ADENAUER Will bleiben
Wech mit dem Bundeskanzler«, ließ sich die Stimme Konrad Adenauers aus dem Lautsprecher vernehmen. Sekunden später erläuterte der Regierungschef: »Dat is dumm.«
Rundfunkhörer in Norddeutschland und Berlin, die in der vergangenen Woche Zeugen dieser Bekundungen wurden, hatten allerdings keinen Grund, dieser Kanzler-Einsicht Gewicht beizumessen. Sie diente nur als Beispiel in einem Sprachkursus, den das anspruchsvolle »Dritte Programm« des Norddeutschen Rundfunks und des Senders Freies Berlin als Beitrag zum Karneval sendet: »Lernt Rheinisch mit dem Bundeskanzler.«
Seit Mittwoch letzter Woche sucht Norddeutschlands Intellektuellen-Welle in einer allabendlichen Kurzsendung (20.05 Uhr bis 20.12 Uhr) der »unnachahmlichen Sprachmelodie« des Bundeskanzlers und jenen geheimen Wechselwirkungen auf die Spur zu kommen, die zwischen Adenauers Sprache und Denken bestehen. Die akustischen Belege bringt der Kanzler selbst bei, der mit Sprüchen eingeblendet wird wie: »Das Jahr 1961 hat zwölf Monate. Das kann niemand bestreiten.«
Nicht immer sind solche Kanzler -Formulierungen authentisch: Einen Großteil ihrer Beispiele haben die sprachbeflissenen Funkleute aus Kanzler-Tonbändern zusammengeschnitten. So kommt es, daß Konrad Adenauer
- dekliniert: »die Soffjetunion, der Soffjetunion, der Soffjetunion, die Soffjetunion« und
- Zahlwörter übt: »ein Ehrendoktor, zwei Ehrendoktoren, drei Ehrendoktoren, 16, 17, 18 Ehrendoktoren, 30, 40 Ehrendoktoren, fünef-n-fünefzich Ehrendoktoren, 100 Ehrendoktoren, 36 000 Ehrendoktoren, Millionen Ehrendoktoren«.
Autoren dieser nach Lehrplänen gegliederten und durch Merksätze ("Kanzler-Rheinisch zerfällt in Emotional-Rheinisch und Kommuniqué-Rheinisch") geordneten Sendung in sieben Folgen sind zwei Bonner Journalisten: Dr. Karl-Heinz Wocker vom Sender Freies Berlin und Claus Heinrich Meyer von der »Stuttgarter Zeitung«.
Wocker und Meyer durchstöberten zahllose stenographische Protokolle und prüften 25 Kilometer Tonband, ehe sie ihre karnevalistisch-linguistische Analyse anfertigten. Besonders intensiv erforschten sie dabei die Satzlänge und die Satzstellung der Kanzler-Sprache. Die Prüfung von 350 zusammenhängend
gesprochenen Kanzler-Sätzen ergab eine mittlere Satzlänge von 13,3 Wörtern.
Der längste Adenauer-Satz, den sie aufspürten, hatte 59 Wörter - wobei die Anrede ("Meine Damen und Herren") noch zweimal als Injektionalparenthese wiederkehrte; mithin ergab sich ein Netto-Maximalsatz von 47 Wörtern. Der Netto-Minimalsatz bestand aus drei Wörtern: »Ich will bleiben.«
Was die Sprachforscher aus den tönenden Kanzler-Konserven herausklaubten (original oder zusammengestückelt), veranlaßte sie zu Schlußfolgerungen wie:
- »Kanzler-Rheinisch ist eine Fortsetzung der Außenpolitik mit anderen Mitteln.
- Bei der Benutzung komplizierter Sätze steht der Kanzler ständig vor einem Abgrund an Landesverrat.«
Und: »Anomalien verraten über einen Tätbestand mehr, als der Kanzler eigentlich sagen will.« Kanzler-Einblendung: »Dann werden verhandelt werden zwischen Präsident Kennedy und mir sehr wichtige Fragen.« Kommentar: »Diese völlige Satzumstellung verrät deutlich den Widerwillen des Sprechenden gegen das, wovon die Rede ist.«
Ebenso liebevoll wie des Kanzlers Schwierigkeiten, einen komplizierten Satz zu meistern, werden berühmte Aussprüche in ihrem eigentümlichen Klang vorgeführt: »Holen Sie mal einen aus Tanger 'eraus.«
Beim Detailstudium blieb den Sprachforschern nicht verborgen, daß Kanzler -Konsonanten eine besondere Bedeutung haben:
- g - »die taktische Atomwaffe im Spracharsenal des Kanzlers«, die er je nach Weltlage wie g, j oder ch spricht. Der Kanzler sagt stets »de Gaulle«, »Globke«, »Gehlen«, »Geheimfonds«. Aber - so der Kommentar - »würde er eines Tages de Johl sagen, wäre das ein sicheres Indiz für das Begräbnis einer großen Freundschaft«.
- w - wie in »Soffjetrußland«. Kommentar: »Wir haben es, soll das heißen, nicht mit dem lieben alten Mütterchen Rußland zu tun, sondern mit einem janz gefährlichen internationalen Jechner.«
Welche Rolle Kanzler-ei und Kanzler-eu spielen, erläutert wiederum Konrad Adenauer selbst. Er liefert seine Diphthong-Beispiele, als habe er sie den Sprachforschern wirklich zusammenhängend ins Mikrophon gesprochen: »heute - teuer - deutsch - überzeucht - völlich feucht.« Zur Verdeutlichung: »überzeucht - überzeucht - fest überzeucht.«
Die »herrlichsten Sachen« dieser Sprache freilich habe er, so bedauert Wocker, gar nicht auftreiben können. »Der phonetische Nachlaß des Kanzlers befindet sich in einem chaotischen Zustand ... Und so werden die wertvollsten Zitate der Nachwelt wohl leider verlorengehen ...«
Insbesondere schmerzt ihn, daß von der mittlerweile berühmt gewordenen Adenauer-Plauderei im Gürzenich ("Die Situation ist da") aus dem Jahre 1956 nur eine stenographische, - aber keine akustische Aufzeichnung mehr existiert. Denn damals fielen Sätze, wie sie selbst die Funkleute nicht zusammenzustückeln wagten: »Je einfacher denken, ist oft eine wertvolle Gabe Gottes.«
Sprachforscher Wocker
Das Kanzler-Rheinisch ...
Sprachforscher Meyer
... hat 13,3 Wörter je Satz