diesem Film geht''s um eine Frau, die den Wunsch nach Veränderung hat. Und auch die Kraft dazu. Diese Marie will nicht, daß es mit dieser eingespielten Zweisamkeit so weiterläuft wie bisher.

SPIEGEL: Es geht auch um eine älter gewordene Ehe.

Berger: Fellini hat mal sinngemäß gesagt: »Früher, als wir ganz jung waren, da haben meine Frau und ich alles voneinander ge-

* Den Film von Margarethe von Trotta zeigt die ARD am 9. April um 20.15 Uhr.

wußt. Aber heute?« Das hat mich damals erschreckt, das fand ich sehr traurig. Heute sehe ich es anders. Man lernt im Laufe der Jahre viel an Rücksichtnahme, man weiß, was man dem anderen zumuten kann, was man besser für sich behält. Und in dieser Fernseh-Ehe geht es so zu, daß hinter einer schokoladisierten Oberfläche viel Bitterkeit steckt und Aufruhr. Ich finde diese Frau mutig, die so nicht mehr leben will und sagt: Ich geh'' lieber. Es ist mutig; ob es richtig ist, ist eine andere Frage.

SPIEGEL: Prüfen Sie eine Rolle daraufhin, ob sie mit Ihrem Leben zu tun hat?

Berger: Das wäre ein wenig simpel für mein Verständnis vom Schauspielerberuf. Andererseits ist es ideal, wenn ich eine Rolle aus meiner eigenen Phantasie und Erfahrung so gestalten kann, daß sie Neugier und Interesse erregt. Ich glaube, daß die Zuschauer genau fühlen, ob sie einem Schauspieler vertrauen können. Ich versuche, meine Rollen so zu spielen, daß ich glaubwürdig bin.

SPIEGEL: Ihr Ehemann in diesem Film ist ja ein rechter Stiesel.

Berger: Das kann man wohl sagen. Aber der Film zeigt gleichzeitig, was in der Realität auch gilt: Jahre binden, auch wenn man das nicht will. Und ich glaube, daß sich vor allem Frauen viel mehr als Männer überlegen, ob sie ein Lebenskapitel beenden sollen. Man hat Kinder miteinander, der Mann hat einen bei Nacht zur Entbindung in die Klinik gefahren. Natürlich ist der Mann ein Stiesel, er ist schön häuslich eingewöhnt und möchte am liebsten nichts ändern. Warum sollte er auch? Und in dem Film kommt dann die Frau plötzlich daher, raucht heimlich im Badezimmer und wird aufmüpfig, will anfangen zu malen, will einen Dachboden mieten. Das ist alles zwar ziemlich komödiantisch erzählt, hat aber natürlich einen realen Hintergrund.

SPIEGEL: Früher, vor 20 Jahren, hätte man da diese Geschichte kämpferischer erzählt?

Berger: Klar, Fernsehen versucht die Geschichten abzubilden, die wir momentan auch in der Gesellschaft erleben, vielleicht mit weniger Schärfe. Und ich frage mich auch manches Mal, wo ist dieses politische Engagement, dieser Kampfgeist von früher geblieben?

SPIEGEL: Warum schmeißt die Frau den Mann nicht einfach raus?

Berger: Dazu ist die Bindung zu tief. Das hat mit Emanzipation nichts zu tun. Menschen sind gebunden durch ihr Gefühl. Das macht es so schwer, und das macht es so interessant. Das sind die Fragen, die ich mir privat auch stelle: Will ich auf meinen Mann wieder und wieder zugehen? Und er fragt sich das umgekehrt auch.

SPIEGEL: Haben es heute junge Leute mit sich leichter?

Berger: Ich habe zwei Söhne, die von uns emanzipiert erzogen worden sind. Ich glaube ja nicht, daß sich Frauen gegen den Mann emanzipieren können, sondern nur mit ihm. Meine Söhne respektieren ihre Freundinnen ...

SPIEGEL: ... weil die Mädchen ihnen keine andere Wahl lassen.

