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FILM / WESTERN Wilde Horde

aus DER SPIEGEL 43/1969

Einst haben die Kerls auf den Pferden gehockt und mit dem Colt in der Hand den amerikanischen Traum von einer heilen Welt verteidigt.

Gut 65 Jahre lang, seit in den USA der erste Wildwestfilm gedreht wurde ("Der große Zugüberfall"), waren die rauhbeinigen Hollywood-Helden mit den Drei-Gallonen-Hüten überm verwitterten Gesicht -- Hopalong Cassidy, Tom Mix, Buffalo Bill -- stets faire Schützen und treue Verfechter von Ruhe und Ordnung.

Doch damit ist es vorbei. Nun geht es nicht mehr um Ordnung, Gewissen, Ehre und Vaterland im Wilden Westen. Eine neue Heroen-Generation kennt nur ein Gesetz: Töten. Der Auftrag dazu ist meist anonym, die Rechtsgrundlage verschleiert, und allein das Motiv ist klar -- Eigennutz.

Ohne Ansehen der Person und der Auswirkungen -- bisweilen wird geradezu versehentlich etwas Gutes bewirkt -- richten die neuen Idole, Typen mit Namen wie Django, Amigo oder Mercenario, auch aus dem Hinterhalt ihre Colts und Maschinengewehre auf jeden, dessen Tod ein fettes Kopfgeld verheißt.

Sie säubern die Prärie wie Kammerjäger, sie sind Killer, die das Prinzip der Leistungsgesellschaft -- freie Bahn dem Tüchtigen -- bis zur Perversion überspannen -- und das haben sie nicht im mythenfrommen Hollywood gelernt.

Die kühlen Mordspezialisten zu Pferde sind in italienischen Filmstudios ausgebildet worden: Rund 300 Italo-Western, die meisten davon Publikums-Erfolge, haben die bis 1965 konkurrenzlose Hollywood-Produktion von 50 auf nunmehr rund 20 Pferdeopern jährlich schrumpfen lassen. Dagegen setzten sich die um ihren Profit gebrachten Studio-Bosse zur Wehr.

Sie bauten in ihre Wildwest-Epen lange Brutal-Sequenzen ein ("Der große Schweiger"), beschäftigten bewährte Italo-Stars -- so Clint Eastwood in »Hängt ihn höher« -- und gaben auch dem Mit-Erfinder dieser »Spaghetti-Western« (US-Branchenjargon), Sergio Leone ("Spiel mir das Lied vom Tod"), eine Hollywood-Chance. Aber was sie auch versuchten -- ihre Western-Produkte nach italienischer Art wirkten rückständig und konnten die Vorbilder nicht erreichen.

Der durch falsche Stoffwahl, schwerfälliges Management, überhöhte Produktionskosten und Fernsehkonkurrenz ohnehin gehandikapten US-Filmindustrie kam in diesem Sommer nun ein Außenseiter zu Hilfe, der in den großen Studios bislang nie recht anerkannt worden war: Sam Peckinpah, 44.

Der Regisseur, Drehbuchautor und Darsteller indianischer Abstammung hatte nach seinem Studium jahrelang kalifornische Fernsehstudios fegen müssen und noch nach seinem erfolgreichen Kinodebüt mit den Western »Gefährten des Todes« (1961) und »Sacramento« (1962) unter Produzenten-Willkür zu leiden gehabt:

Peckinpahs Film »Sierra Charriba« (1965) kam nur zustande, weil der Star Charlton Heston während der -- überzogenen -- Drehzeit auf seine Gage verzichtete (300 000 Dollar). Zudem wurde das fertige Werk vor dem Kino-Start hinter dem Rücken des Regisseurs verstümmelt. Das vierte Projekt ("The Cincinnati Kid") schließlich scheiterte an einem Streit mit dem Produzenten schon nach wenigen Tagen -- Peckinpah wurde gefeuert und mußte vier Jahre als Film-Regisseur pausieren.

