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Artikel 53 / 79

DRIEU LA ROCHELLE Zerstörung im Auge

aus DER SPIEGEL 46/1966

Im März 1945 schluckte der französisehe Schriftsteller Pierre Drieu La Rochelle, 52, eine hinreichende Dosis Gardenal und drehte die Gashähne auf. Ein Haftbefehl, der gegen ihn ausgestellt war, kam zu spät. Der Faschist und Kollaborateur Drieu hatte, wie er wußte, »gespielt und verloren« und das verlorene Spiel nach seinen eigenen Regeln beendet. Drieu: »Ich will sterben, aber nicht getötet werden.«

Seit diesem Selbstmord zur Zeit der Kopfjagden französischer Maquisards sind 21 Jahre vergangen. Drieus umfangreiches Werk, vorübergehend geächtet, ist in Frankreich längst rehabilitiert und neu aufgelegt. Mehr noch: Seine desperaten Visionen vom Zerfall des Abendlands, unter anderem in vier Novellenbänden, zwölf Essaybüchern und zwölf Romanen fixiert, erleben gegenwärtig, laut Kritiker Francois Bondy, eine geradezu »kultartige Zelebrierung in den Kreisen der frivolen Rechten«.

Was rechten Franzosen lieb ist, soll nun auch rechtsrheinischen Lesern teuer sein: Der Berliner Propyläen Verlag (Verlagsherr: Axel Springer) möchte endlich die gesammelten Werke des »bedeutendsten, konsequentesten und integersten Kollaborateurs (Propyläen -Klappentext) den Deutscher als Nachhol -Lektüre zu Gemüte führen. Ein Erstling ist, nach Vorabdruck in Springers »Welt«, bereits auf dem Markt - der Roman »Die Unzulänglichen"*.

Allerdings soll diese Drieu-Renaissance keinesfalls besagen, »daß da etwa eine Art Neofaschismus sich eines Toten bediene, um sich auszudrücken« so jedenfalls beruhigt der »Frankfurter Allgemeine«-Kritiker Karl Korn. Vielmehr erscheint, nach Korn, der Autor der »Unzulänglichen« als ein »Schriftsteller, der die Tragödie seiner Generation bis zum bitteren Ende erlitten und sie geistig artikuliert hat«.

Tatsächlich artikulierte der Pariser Bürgersohn Drieu, 1893 geboren, die »vernichtende Tatsache der Dekadenz« (Drieu) kaum weniger treffend als sein späterer Parteigänger Louis-Ferdinand Céline (SPIEGEL 18/1964), der in dem Roman »Reise ans Ende der Nacht« (1932) einen höhnischen Haßgesang auf die Menschheit und vor allem auf die Zivilisationen Europas und Amerikas angestimmt hatte.

Während Drieus große Zunftgenossen der zwanziger und dreißiger Jahre mit Vorliebe in die literarische Emigration gingen, während sich etwa Henry de Montherlant ein romanhaftes Spanien errichtete, Mauriac und Bernanos in ihrem Katholizismus Zuflucht fanden. Jean Giono das einfache Leben im Midi besang und André Malraux in erotischen Fernen die »condition humaine« erforschte, gedieh Drieu zum »systematischen Beobachter« und Chronisten der unzulänglichen Generation zwischen den beiden Weltkriegen - so in seinen Romanen »Der Mann mit den vielen Frauen« (1925), »Irrlicht« (1931), »Lustige

Reise« (1933) und »Verträumte, Bourgeoisie« (1937). Ihre Themen: Krieg, Dekadenz, Sozialismus und Frauen, Frauen, Frauen.

Ehrgeizigste dieser düsteren Chroniken ist der im Herbst 1939, kurz vor Kriegsbeginn, erstveröffentlichte Roman »Die Unzulänglichen« (Originaltitel: »Gilles"). Er enthält eine besonders »grimmige Anklage gegen das Regime« der Dritten Republik (Drieu), gegen Kapitalismus und Bürgertum, Komplotte und Korruptionen, die angebliche Überfremdung durch »Millionen von ... Juden, Nordafrikanern, Negern, Annamiten«, gegen »Altersschwäche, Habgier und Scheinheiligkeit«, Geburtenrückgang und Zerfall der »altnordischen Rasse«.

