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ZARTE SEELEN, TROCKENE TEXTE

aus DER SPIEGEL 29/1966

Der in Wien geborene, in London lebende Erzähler ("Eine Seele aus Holz") Jakov Lind, 39, nahm an der Tagung der »Gruppe 47« in Princeton teil, auf der sich der Jungromancier und Nachwuchsdramatiker ("Publikumsbeschimpfung") Peter Handke, 24, aus Graz mit einer vehementen Kollegen- und Kritikerbeschimpfung Beachtung verschaffte (SPIEGEL 19/1966)

Ich weiß nicht, wie man Bücher schreiben soll, das wissen nur die Berufskritiker, und man hört sie vor allem bei Tagungen der Gruppe 47, wie sie ihre unwahrscheinlichsten Tagträume spinnen. A propos Gruppe 47, da wird, wie Handke am besten weiß, viel, sehr viel Läppisches und Idiotisches vorgelesen und immer sehr klug darüber debattiert (oder fast immer). Handke hat keineswegs recht, wenn er auch die Kritiker läppisch nennt, sie sind's nicht. Das Gegenteil ist wahr, sie sind ausgekocht, mit allen Wassern gewaschen, sie übertreffen nicht nur die meisten der Autoren an Intelligenz, und das will manchmal viel sagen, sondern sie übertreffen auch einander in Gewandtheit und Spitzfindigkeit.

Nein, ich lasse nichts auf Mayer, Reich-Ranicki, Jens, Höllerer, Baumgart und Kaiser kommen. Sie schreiben gut, sie reden besser, und wir verdanken ihnen und noch einigen, daß sich heute »die Jungen« mit Stilübungen und Schriftgeplätscher beschäftigen. Form und Formalität, dieses literarische Preußentum, jahrelang eingedrillt, zeigt jetzt ein erschreckendes Resultat: Gescheite und manchmal brillante junge Leute schreiben Unleserlich-Langweiliges. Der Einfluß der Germanisten in der Gruppe 47 und darüber hinaus in der Kritik von Funk und Presse hat Erfolg; man hat es den begabten, lerneifrigen Jungen beigebracht, daß es um »schöne Metaphern« und gelungenen Satzbau geht.

Und zu diesem literarischen Unsinn sollten so ausgezeichnete, so intelligente Kritiker beitragen? Gewiß, und nur die intelligentesten unter ihnen. Kritiker sind schließlich auch nur Wortchemiker. Sie wägen und analysieren Worte und Sätze, und die begabtesten unter ihnen riechen auch die deutsche Luft.

Die Jungen wollen nichts »sagen«, weil sie einfach nichts zu sagen wüßten. Eine Generation Hitler und eine Generation Adenauer/Erhard haben sie mit Stummheit geschlagen. Hitler - das war das Grauen, die Schuld. Aber darüber hat Graß schon gelacht, war Walser entsetzt, hat Johnson verzweifelt neue Vermutungen angestellt. Zehn bis 15 Jahre hat es gedauert, eine ganze Generation der heute 40- bis 50jährigen hat sich mit Hitler befaßt - oder mit dem Drum und Dran. Den Krieg kannten die Jungen nicht, und der geht sie auch nichts an (meinen sie). Und die Nachkriegszeit geht sie, meinen sie, auch nichts an, denn in diesem faden Dasein im Wohlstandsland sei sowieso alles uninteressant. Das Grauen der menschlichen Situation an sich, Krieg oder nicht Krieg, berührt sie nicht. Aber, wie schon gesagt, der Inhalt eines Buches läßt sich (zum Glück) nicht vorschreiben.

Die Story von Handkes »Hornissen« ist die Geschichte eines Mannes, der sich an den Inhalt eines Buches erinnert, das er vor Jahren gelesen hat. Und auch das ist nicht gewiß: Der »Held«, so will es der Autor, vervollständigt dieses Buch in Gedanken. Zwei Geschichten schieben sich über- und durcheinander. Erlebt er das, was er erlebt, jetzt, oder hat er es früher erfahren? Es wird nicht ganz klar, soll auch nicht klar werden. Nur eine Person und eine Zeit sind eindeutig und deutlich: der Autor selber, Peter Handke, heute. Der Verlag nennt die »Hornissen« eine »völlig offene Fabel, bei der nichts sich verfestigt« - nun, das stimmt auf jeden Fall. Auch ist es Handke gelungen (ich zitiere wieder den Klappentext), »aus dem Zentrum der Gegenstände und Geschehnisse selber« zu schreiben, »er zeigt das Zucken der leblosen Dinge« - gerade das ist meiner Meinung nach das ziemlich Unerträgliche an diesem Buch. So leblos wie die Dinge, so trocken und hölzern wie Handkes Menschen ist auch sein Text.

