SUPER-BABYS Wunder nach Wunsch
Gerda Grönum, 1 1/2, hat einen Sprachschatz von 200 Wörtern. Durchschnittliche Kinder gleichen Alters lallen »Mama«, »Auto«, »Papa« - allenfalls fünf bis zehn Wörter.
Paul Hoffmann, 2 1/2, nahm zwei Radios sorgsam auseinander. Dann steckte er die Röhren wieder in die passenden Sockel, verband zwei stromführende Drähte und beobachtete, wie der Stromfluß den Zeiger eines Amperemeters ausschlagen ließ.
Karl Oertle, 3, hilft in einer Autowerkstatt. Er sortiert das Werkzeug und überprüft den Reifendruck. Schon im Alter von drei Monaten hatte der Früh-Entwickler sitzen, mit sieben Monaten hatte er laufen können. Seit seinem ersten Geburtstag beantwortet er Telephonanrufe; seit er zwei Jahre alt ist, wählt er selbständig die Nummern der Kunden. Mittlerweile spricht er vier Sprachen - Englisch, Deutsch, Zulu und Afrikaans.
Gerda, Paul und Karl sind Wunderkinder nach Wunsch. Sie sind Nutznießer einer vorgeburtlichen Entwicklungshilfe, die der südafrikanische Medizin-Professor Ockert S. Heyns ersonnen hat:
Der Arzt steckte die Mütter der frühreifen Sprößlinge während der letzten Wochen vor der Geburt in eine Apparatur, die Unterdruck erzeugt. Durch diese Vorbehandlung, so glaubt Heyns, leitender Gynäkologe an der Witwatersrand-Universität in Johannesburg, können reihenweise Kinder mit einem Höchstmaß an geistiger Wendigkeit und körperlicher Behendigkeit geboren werden.
Ende letzten Monats veröffentlichte das Londoner »Sunday Times Magazine« den ersten umfassenden Erfahrungsbericht über die Entwicklung von tausend Kindern, die nach der Heyns-Methode vor ihrer Geburt behandelt wurden. »Eine Generation ungewöhnlich gescheiter Kinder«, prophezeite das britische Wochenblatt, »Super-Babys«.
Ursprünglich hatte Gynäkologe Heyns die Unterdruck-Methode entwickelt, um schwierige Geburten abzukürzen und den Wehenschmerz zu lindern. Sobald die Wehen einsetzten, überdeckte er den Leib der Schwangeren mit einer Fiberglas-Kuppel und hüllte die Patientin bis unter die Arme in einen luftdichten Plastiksack. Sodann verband er die Montur mit einem gewöhnlichen Haushalts-Staubsauger.
Durch das Abpumpen der Luft entsteht unter der abgedichteten Kuppel ein Unterdruck, der wiederum die Gebärmutter der Schwangeren vom pressenden Druck der Bauchmuskulatur entlastet. Unter dieser Dekompression kann sich, wie Heyns annimmt, die Gebärmutter bei den Wehen ungehindert zusammenziehen und das Kind leichter und schneller als gewöhnlich ausstoßen. »Als ich in dem Anzug steckte«, lobte eine der mit dem Dekompressions-Verfahren behandelten Frauen, ... konnte ich mich sogar während der Wehen mit meinem Mann unterhalten.«
Indessen wurde der Gynäkologe bald auf einen unerwarteten Nebeneffekt seiner Geburts-Hilfe aufmerksam gemacht. »Ärzte und Schwestern, redeten darüber«, berichtete Heyns, »daß man die Dekompressions-Kinder an ihren besonders wachen Augen erkennen könne.« Die Unterdruck-Babys waren durchweg am zehnten Lebenstag so weit entwickelte als wären sie einen Monat alt.
Wenn eine weniger strapaziöse Geburt den Kindern erkennbar förderlich, ist, so schloß der Arzt, müßte ihnen die gleiche Behandlung schon länger vor der Geburt von zusätzlichem Nutzen sein.
Heyns spekulierte, daß während der Unterdruck-Behandlung - durch eine zeitweilige Entspannung der Muskulatur im Mutterleib - das eingeengte Ungeborene reichlicher mit Blut versorgt würde. Das Kind, meint Heyns, erhalte auf diese Weise ein größeres Angebot an Sauerstoff, und Aufbausubstanzen und könne dadurch seine natürlichen Anlagen besser entfalten.
