FORSCHUNG / AFFEN Wilderer im Revier
Der erste Krieg der Menschheit wurde gegen die Affen geführt. Stöcke und Steine waren die Bewaffnung. Die Affen waren die Verlierer.
Sie tragen bis heute an dieser Niederlage. Denn nach der Ur-Schlacht mußten die Besiegten -- heimatvertrieben und für alle Zeiten intelligenzgebremst -- aus Savanne und Steppe wieder in den Urwald weichen.
Diese verblüffende These vom wieder entmenschten Affen glaubt der prominente Amsterdamer Verhaltensforscher und Biologe Adriaan Kortlandt, 49, jetzt schlüssig belegt zu haben. Auf sechs Expeditionen zu den Schimpansen in Zentralafrika sammelte der Affenforscher Indizien. Und während der letzten Expedition gelang einem Kortlandt-Team ein besonders schlagkräftiges Experiment.
Mit einer -- von Kortlandt erfundenen -- Feind-Attrappe waren die Wissenschaftler auf Pirsch gegangen: mit einem ausgestopften Leoparden. Ein Autoscheibenwischer im Vorderteil des Stofftieres schwenkte den Kopf hin und her, ein zweiter ließ den Schwanz wedeln. Als ein Trupp von 20 Schimpansen des Weges kam, zogen Kortlandts Assistenten das Stofftier aus dem Versteck ins Freie.
»Dann war die Hölle los«, berichteten die Expeditionsmitglieder. Heulend und kreischend bewaffneten sich die Affen mit Knüppeln und gingen im Halbkreis gegen den Leoparden vor. Sie rissen kleine Bäume aus und Äste ab, entblätterten sie und schwangen ihre Schlagstöcke drohend über dem Kopf. Etliche Tiere rafften Steine, Holz, Grasbüschel auf und bewarfen damit das wedelnde Raubtier. Wie Messungen ergaben, muß ein Keulenende mindestens in einem Fall mit einer Geschwindigkeit von 90 Stundenkilometern auf die Attrappe niedergesaust sein.
Es war das erstemal, daß Schimpansen in Freiheit beim Einsatz von Schlag-, Hieb-, Stichwaffen und Wurfgeschossen gefilmt wurden. Und Kortlandt hält dieses Filmwerk für eines der bedeutsamsten Dokumente zur Aufhellung der Stammesgeschichte von Menschen und Affen.
In Zoologischen Gärten hatten Affen von jeher durch allerlei Fähigkeiten und Fertigkeiten überrascht, die sie in der Freiheit offenbar nicht anwenden. So war die Vermutung aufgekommen, daß die Schimpansen im Urwald gleichsam unter ihrem intellektuellen Niveau leben, das ihnen -- nach Kortlandts Urteil -- eigentlich erlauben müßte, eine primitive Art von Steinzeitkultur zuwege zu bringen.
Unerklärlich aber erschien den Zoologen vor allem, auf welche Weise sich bei den Schimpansen Fähigkeiten wie der aufrechte Gang oder der physiologisch recht komplizierte Vorgang des zielsicheren Werfens überhaupt habe entwickeln können, wenn die Tiere seit je im Urwald gelebt hätten: Im Vegetations-Labyrinth des afrikanischen Regenwaldes bietet das Gehen auf zwei Beinen keinerlei Vorteil, und für das Zielen mit Wurfgeschossen ist der Urwald ein denkbar ungeeignetes Gelände.
Solche Ungereimtheiten würden verständlich, wenn Kortlandts Hypothese vom nachträglich »dehumanisierten« Schimpansen zutrifft. Vor etwa zwei Millionen Jahren, so nimmt der Forscher an, hatten die Schimpansen schon den Urwald verlassen und als Bewohner von Savannen und Steppen einen höheren, »humanisierten« Stand der Evolution erreicht.
Im freien Land, so Kortlandts Hypothese, mußten die vormaligen Baumkletterer die Fähigkeit zu aufrechtem Gang erwerben. Damit wurden ihre Hände frei, just zur rechten Zeit, denn anders als im Wald konnten sich die Affen in der Steppe ihren Gegnern nicht mehr durch die Flucht in die Wipfel entziehen, sie mußten sich -- zum Beispiel gegen Leoparden -- bewaffnen.
Die Waffen, die sie für diesen Zweck entwickelten nutzten die Affen dann auch zur Jagd Damit aber wurden sie zur Konkurrenz für den gleichfalls nach Nahrung jagenden Vormenschen -- beargwöhnt und verfolgt als Wilderer im Revier.
Obgleich die Vormenschen jener Zeit nur wenig größere Gehirne hatten als die Schimpansen fiel die Entscheidung zugunsten des Vormenschen aus, der möglicherweise bereits den Speer, die erste Fernwaffe. erfunden hatte.
Als die Schimpansen nach dem vielleicht jahrtausendelangen Kampf in den Urwald zurückkehrten, degenerierten damit auch ihre einst in der Steppe erworbenen Fähigkeiten. Aus Jägern und Fleischfressern wurden wieder Vegetarier -- so jedenfalls in den zusammenhängenden Waldgebieten.
Dort aber, wo der Wald durch Savannen und Steppen unterbrochen wird, sind bei den Schimpansen, wie Kortlandts Expeditions-Experiment in Nordwest-Guinea bewies, zumindest noch Reste von Waffengebrauch und Verteidigungsbereitschaft zu finden. In einer ähnlichen Landschaft in Tansania, wo die britische Zoologin Dr. Jane van Lawick-Goodall jahrelang in der Wildnis mit Schimpansen lebte. beobachtete sie die Menschenaffen bei der Jagd auf Antilopen und Wildschweine.
Auch eine Umfrage unter allen grollen Zoologischen Gärten stützte Kurtlandts Hypothese von der verhinderten Fortbildung der Schimpansen. Zoos beziehen aus dem Tierhandel überwiegend Urwald-Schimpansen. In jenen Tiergärten jedoch, die ihre Schimpansen in geräumigen Freianlagen halten, entpuppen sich die Tiere häufig mit der Zeit als treffliche Zielwerfer und Knüppelschwinger.
Daraus zieht Kortlandt den Schluß, daß das Talent zum Waffengebrauch auch den dehumanisierten Urwald-Schimpansen noch angeboren ist -- nur bleibt es in ihrer Wald-Heimat verborgen, weil es zum Training dort keinen Anlaß gibt.
Daß die Schimpansen, eigentlich zu Höherem geboren, nunmehr als verhinderte Kulturwesen im Wald hocken, sieht Affenforscher Kortlandt schließlich auch durch eine völkerkundliche Parallele bestätigt: Der Konkurrenzdruck überlegener Stämme drängte einst die Pygmäen, die Zwergvölker in Mittelafrika, in den Urwald zurück.
Dort ringen sie nun mit einem Nahrungs-Konkurrenten, der von ihren hochzivilisierten Artgenossen nur noch als Zoo-Kuriosum bestaunt wird: dem Gorilla. In der Sprache der Pygmäen ist der Kampf gegen Gorillas nicht »Jagd«, sondern »Krieg«.