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KUNST Zeit der Blindheit

Die ehrgeizige »Dia Art Foundation« in New York hat sich übernommen und muß Kunstwerke verkaufen. *
aus DER SPIEGEL 47/1985

Mild lächelt der Vorsitzende Mao Tse-tung von einem Andy-Warhol-Bild; es hat 47 500 Dollar eingebracht. Ein weiteres Warhol-Werk, »Grüne Briefmarken«, stieg - vorletzten Dienstag bei Sotheby in New York - sogar auf den Rekordpreis von 150 000 Dollar.

Andererseits: Ein frühes, gestisches Gemälde des großen Geometrisch-Abstrakten Barnett Newman, das auf 150 000 bis 200 000 Dollar geschätzt worden war, scheiterte bei 105 000 Dollar. Und das Hauptstück des Abends, Newmans riesiges rotes Bild »Annas Licht«, das 1,5 Millionen hätte bringen sollen, erreichte nicht den Mindestpreis und verbleibt vorerst dem Einlieferer der ganzen, mit 23 Avantgarde-Produkten ausstaffierten Spezialauktion: der New Yorker »Dia Art Foundation«.

Die ist nicht etwa aus Übermut und Überfluß als Verkäufer auf den Markt gegangen. Vielmehr signalisiert die Sotheby-Auktion das Ende einer Ära von üppigstem Mäzenatentum. Die Stiftung, die - wie ihr griechischer Name sagt - durch alle Normen des Kunstbetriebs hindurch- und über sie hinausstrebte, kehrt schrumpfend auf den Boden der Realitäten zurück. Nachdem in den vergangenen Jahren mehr als 30 Millionen Dollar für die Projekte weniger ausgeschüttet worden waren, sind nun mehr als sechs Millionen Dollar Schulden zu begleichen.

Ein Anfang dieses Jahres bestelltes neues Stiftungsdirektorium ist dabei, ein Verwaltungs-Chaos zu ordnen, das der deutsche Ex-Galerist Heiner Friedrich, 47, als bisheriger Kopf der Foundation hinterlassen hat.

Acht Dia-eigene Gebäude in und um New York sind bereits veräußert. Mehrere Künstler haben dadurch großzügige Studios und Behausungen verloren und müssen ihre Arbeit unterbrechen. Die Zukunft einiger Kunst-Präsentationen ist ungesichert, andere werden laut Dia-Verlautbarung »reduziert weitergeführt«. Von den ehemals 80 Angestellten, die aus mehreren Büros das Dia-Imperium verwalteten, sind noch 13 übrig. Dia-Künstler Donald Judd droht mit einem Gerichtsverfahren wegen Vertragsbruchs, Kollege Robert Whitman hat schon eines eingeleitet.

Aber der neue Dia-Stiftungsdirektor Sidney Lazard erklärt: »Wir haben weder

die Mittel noch Lust, mit der großen Patronage weiterzumachen.«

Die Organisation war 1974 von Heiner Friedrich und der Amerikanerin Philippa de Menil, die später seine Frau wurde, ins Leben gerufen worden. Und zu seiner Glanzzeit, Ende der 70er Jahre, bot Dia inspirierte, wenn auch umstrittene Lösungen, wie schwierige und schwer verkäufliche Kunst jenseits des Marktes gedeihen und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden kann. Einer nur kurzfristigen und oberflächlichen Publikumserbauung durch Wechselausstellungen sollte die Idee permanenter Installationen von wenigen Künstlern entgegenwirken - »dieser an Erfahrungen aus zweiter Hand gewöhnten Gesellschaft eine Erfahrung aus erster Hand geben«, so Friedrich.

Derart Authentisches fand der Gönner bei Künstlern, die er auch schon als Galerist in München und Köln betreut hatte und in deren Arbeiten, so verschieden sie sich auch ausnehmen, doch immer eine starke mystische Komponente steckt. Etwa bei dem Erdloch-Bohrer Walter de Maria mit seinen strengen Arrangements; bei Dan Flavin, dem Erbauer minimaler Neon-Skulpturen; bei Fred Sandback, der Bindfäden durch den Raum spannt, und bei La Monte Young mit seinen meditativen Klangräumen.

Seinen Favoriten verschaffte Friedrich einen bis dahin kaum gekannten Aufwand der Ausstellung und des persönlichen Unterhalts. Für de Marias Blitzableiter-Installation »Lightning Field« wurde ein 44 Quadratkilometer großes Areal in New Mexico gekauft, präpariert und gepflegt. Zwei weitere »permanente Installationen« de Marias wurden in großen Innenräumen in New York City eingerichtet. Der Tonkünstler La Monte Young durfte nebst Entourage ein Edelgebäude in Manhattan beziehen und dort an seiner Klang-Architektur »Dream House« basteln.

Performance-Künstler Robert Whitman, dem Dia neben einem Haus in Manhattan auch die Mittel für seine Vorführungen spendierte, gehörte ebenso zu den Dia-Verhätschelten wie der Bildhauer John Chamberlain, dessen ehemaliges Atelier in eine permanente Installation umfunktioniert wurde. Lichtkünstler Dan Flavin erhielt nicht nur ein Klein-Museum in Bridgehampton, Long Island ("Dan Flavin Institute"), sondern es wurde zudem noch ein Schloß am Hudson angeschafft, das Flavins eigene Werke nebst seiner exquisiten Sammlung von Zeichnungen aus der historischen »Hudson River School« beherbergen sollte.

Die bei weitem üppigste Patronage jedoch widerfuhr dem Minimal-Bildhauer Donald Judd, dem Dia Land nebst mehreren Gebäuden in Marfa, Texas, spendierte. Auf 140 Hektar Grund, inmitten von Cowboys und Rinderherden, begann hier das »Museum of the Pecos« zu entstehen, eine Kulturstätte, die Werke von Judd, Flavin, Chamberlain und Barnett Newman, ferner eine Bibliothek und Gästeappartements beherbergen sollte.

