Sie wollten beide »gute Schauspieler werden«, aber nach ein paar Jahren Praxis hatten sie das ganze Theater satt. Barbara Sichtermann, 28, und ihr Freund Jens Johler, 25. sind zwei der vielen deutschen Bühnen-Deserteure.
Die behende Barbara (Vater: Banksyndikus in Kiel) und der bedächtige Jens (Vater: Fabrikant in Hamburg) waren ganz alltäglich zur Bühne gekommen. Barbara hatte »schon als Kind Theater gespielt«; Jens hatte »viel Thomas Mann gelesen« und Künstlertum als Flucht in eine reinere Welt begrüßt.
Doch anders als viele ihrer Kollegen begnügen sich Jens und Barbara nicht, über ihre mißlichen Erfahrungen zu räsonieren; sie können sie rationalisieren. In Berlin-Kreuzberg, dem Maquis der Linken, in Kammern von kargem Emigranten-Look. zeichnen sie ihr Künstlerleben kritisch nach.
Unordnung und frühes Leid begegnete ihnen schon auf der Schauspielschule. Statt einer »rational erfaßbaren Darstellungstechnik« boten ihnen die Lehrer »wissenschaftsfeindlichen Irrationalismus«, »dilettantische Adaptionen des Zen-Buddhismus und des Joga«.
»Todschicke kleine Jungkünstler liefen da herum«, erinnert sich Barbara an ihre Bochumer Schule, »und übten ihre Ausbrüche.« Statt den Schauspieleleven zu »emanzipieren«. werde er zum »marktgerechten Typ« abgerichtet, zum »Vorsprechknüller«, der sich gut an ein Theater verkaufen läßt und der sich einredet: »Zum echten Schauspieler gehört immer Prostitutionsbereitschaft.«
Am Theater dann (Jens war in Dortmund, Barbara in Bochum) gelangten sie in eine Welt, der sie eigentlich hatten entfliehen wollen -- in eine wölfische Welt, feindlich aller »Kollektivarbeit«, geschüttelt von »Konkurrenzfieber«, geleitet von der Regel: »Der Schauspieler muß, wenn er die für ihn einzig richtige Strategie verfolgt -- nämlich Star zu werden -, immer gegen seine Kollegen arbeiten.«
Dem Regisseur gegenüber, freilich, muß er folgsam sein, denn er will »ja »erneut und vorteilhaft eingesetzt werden«. Mit Kummer sah Barbara, wie willfährig sich Schauspieler dirigieren ließen: »Reine Exekutiv-Organe röhrten da herum.«
Unzufrieden mit der ungenügenden Ausbildung, und weil sie sich »gegenseitig beschissen fanden«, begannen Jens und Barbara, ihre Spieltechnik zu analysieren und zu verbessern; aber auch die »elementaren Mißstände« am Theater, die »totale Machtlosigkeit« des Schauspielers, die »autoritären Strukturen« wollten sie verändern.
Angewidert von den Schauspielern, die »in masochistischer Weise die Notwendigkeit zu buckeln, zu kriechen und zu heucheln in ihr vermeintliches Boheme-Los aufnehmen«, verfaßten Jens und Barbara im vergangenen Jahr eines der ersten Mitbestimmungsmodelle fürs Theater; es war selbst »Che«-Poster-Liebhabern wie dem Dramaturgen Ernst Wendt zu radikal, und es half auch nichts.
So stiegen Jens und Barbara »aus dem Apparat aus« und versuchten in Berlin, »eine autonome Gruppe auf antiautoritärer Basis zu initiieren": Sie erprobten Agitprop- und Kommune-Formen, aber bald kamen ihnen »Zweifel an der Wirksamkeit politischen Theaters«. Nämlich: »Bewußtsein verändert sich nur durch konkrete Erfahrung. Diese vermittelt Theater nicht.«
»Solange die Linken Kunst machen statt Streiks zu organisieren, sind sie als Nervenkitzel willkommen": Jens und Barbara, nunmehr allen Theaters überdrüssig, gingen ganz ins Konkrete. Sie faßten den Plan einer Basisgruppe, Barbara näherte sich dem »Aktionsrat zur Befreiung der Frau«, und fürderhin wollen sie sich der Sozialarbeit widmen -- etwa in Fürsorgeheimen arbeiten, um schon den Kindern das richtige Bewußtsein zu vermitteln.
»Ins Theater gehen wir nicht mehr«, sagen sie, »nicht mal um darin Flugblätter zu verteilen.« Und Theaterspielen scheint Ihnen heute »peinlich«; nur Kindertheater halten sie für sinnvoll -- als Lehr-Methode.
Und die Kleinen haben ja noch viel zu lernen: Ein entlaufener Fürsorgezögling, bei Jens und Barbara temporär zu Gast, schoß ungeniert mit Darts-Pfeilen nach einem Bildnis. worauf der Onkel Ho zu sehen war.