Berger: Falsch. Die Mädchen, die ich in den letzten Jahren als ihre Freundinnen kennengelernt habe, sind mir eigentlich zu anschmiegsam, sehr bedacht auf weibliche Anpassung. Sie reden zwar ruppig daher, aber diese ruppige Sprache kaschiert nur Unsicherheit. Und Politik spielt bei diesen jungen Frauen überhaupt keine Rolle mehr, ich frage mich, woher das kommt.

SPIEGEL: Ist für diese jungen Frauen das Wort Emanzipation ein Schimpfwort?

Berger: Na ja, die Töchter von heute bauen auf dem auf, was bereits da ist. Und trotzdem, wenn ich jetzt 17jährige Mädchen ermutige, klar ihre Meinung zu sagen, sind die erschrocken. Sie haben zwar eine, aber sie trauen sich oft nicht, sie auszudrücken.

SPIEGEL: Was fürchten sie?

Berger: Daß die Jungens sie nicht attraktiv finden, wenn sie ihren eigenen Kopf haben. Daß eigener Sinn eher bestraft als belohnt wird.

SPIEGEL: Viel geändert hat sich für die Frauen also nicht?

Berger: Nein. Das ist ja mein Thema. Ich kann das nicht verstehen. Aber vielleicht sind die jungen Leute heute einfach allergisch gegen bestimmte Begriffe. »Bewußtseinserweiterung« war so ein Wort aus der 68er Zeit, das ich irgendwann nicht mehr hören konnte. Nur bezeichnet es eigentlich was Wichtiges, was Richtiges.

SPIEGEL: Sie haben als Schauspielerin international Karriere gemacht und sich gleichzeitig für Willy Brandt, das Recht auf Abtreibung und für Umweltpolitik engagiert.

Berger: Ja, aber so heldenhaft war das damals nicht - dieses Engagement war Teil einer größeren, mitreißenden Bewegung. Natürlich passierte auch viel Unsinn bei den 68ern. Die allseits beschworene Liebe ist in Beliebigkeit ersoffen, und mir scheint es häufig so, als wäre wenig geblieben außer dieser Beliebigkeit. Das zeigt sich heute in einer vagen, unbestimmten Sprache. Die Kinder sagen: »Irgendwie find'' ich den total süß, ich bin irgendwie unheimlich verliebt.« Ohne »irgendwie« kann kaum ein Satz gesagt werden. Da ist ein Schutzmechanismus eingebaut in dem Satz, damit wird die eigene Meinung reduziert, ich finde das sehr schade. Mein Sohn, er ist 19, ist leicht genervt, wenn ich ihn frage: Was meinst du mit dem Spruch: »Das war total geil«?

SPIEGEL: Anything goes. Das entspricht einem realistischen Gefühl.

Berger: Kann sein. Ich bin gar kein unkritischer 68er Fan, war ich damals schon nicht. Aber ich bin politisch geworden in dieser Zeit, und das hat mir gutgetan. Die Verlogenheit, die Doppelmoral der fünfziger Jahre waren unerträglich. Also waren die Sechziger, Siebziger wichtig, und darauf können junge Menschen heute aufbauen. Aber sie müssen sich selbst motivieren, während die Motivation früher von der Gruppe ausging.

SPIEGEL: Der Mangel an sprachlicher Präzision offenbart Denkfaulheit?

Berger: Ja. Wer sich derart vage ausdrückt, gibt sich keine Rechenschaft über seine Gedanken, Gefühle, und das wird gefördert durch die Medien. Ich bin seit kurzem verkabelt und entdecke neuerdings bestimmte Sendungen, die diese Infantilität ausdrücklich fördern.

SPIEGEL: Da sind Sie erstaunlich spät dran.

Berger: Immer noch zu früh. Mir ist, was Sprache angeht, noch etwas anderes auf-

* Senta Berger mit Ehemann Michael Verhoeven, Mutter Therese, Söhnen Simon und Luca.

gefallen. Unser Film ist ja nach einem Roman gedreht. Frauen benutzen in diesen modernen Frauenromanen jetzt gern das sexuelle Vokabular von Männern. Das halte ich für einen Fehler, und es würde sich lohnen, darüber eine Komödie zu machen. Wissen Sie, ich fand das Wort »vögeln« immer herabsetzend, ich weiß ja, wie das aussieht, wenn zwei Amseln im Garten miteinander vögeln. Das Weibchen wird geduckt, und es geht alles ganz schnell. Diese Begriffe sind frauenfeindlich, ja sexfeindlich. Sexuelle Freiheit äußert sich nicht durch gewollt drastische Sprache.