Die Erzählung kommt nie in Schwung, es bleibt bei einer pedantisch aufdringlichen Beschreibung von Details, die schon an und für sich nicht sehr interessant sind, wie zum Beispiel (ich greife willkürlich aus dem Text) die Beschreibung einer Mahlzeit:

... fragt endlich den Vater von diesem, als sei er selber nicht hier, fast ohne den Mund aufzutun, ob der Sohn schon gesättigt sei; hört über den Tisch hin den Vater aus der Seite der malmenden Zähne den Sohn (mit anderen Worten) befragen, ob er, der Sohn, schon gesättigt sei; hört den Sohn dem Vater für sie, für des Vaters Frau, die Antwort ausrichten, dahin, daß er, der Sohn ...

Dieses Stückchen Prosa aus den »Hornissen« ist typisch für den Stil der Erzählung. Das Detail ist übertrieben ausgedehnt, das Geschehen wird undeutlich, die Sprache ist geschwollen. Was mich an den »Hornissen« am meisten bekümmert, ist die Aufgeblasenheit der Sprache, die völlig »straight« ohne jeden Schimmer Humor serviert wird. Wendungen wie »Er verharrte in seiner Bewegung« oder »von neuem kratzte er antwortheischend über das Fenster sind nicht falsch, sondern verstaubt grammatikalisch richtig und sprachlich düster und verschimmelt:

Und das bekümmert einen wirklich, weil nämlich Handke jung, begabt und intelligent ist und weil er (auch das ist dem Buch zu entnehmen) Gefühl hat. Er ist kein kalter, trockener Mensch, sondern im Gegenteil eine hypersensible, leicht reizbare, etwas deprimierte Seele. Diese Überempfindlichkeit ist das Kennzeichen einer ganzen Generation junger Schriftsteller. Sie fühlen zart wie die sprichwörtlichen Mimosen und schreiben so trocken und leblos wie gestriges Laub. Ihre Überempfindlichkeit führt zu einem introvertierten Herumkramen. Der Mensch? Das sind nur noch Hand, Fuß und Kopfbewegungen. Seine Erlebnisse? Die Beobachtungen eines unbeteiligten Dritten. Seine Sprache? Entweder verklammert in indirekter Rede oder formal-banal; bei Handke beispielsweise so: »Das leuchtet mir ein, sage ich, allein, wie erklärt ihr euch den Grund, der mich das Rad dort hinstellen ließ?«

Handkes Buch regt zu einer allgemeinen Frage an: Was ist von einer Literatur ohne Themen und was von einer Sprache zu halten, die es fertigbringt, gleichzeitig wortreich und nichtssagend zu sein? Ich bin nicht sicher, ob man, wie es seit Jahr und Tag in der Gruppe 47 behauptet wird, nur den Stil und nichts als den Stil beurteilen soll. Das mag dem Germanisten genügen, ein normaler Mensch aber will etwas erfahren, möglichst etwas Interessantes, oder zumindest von irgend etwas berührt, betroffen werden. Ich meine sogar, daß man seine Bildung nicht unbedingt aus der »schöngeistigen Literatur« hernehmen muß. Das Wichtigste scheint mir Emotion, Erregung zu sein - weniger Kopf und mehr Magen, möchte ich's nennen. Daran aber fehlt es heute im deutschen Sprachraum, man traut dem Magen (dem Gefühl) nicht und nicht einer robusten Maskulinität.

Das männlich-deutsche Wesen war Hieb und Stich und Landsknechtgetrommel - kein Wunder, daß sich die Söhne und Enkel heute lieber mit Harfezupfen und Schalmeienblasen beschäftigen. Doch selbst die läppischsten Beschäftigungen scheinen mir durchaus der Mühe wert, wenn man sie nur amüsanter vortragen würde. Zum Lachen gibt es bei den »Hornissen« aber wirklich nichts. Hat es damit zu tun, daß Handkes Generation unsere Zeit nicht ernst genug nimmt?

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