Doch der systematische war kein völkischer Beobachter - von den nazideutschen Blut-und-Boden-Barden seiner Generation trennt den Franzosen ein literarischer Klassenunterschied. Drieu, von den großen französischen Romanciers des l9. Jahrhunderts inspiriert, bietet in den »Unzulänglichen«, diesem »Meisterwerk« (Francois Mauriac) und »schmierigen, goldenen Roman

seines Lebens« (Jean-Paul Sartre), mehr als faschistoiden Schimpf: Sein Titelheld Gilles ist ein literarisierter Drieu La Rochelle, ein Melancholiker und Dandy mit keineswegs immer sympathischen Zügen.

Beide, Drieu wie Gilles, sind vom Fronterlebnis geprägte unbekannte Soldaten des Ersten Weltkriegs - schließlich war Drieu als 21jähriger mit dem »Zarathustra« im Tornister an die Front geeilt und hatte später das »Brodeln des jungen und warmen Blutes« bei seiner Feuertaufe so verherrlicht: »Das also war ich, dieser Starke, dieser Freie, dieser Held.«

Beide, Drieu wie sein Held, heiraten eine ungeliebte, doch reiche Jüdin, die sie schnell wieder verlassen; beide sind bürgerliche Desperados und Männer mit vielen Frauen - mit Prostituierten, Krankenschwestern, armen Spanierinnen und wohlhabenden US -Damen, die sie als etwas unzulängliche Don Juans hofieren.

Und so wie einst Drieu jahrelang mit seinem Kollegen Louis Aragon befreundet war und den - später Surrealisten-) Zirkel André Bretons frequentierte, so pflegt auch Gilles die Freundschaft zum Schriftsteller Cyril Galart und den Umgang mit den Literatur-Anarchisten einer »Revolte« -Gruppe eines Meisters Cael, bis es schließlich zum Bruch kommt. Drieu -Leser Mauriac: »Ich erkenne alles wieder, bis hin zur Krawatte ...«

Unter der Feder Drieus erwiesen sich

die ehemaligen Gefährt Galant, Aragon und Cael-Breton mitsamt den »Revolte«-Jüngern als besonders unzulänglich. Der Kommunistenfreund Cael, »dieser Mann, der von seinem Piedestal aus Pappe nie herunterstieg« ist für Gilles »feiger als ein Börsenspekulant": seine »Revolte«-Literaten, auch sie KP hörig, sind » wild gewordene Kleinbürger« und »Scharlatane, die mit kleinen, niedrigen Tricks vorgeben das Drama vom Menschen zu spielen, das sie nur vom Hörensagen kennen«.

Das Ende der Freundschaft zwischen Gilles und Galant, der (wie Aragon) gleichfalls zu den Kommunisten abwandert, beschreibt Drieu so:

Gilles: »Du haßt mich, weil ich mehr Frauen gehabt habe als du. Du bist lächerlich.

Galant: Ich hasse dich, weil du der bürgerlichste Bourgeois bist, den ich kenne Du bist reaktionär bis auf die Knochen.«

Gilles: »Du haßt mich, weil du neidisch bist« Galant: »Wieso? Ich bin viel intelligenter als du.«

Gilles: » ... Du beneidest mich wegen der Frauen. Und weil du ein bißchen invertiert bist; das ist Liebe verkehrt 'rum.«

Galant': »Zuhälter.«

Gilles, von der »Revolte« enttäuscht wie seinerzeit Drieu von den Surrealisten, von der schönen Amerikanerin Dora verlassen wie Drieu von seiner veritablen Nelly, vom Pariser Leben mit seinen Bars, Bordellen und Salons katzenjämmerlich ermüdet und angeekelt vom »Regime«, erhofft sich schließlich nur noch eine Gewalttat - irgendeine. Er beschließt: »Von jetzt an gehe ich mit jedem zusammen, der dieses Regime zerschmettert.«