Nach seinem fünften Anlauf jedoch liegt er nun ganz vorn. Unter dem Titel »The Wild Bunch« (Die wilde Horde) hat er endlich den »ersten wirklich interessanten in Amerika produzierten Western seit Jahren« ("The New York Times") abgeliefert und die Antwort auf den Italo-Western gefunden. Peckinpahs Rezept: Hollywood-Perfektion plus »italienische« Brutalität.

Gleich zu Beginn des über zwei Stunden dauernden Farbfilms, wenn der Horden-Führer Pike Bishop (William Holden) mit seinem Stellvertreter Dutch (Ernest Borgnine) beim versuchten Raubüberfall auf die Bahnstation seinem Verfolger und ehemaligen Kumpan Thornton (Robert Ryan) In die Falle reitet, singen die Kugeln, splittern die Knochen, wird nahezu die ganze Bevölkerung des idyllischen Texasstädtchens San Rafael ausgerottet.

Der Schluß dieser makabren, mit debilen Desperados, lemurenhaften Guttemplern und geilen Weibern ausstaffierten Wildwest-Apokalypse, die um 1914 spielt, übertrifft selbst das Ende von »Bonnie und Clyde« an Grausamkeit: Im Massaker zwischen Bishops Outlaws und der Truppe eines mexikanischen Banditengenerals fallen 90 000 Schüsse, gestorben wird deutlich -- im Zeitlupentempo. Thorntons Leute, die verspätet am Tatort eintreffen, können nur noch die Leichen fleddern.

Bereits bei der ersten Vorbesichtigung des Films in den USA, so berichtet der Regisseur, flüchteten 32 Zuschauer vor dem Finale aus dem Kino. Sie hatten auch so genug auszustehen: den Anblick von Pike Bishops unappetitlichen Ex-Kavalleristen etwa, die sich dauernd streiten, sentimentalen Erinnerungen nachhängen, saufen, ein Bordell besuchen und sich, von unbewußter Lust am Untergang getrieben, auf ihr größtes Abenteuer einlassen -- die Plünderung eines Nachschubzuges der US-Armee.

Sie rauben Waffen und Munition ausgerechnet für jenen mexikanischen Offizier mit den deutschen Militärberatern, der sie um den Lohn betrügt und ein Bandenmitglied hinter einem Auto über steinige Straßen schleifen läßt. Bishops Rache, zu der ihn, ganz wie im klassischen Wildwestfilm, die Ganovenehre verpflichtet, bringt dann ohne Aufschub das große Inferno in Gang -- keiner überlebt.

Peckinpah, der den Film »auch unerträglich« findet, will freilich sein Kino der Grausamkeit nicht als Selbstzweck verstanden wissen »Ich mag keine Gewalt«, sagt er und vertraut auf den »kathartischen Effekt« der Schlacht-Szenen: »Ich habe versucht zu zeigen, was für eine Hölle es ist, erschossen zu werden.«

Der Versuch, auf dem Höhepunkt amerikanischer Vietnamkriegs-Müdigkeit gewagt, ist gelungen. »The Wild Bunch«, mit dem Titelzusatz »Sie kannten kein Gesetz« jetzt auch in deutschen Lichtspielhäusern angelaufen, hat den alten Western-Mythos von der rauhen Welt, die jedoch spätestens nach dem Showdown wieder in Ordnung ist, durch ein künstlerisch nahezu fehlerfreies Sinnbild einer gewalttätigen Gesellschaft ersetzt.

Resignierend zeigt Peckinpah Kinder, die sich am Kampf zweier Skorpione erfreuen, Termiten verbrennen und mit weit aufgerissenen Augen Zeugen eines Blutbads werden. Unerbittlich läßt er seinen negativen Helden hinterrücks von einem kampflustigen Halbwüchsigen umlegen -- gleich die nächste Kugel zerfetzt den Schützen.

Doch diese Mondo-Cane-Vision bleibt nicht Peckinpahs letzter Ausblick: Ganz am Ende, als das Pulver schon verschossen scheint, bringt er die Anhänger des mexikanischen Freiheitskämpfers Pancho Villa aufs Schlachtfeld. Sie überwältigen die Leichenfledderer und erobern die Waffen: »Viva la revolución«.

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