SPIEGEL: Frauen unter Anpassungsdruck - das ist offenbar nicht nur in Ihren Filmen, sondern auch privat eines Ihrer Lieblingsthemen.

Berger: Ja, weil viele Frauen immer noch kleingemacht werden, man will sie lieb und handzahm haben. Ich möchte nicht wissen, wie viele Frauen das Gefühl haben, daß ihr Mann sie nicht ernst nimmt, sich über sie hinwegsetzt, sie lächerlich macht. Frauen brauchen Männer, die sie ermutigen, zu sich selbst zu stehen, ich habe da mit meinem Mann ungeheures Glück gehabt. Und ich verstehe, daß viele Frauen in den sechziger, siebziger Jahren in sogenannte Frauengruppen gerannt sind. Nur: Sich dort zu entleeren und sich was vorzujammern, wie heute in den Talkshows, ist noch kein Konzept. Man muß aktiv werden.

SPIEGEL: Nun sind ja keineswegs alle Frauen immerzu auf dem edlen Weg zu sich selbst. Sondern viele sind zerstörerisch, depressiv, destruktiv. Wo bleiben eigentlich die bösen Seiten, werden die unterschlagen in Ihren Rollen?

Berger: Nein. Ich denke nur an die jähzornige, oft dumme Gerdi. Oder an die depressive Charlotte aus »Sie und Er«. In meinen Rollen gibt es auch Bösartigkeit, Mutlosigkeit, Verzweiflung. In der Serie »Die schnelle Gerdi« beispielsweise spielte ich eine Frau, die ungerecht ist in ihrer Impulsivität und kindlich in ihren Erwartungen. Das hat mir großen Spaß gemacht. Geschönte Figuren sind leichter konsumierbar, aber gebrochene Menschen ungleich interessanter für den Zuschauer.

SPIEGEL: Sie sind jetzt 57 Jahre und spielen doch meistens die zupackende, ehrliche, erotische Frau, mit der sich jeder gern identifiziert. Sind Sie vielleicht deshalb eine der beliebtesten Darstellerinnen im Fernsehen und haben Ihre Fans in allen Altersgruppen?

Berger: Ich weiß es nicht. Der Film von Margarethe von Trotta »Mit Fünfzig küssen Männer anders« ist ein Stück gute Fernsehunterhaltung und vielleicht auch Ermutigung für Frauen, eine Bestätigung ihrer Gedanken. Der Film ist kein Lehrstück, aber amüsant, und das ist schon sehr viel.

SPIEGEL: Ihre derzeitigen Filme spielen im gehobenen Milieu, man kann sich sicher auch besser emanzipieren, wenn man das entsprechende Geld hat. Und auch Krisen in der Ehe lassen sich vielleicht besser bewältigen, wenn Geld da ist.

Berger: Geld kann auch ein Manko sein. In meiner Kindheit gab es fast keine geschiedenen Eltern. Es gab eine Menge schlechter Ehen, aber keine Scheidungen. Die Leute hatten wenig Geld, rauften sich wieder zusammen. Ich will das nicht verklären, aber es gab ein größeres Beharren, eine Ehe zu erhalten.

SPIEGEL: Senta Berger als glühende Verfechterin von Ehe und Familie?

Berger: Ja und nein. Aber ich finde die Verklärung des Single-Daseins auch nicht das Wahre. Vielleicht waren früher auch die Lebenslügen größer, aber ein bißchen Bemühen um den anderen finde ich wichtig. Die gesellschaftliche Entwicklung hat ja auch eine Art Kameraderie zwischen Männern und Frauen gestiftet,

* Mit Redakteuren Angela Gatterburg und Nikolaus von Festenberg in München.

die ich ziemlich unerotisch finde. Viele Leute sagen oft zu mir: Du bist doch schon so lange mit deinem Mann, das ist sicher viel Beziehungsarbeit. Also, dieses Wort ist grauenvoll, aber für mich war immer ganz klar: Ich will mit diesem Mann leben und alt werden, ich muß manches einstecken, und ich teile auch mal aus. Aber wir beide wollen zusammenbleiben. Und natürlich schätze ich Filme, die sich mit der Vielschichtigkeit von Beziehungen beschäftigen.