Nebenbei trat Dia auch in großem Stil als Sammler auf. Über 800 Werke zeitgenössischer Künstler, darunter Wesentliches von Andy Warhol, Cy Twombly, Joseph Beuys, Blinky Palermo und Imi Knoebel, waren in Warenhäusern in Manhattan eingelagert und erwarteten den Tag, an dem jeder dieser Künstler ein eigenes Museum bekommen sollte.

Das Ausmaß dieser Kunstförderung und die perfekte Präsentation sollten exemplarisch sein. Majestätisch breitet sich beispielsweise im New Yorker Kunstviertel Soho vor dem Besucher de Marias »Broken Kilometer« aus: Auf glänzend gebohnertem Parkett glitzern 500 Messingstangen im Halogen-Licht, bilden einen flimmernden Horizont, verbieten jedes laute Wort, ganz im Sinne Friedrichs, der »in eine mit materieller Blindheit beladene Zeit, in diese Situation der Verzweiflung, eine aus dieser Zeit geborene Qualität setzen« wollte.

Finanziert wurde das zumeist aus der Tasche der Friedrich-Gattin Philippa de Menil. Die Millionenerbin aus dem texanischen Houston, Kind einer auch sonst berühmten Sammler- und Stifterfamilie, verkaufte jedes Jahr eine größere Anzahl von Aktien der Ölservice-Gesellschaft Schlumberger Ltd., um die steigenden Betriebskosten zu decken. Von 80 000 Dollar im ersten Stiftungsjahr 1974 kletterten die Ausgaben schnell auf über drei Millionen (1982) und waren, so Sanierer Lazard, 1984 bei fünf Millionen angekommen: »Die zückten immer nur das Scheckbuch und zahlten, doch ein Stiftungskapital wurde nie aufgebaut.«

Ein Kursverfall der Schlumberger-Aktien seit 1981, aber auch Zwistigkeiten mit Judd, der seine Differenzen mit Dia zunehmend an die Öffentlichkeit trug, machten die Situation schließlich unhaltbar. Friedrich: »Unter Judds prozessualem Druck hat sich mein Rücktritt ergeben. Ich wollte keine öffentliche Auseinandersetzung.«

Hingegen erklärt Lazard, die Familie de Menil habe »die Umstrukturierung eingeleitet«. Und auch Friedrich räumt ein, »Philippas Entschluß, Aktienpakete kreativ anzulegen«, habe »nicht nur in der Familie«, aber dort eben auch, »große Unruhe ausgelöst«.

Irritiert glaubte Judd indessen zu sehen, das Ehepaar Friedrich stelle sein Interesse und sein Geld zunehmend in den Dienst des islamischen »Sufi«-Mystizismus und der einschlägigen Lehr- und Forschungsanstalt Masjid-al-Farah. Bei öffentlichen Auftritten der Gemeinschaft in New York konnte man auch Friedrich beim rituellen Tanz in wallenden Gewändern beobachten. Ein neuer Paragraph in der Dia-Satzung soll, laut Lazard, künftig verhindern, daß Stiftungsgelder an religiöse Gemeinschaften gehen.

Doch von einem »Zusammenbruch« der Foundation will Friedrich, der sogar seinen Rücktritt vom Posten des Vizepräsidenten (formal unter seiner präsidierenden Frau) als nur »zeitweilig« ausgibt, nichts wissen. Seit drei Jahren habe er sich bemüht, die »notwendige Umstrukturierung« einzuleiten und »immer klar gesagt«, die Stiftung brauche »eine breitere Ebene für ihre Verwirklichung«. Doch die Künstler hätten seine »Sorgen und Ermahnungen in dieser Richtung nicht ernstgenommen«.

Die Ermahnten wiederum fanden, wie Whitman heute klagt, Friedrich »extrem undurchsichtig«. La Monte Young fühlt sich geradezu geprellt: »Ich habe buchstäblich sechs Jahre meines Lebens vertan, in der Annahme, das Dia-Engagement sei permanent.« Judd erhebt noch schwerere Vorwürfe. Nicht nur die Vernachlässigung seines unvollendeten »Museum of the Pecos«, auch den Verkauf seiner Werke bei Sotheby sieht er als gravierenden Vertragsbruch: »Hier verwandelt einer Steuergelder in Kunst und die Kunst dann wieder in Geld.«

Wenn auch Friedrich auf einen »Umschwung« vertrauen möchte: Die Dia Art Foundation ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. Mit den für einen Stiftungsfonds erforderlichen 12 bis 15 Millionen Dollar, die aus dem Erlös von Kunst- und Grundstücksverkäufen binnen eines Jahres zusammenkommen sollen, rechnet

die Stiftung jährlich rund eine Million ausgeben zu können.

Die wichtigsten Installationen - das »Lightning Field«, der »Broken Kilometer«, das »Museum of the Pecos« und das »Dan Flavin Institute« sollen zwar weiter unterhalten werden. Doch der Geist ist ein anderer: Wo früher der kunstbesessene Friedrich regierte, geben nun die Buchhalter den Ton an. Für Lazard zum Beispiel bedeutet das »Lightning Field« nicht mehr als »ein kaum verkäufliches Stück. Eine nette Arbeit. Kostet auch nicht viel.«

Künstler Whitman über ein Treffen mit dem neuen Direktorium: »Die hatten keine Ahnung, wer ich bin und was ich tue. Es war sehr peinlich. Die würden Kunst nicht erkennen, auch wenn sie ihnen auf den Kopf fiele.«

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