Schon die ersten Versuche mit der erweiterten Dekompressions-Behandlung
- Heyns steckt die werdenden Mütter
während der - letzten zehn Schwangerschaftswochen täglich für eine halbe Stunde in die Unterdruck-Montur -
zeitigten verblüffende Erfolge: Geistig zurückgebliebene Mütter, die während der Schwangerschaft nach dem Dekompressions-Verfahren behandelt worden waren, brachten fast ausschließlich besonders rege und offensichtlich gut begabte Kinder zur Welt.
Heyns veröffentlichte seine Befunde in dem Fachblatt der südafrikanischen Gynäkologen und Chirurgen, aber auch in dem renommierten britischen Mediziner-Journal »Lancet«, und er hielt Vortrag vor der »Königlichen Gesellschaft für Medizin« in London. »Lancet« kommentierte - schon 1964 -, eine »eingehende Prüfung« der in Südafrika ersonnenen Methode an europäischen Kliniken sei »wünschenswert«.
Ungeachtet solcher Empfehlungen ist das Verfahren, wie Heyns letzte Woche am Telephon erklärte, »außerhalb Südafrikas noch kaum erprobt«. Auch Westdeutschlands Mediziner haben von der gynäkologischen Neuerung offenbar bislang kaum Kenntnis genommen. Professor Heinz Kirchhoff, Göttingen: »In Deutschland nicht angewandt und nicht bekannt.« Professor Hanns Dietel, Hamburg: »Das könnte der Nürnberger Trichter sein. Aber die Methode muß sicherlich erst von anderen Teams überprüft werden.« Immerhin will Professor Kirchhoff nun mit seinem südafrikanischen Kollegen Kontakt aufnehmen und eventuell das Verfahren in seiner Göttinger Klinik erproben.
In der Johannesburger Klinik sind inzwischen mehr als 2000 Mütter nach dem Dekompressions-Verfahren behandelt worden; Heyns und seine Mitarbeiter konnten etwa die Hälfte der Super-Babys systematisch über längere Zeit beobachten.
Meßskala dieser vergleichenden Untersuchung war eine Normtabelle für die Entwicklung von Säuglingen und Kleinkindern, die der .. amerikanische Psychologe Arnold L. Gesell vor Jahren aufstellte. Den jeweiligen Reifegrad klassifizierte Heyns danach als Entwicklungs-Quotienten (EQ; Normwert für durchschnittlich Entwickelte: EQ 100).
Nach dieser Entwicklungs-Skala erwiesen sich die Super-Babys zwar nicht allesamt als Genies. Immerhin ließ sich feststellen, daß die Unterdruck-Kinder gegenüber Gleichaltrigen, deren Mütter nicht behandelt wurden, um durchschnittlich 15 EQ-Punkte voraus sind: Sie lernten durchweg schon im ersten Lebensjahr laufen - manche bereits mit sechs Monaten, die meisten im Alter von neun oder zehn Monaten. Kaum eines der Kinder hatte Schwierigkeiten beim Zahnen; fast alle begannen vor ihrem ersten Geburtstag zu sprechen und konnten sich im Alter von zweieinhalb Jahren mit Erwachsenen so fließend unterhalten wie sonst nur fünf- oder sechsjährige Kinder.
Normalerweise gelten zwei oder drei von hundert Kindern als hochbegabt. Die südafrikanischen Ärzte hingegen fanden bei jeweils zwei von fünf Sprößlingen dekompressionsbehandelter Mütter überdurchschnittliche Begabung.
Freilich, die meßbare Überlegenheit der Unterdruck-Kinder warf eine Reihe unerwarteter Probleme auf: Es zeigte sich, daß die Super-Kinder nicht ohne Konflikte mit ihrer mittelmäßigen Umwelt aufwachsen. Sie fühlen sich von Anfang an zu älteren Spielkameraden hingezogen, sind eigenwillig, anspruchsvoll, mitunter überheblich und dem Kindergarten schon entwachsen, ehe sie das normale Kindergarten-Alter erreichen.
Alles, was die da machen«, äußerte einer der altklugen Frühreifen, »ist singen und mit Klötzen spielen.« Und die Mutter eines Super-Babys klagte: »Er ist nie ein richtiges Baby gewesen - eher wie ein kleiner alter Mann.«
Schwangere bei Unterdruck-Behandlung
Neue Generation ungewöhnlich gescheiter Kinder