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WEINHEBER-NACHLASS Wiener Gfrett

aus DER SPIEGEL 42/1966

War net Wien, wenn net durt, wo ka Gfrett is, ans wurdt«, reimte der österreichische Lyriker Josef Weinheber (1892 bis 1945) in seinem Mundart-Versband »Wien wörtlich« - zu deutsch etwa: Das wäre nicht Wien, wenn nicht dort, wo kein Gfrett* ist, eines entstehen würde.

Wie recht Weinheber damit hatte, beweist ihm die Donaustadt noch postum: Denn was im Testament des Dichters klar erschien, hat sich jetzt, 21 Jahre nach seinem Freitod, in Wiener Gerichtsstuben zu einem typisch bodenständigen Gfrett verwirrt.

Seit 1958 sucht die Justiz einen Erbschaftsstreit um Weinhebers nachgelassene Papiere zu beenden. Sie konnte es nicht. Ungeklärt blieb bis heute die Kernfrage: Ist literarische Hinterlassenschaft ein bewegliches oder geistiges Gut?

Der Gerichts-Streit um den Nachlaß des Lyrikers, aus dessen Werken kürzlich eine neue Auswahl auf den deutschen Buchmarkt kam**, erscheint dabei als durchaus angemessenes Nachspiel zum Leben Josef Weinhebers - es war selber voller Gfrett.

Der Kellner-Sohn und Waisenhauszögling aus Wien-Ottakring konnte sich weder auf dem Gymnasium noch auf einer Lehrstelle halten, ging zur Post und schrieb in der Freizeit Gedichte. 1917 wurde er von Karl Kraus entdeckt. Ein Leberleiden machte den Postler vollends zum Poeten: Weinheber wurde vorzeitig pensioniert und lebte fortan

nur der Kunst. Und dem Wein - zweimal kam er in eine Trinkerheilanstalt. Unglücklicher noch war des weinseligen Sängers Umgang mit dem weiblichen Geschlecht. Weinheber selbst hielt sich in dieser Beziehung für »nicht begabt«.

Seine erste Braut, die um zehn Jahre ältere englische Bildhauerin Irmgard Steward Willfort, wollte den stürmisch werbenden 24jährigen Postadjunkten lieber nicht heiraten. Die drei Jahre ältere Emma Fröhlich trennte sich nach einem knappen Ehe-Jahr von ihm. Mizzi Sladek, eine resche Fesche aus Ottakring, starb in der Verlobungszeit.

Erst die Verbindung (1927) mit der Buchhändlerswitwe Hedwig Krebs ließ sich gut an. Mit ihr lebte Weinheber bis zu seinem Ende - allerdings nicht ohne Intermezzi: 1937 verliebte sich der Lyriker in die Linzer Philologiestudentin Gerda Janota. Gattin Hedwig duldete die Liaison auch dann noch, als Gerda Janota 1941 ihrem Geliebten einen Sohn schenkte. Der Knabe Johann Christian - Weinhebers einziges Kind - war dein Dichter hochwillkommen: Ohne Zögern erkannte er seine Vaterschaft an.

Zu dieser Zeit war Weinheber längst berühmt geworden - vor allem im Großdeutschen Reich des Österreichers Adolf Hitler. 1942 überreichte ihm Gauleiter Baldur von Schirach den Ehrenring der Stadt Wien.

Aber Weinheber war ein unglücklicher Mitläufer der Nazis. Der »große Lyriker und große Schlemihl« Weinheber, so plädierte sein einstiger Lektor Ernst Stein in der »Zeit«, sei ein Opfer seiner »politischen Unbeschlagenheit« und »Einfalt« geworden: »Als ihn über Nacht der Ruhm antrat - bald nach 1933 -, ging der Mensch an dem zweischneidigen Erfolg zugrunde.«

Als das Hitler-Reich zugrunde ging, war der »Hyperion aus Ottakring« (Stein) schon physisch und psychisch ruiniert. Am 8. April 1945, vier Tage vor dem Sowjet-Einmarsch im niederösterreichischen Kirchstetten, wo er sein Landhaus besaß, schluckte Weinheber eine Überdosis Morphium.

Das offizielle Österreich nahm seinen populärsten Lyriker erst 1965 wieder zur Kenntnis - als der Präsident der »Österreichischen Widerstandsbewegung«, Franz Sobek, eine Weinheber -Gedächtnisausstellung eröffnete.

Diese Ausstellung vereinigte alles Gedruckte von Weinheber, sein unveröffentlichter Nachlaß jedoch fehlte. Um ihn wird seit dem Tod der Weinheber -Gattin Hedwig vor nunmehr acht Jahren zäh gerauft. Die Kontrahenten sind

- der außereheliche Weinheber-Sohn

Johann Christian Janota, 25, und

- die Nichte der Dichter-Witwe Hedwig, die Buchhalterin Hedwig Formanek, 54.

Im Testament hatte Weinheber verfügt. Ehefrau Hedwig erbt das bewegliche Gut; die sonstige Habe - Haus, Grund und die Erträgnisse aus den Weinheber-Werken - darf sie nur verwalten und auf Lebenszeit nutzen; nach ihrem Tod sollten letztere in den Besitz von Johann Christian Janota übergehen.

Frau Hedwig glaubte diesen letzten Willen unmißverständlich zu beherzigen, als sie ihrerseits letztwillig ihrer Nichte Formanek nur das bewegliche Erbteil (Bilder, Schmuck, Weinhebers Arbeitszimmer-Möbel) vermachte.

Die Buchhalterin Hedwig Formanek jedoch war anderer Ansicht. Sie reklamierte als »beweglich« auch den gesamten literarischen Nachlaß Weinhebers, unter anderem

- zwei dem Dichter gewidmete Notenblätter von Richard Strauss,

- Originalbriefe der Schriftsteller Erwin Guido Kolbenheyer, Börries von Münchhausen und Leo Perutz,

- zahlreiche Liebesbriefe und Verehrerinnen-Post sowie

- Terminkalender, Notizbücher und

Skizzen des Dichters.

Um diese Papiere zu erringen, geht Hedwig Formanek vor Österreichs oberstes Gericht. Überdies appelliert sie an das österreichische Parlament, den Streit endlich zu ihren Gunsten zu beenden.

Weinhebers ehemalige Gefährtin Gerda Janota wiederum, heute eine verehelichte Stadler und Likörfabrikantin, sieht in ihrem illegitimen Weinheber -Sohn Johann Christian den einzigen legitimen Erben der bislang verschlossenen Nachlaß-Kisten.

Dabei wird die Entscheidung der Richter am Ende - wie es sich für ein rechtes Gfrett geziemt - recht gleichgültig sein.

Gerda Janota-Stadler: »Unsere Seite handelt selbstlos. Mein Sohn will nichts behalten. Er wird alle Schriftstücke der Wiener Nationalbibliothek überlassen.«

Und Hedwig Formanek: »Ich möchte den gesamten Weinheber-Nachlaß der Wiener Nationalbibliothek schenken.«

* Gfreitt - Durcheinander, komplizierte Lind peinliche Verwicklung

** Josef Weinheber: »Gedichte« Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg; 488 Seiten; 14,60 Mark.

Dichter Weinheber, Geliebte Gerda Janoto

Sohn willkommen

Weinheber-Sohn Johann Christian

Beweglich oder geistig

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