SPIEGEL: Interessieren Sie sich für die jüngeren Regisseure wie Detlev Buck, Nicko Hoffmann, Caroline Link?

Berger: Und viele andere. Die Beachtung, die der deutsche Film im Moment findet, freut mich. Mein Mann und ich waren vor neun Jahren mit »Das schreckliche Mädchen« für den Oscar nominiert. Aber in Deutschland hat das noch niemand zur Kenntnis genommen.

SPIEGEL: Haben Schauspieler es in Deutschland ganz besonders schwer?

Berger: Es ist merkwürdig. Ich habe lange in Italien gelebt und gedreht, und diese Art von Demontage, die Stars hier oft erleben, gibt es dort nicht.

SPIEGEL: Kontinuierliche Verehrung ist in Deutschland seltener?

Berger: Nicht Opernsängern oder Musikern gegenüber. Da ist man kritiklos, ist diskret, was das private Leben angeht, es sei denn, die Künstler stellen es selbst aus. Wenn in Frankreich etwa ein Film von François Truffaut herauskam, haben die Kritiker, wenn sie ihn nicht so geglückt fanden, ihr Bedauern formuliert, aber immer auch das Gesamtwerk gesehen. Während hier ein Künstler immer wieder bei Null anfängt. Kritiker sind gern hämisch, zynisch und hauen drauf.

SPIEGEL: Waren Sie denn jemals Schmähkritiken ausgesetzt?

Berger: Früher, als ich jünger war. Aber nur in Deutschland. Und mehr noch in meiner Heimat Österreich.

SPIEGEL: Brauchen Sie heute noch ein Wertesiegel der Kritiker?

Berger: Ja, sicher. Ein gutes Echo - über die Quote hinaus - ist wichtig, weil Kritiken auch materielle Folgen haben. Mein Mann und ich standen ein paarmal am Rande des Ruins, weil wir einen Film unbedingt machen wollten und privates Geld reingesteckt haben.

SPIEGEL: Senta Berger und ihr Mann Michael Verhoeven drohen aber nicht zu verarmen?

Berger: Wir sind nicht reich, weil wir das Geld immer wieder in neue Projekte gesteckt haben. Aber wir brauchen nicht mehr, als wir haben. Uns interessiert es, bestimmte Filme zu machen, auch wenn wir dabei ein hohes finanzielles Risiko eingehen und zwei Jahre unseres Lebens daran hängen.

SPIEGEL: Zu Ihrer Schauspielkunst gehören auch die leisen Töne, manchmal wie bei einem Kammerspiel. Wird das im Fernsehen schwieriger?

Berger: Eine gute, subtile Arbeit kostet einfach Zeit und Geld. Deshalb heißt es manchmal: »Das lassen wir jetzt einfach weg, die Zuschauer merken das sowieso nicht.« Oder: »Das machen wir jetzt so - das sehen die immer gerne.« Das ist zynisch. Ich möchte meinem Publikum zumuten, was ich mir selbst zumute: daß es nicht immer so glatt läuft, daß es Melancholie gibt und daß man nicht unbeschädigt durchs Leben kommt. Man kann ein kleiner, mieser Mensch sein, trotzdem darf man sich wünschen, ein besserer zu werden. Im Fernsehen und im richtigen Leben.

SPIEGEL: Frau Berger, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

* Den Film von Margarethe von Trotta zeigt die ARD am 9. Aprilum 20.15 Uhr.* Senta Berger mit Ehemann Michael Verhoeven, Mutter Therese,Söhnen Simon und Luca.* Mit Redakteuren Angela Gatterburg und Nikolaus von Festenbergin München.

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