Und da für eine solche Geisteshaltung der Faschismus noch am ehesten angemessen ist, zieht Gilles am Ende des Romans in den spanischen Bürgerkrieg, um gegen die Roten zu kämpfen. Dort tut er, auf der 478. und letzten Seite, genau das, was echte Faschisten am liebsten tun: »Er nahm ein Gewehr, ging an die Schießscharte und schoß.«

Das Spanien-Abenteuer des dekadenzlahmen Gilles freilich hat Drieu seinem Helden nicht vorgelebt. Der Romancier blieb im Lande, trat der Französischen Volkspartei des Ex-Kommunisten und Faschisten Jacques Doriot bei und schrieb eifrig Artikel für dessen Blatt »Emancipation«.

Als politischer Autor hatte er sich schon früher erprobt, etwa in dem Essay -Band »Faschistischer Sozialismus« (1934). Drieu polemisierte gegen Nationalismus und Parlamentarismus, Juden und Ästheten, er verlangte ein vereintes sozialistisches Europa und war der Meinung, daß ein deutscher Sieg diese sozialistische Revolution und europäische Einigung herbeiführen könnte.

Nach dem französischen Zusammenbruch im Sommer 1940 - seinen Plan, in die britische Armee einzutreten, hatte er wieder aufgegeben - wurde Drieu zu einem Anführer der Kollaboration. In der »Nouvelle Revue Francaise«, als deren Herausgeber er fungierte, beschwor er die Franzosen, sich die Achtung der Deutschen zu erwerben. Drieu: »Bisher hat mich alle Welt verachtet, ohne zu wissen, warum. Von jetzt ab wird man mich noch mehr verachten, und man wird wissen, warum.«

Drieu La Rochelle, Freund des deutschen Paris-Botschafters Otto Abetz, aber auch Protektor französischer Widerstandskämpfer - unter anderem bewahrte er den Schriftsteller Jean Paulhan vor der Hinrichtung -, verlor recht bald seine Hitler-Gläubigkeit. Er bekannte: »Ich habe mich vollkommen im Hitlerismus getäuscht.«

Trotzdem kehrte er noch gegen Kriegsende von einer Reise in die neutrale Schweiz nach Frankreich und Paris zurück. Ein Paß mit spanischem Visum, den ihm Abetz nach der alliierten Invasion im Juni 1944 verschaffte, blieb unbenutzt. Statt dessen machte Drieu zwei erfolglose Selbstmordversuche. Für Selbstmordgedanken war er ohnehin sein ganzes Leben lang anfällig gewesen.

»Durch zwanzig Jahre der Torheiten und der Bitterkeit«, so psychoanalysierte Sartre später seinen Kollegen, hat er immer die Zerstörung seiner selbst im Auge gehabt ... und schließlich hat der Todeskoller ihn zum Nationalsozialismus geführt.«

Drieus dritter Selbstmordversuch im Frühjahr 1945 glückte. Verleger Gaston Gallimard, die Schriftsteller Jean Paulhan, Jacques Audiberti, Paul Léautaud und etliche Damen« trugen den Mann mit den vielen Frauen zu Grabe.

Drieu: »Die Literatur ist für mich nicht ein Handwerk, sie ist wie ein Laster oder wie ein lebensgefährlicher Sport.«

* Pierre Drieu La Rochelle: »Die Unzulänglichen«. Propyläen, Verlag, Berlin: 504 Seiten; 25 Mark.

Schriftsteller Drieu La Rochelle

Brodeln des Blutes

Drieu-Kollege Breton

Piedestal aus Pappe

Drieu-Freund Abetz (r.) in Vichy

Lebensgefährlicher Sport

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