Autoren Ziegelbrenner auf der Flucht
Nachts, wenn sie noch wach lagen, Frauen wollen es ja immer ganz genau wissen, fragte ihn Rosa Elena Lujan manchmal, was er denn vor ihrer Zeit getrieben habe. Und der Mann neben ihr kam ins Erzählen.
Er erzählte aus seinem früheren Leben im fernen Deutschland, wo er Schauspieler war und Revolutionär, wo er zum Tode verurteilt wurde und den Häschern in letzter Minute doch noch entkam. Wie er sich als Matrose auf Totenschiffen durchschlug und als Baumwollpflücker und Goldgräber in Mexiko. Und dann deutete er auf das Porträt des Mannes mit dem hochgezwirbelten Schnurrbart und legte den Finger bedeutungsvoll auf die Lippen. Nie, nie, solange er lebe, dürfe sie darüber sprechen: Vielleicht sei er sogar ein illegitimer Sohn des letzten deutschen Kaisers.
Unter all den Geschichten, Gerüchten, Lügen und Legenden, die über den Schriftsteller B. Traven im Umlauf sind, ist die mit der Hohenzollern-Connection gewiß die komischste. Der edle Samenspender, dem man merkwürdigerweise auch homosexuelle Neigungen nachsagte, soll sich in Jugendtagen amourös und folgenreich einer Schauspielerin, Travens Mutter, genähert haben.
Zum mutmaßlichen 100. Geburtstag ihres Mannes hat die Witwe nun einem Reporter der New York Times aus dem Ehebett geplaudert und widersprüchliche Details aus dem Leben des großen Unbekannten preisgegeben.
Als literarische Nessie taucht B. Traven alle Jahre wieder auf und erfreut die Gemeinde mit neuen geheimnisvollen Schnurren. Traven ist mit Romanen wie »Das Totenschiff« oder »Die Rebellion der Gehenkten« auf der ganzen Welt in 25 Millionen Exemplaren verbreitet, aber bis heute hat keiner die Identität des Mannes aus dem mexikanischen Versteck restlos aufklären können. Fest steht nur, daß er am 26. März 1969 in Mexiko-Stadt im Beisein von Frau Rosa Elena verstorben ist.
Lange galt »Hermann Albert Otto Macksymilian Feige« als Travens wahrer Name, doch hat Karl S. Guthke in einer Untersuchung ("B. Traven. Biographie eines Rätsels") nachgewiesen, daß es sich hier um eine von vielen falschen Fährten handelt. Wenn er mit Filmleuten zu tun hatte, nannte sich Traven Hal Croves; unter dem Namen wirkte er unerkannt als Beauftragter des Autors mit, als John Huston dessen Roman vom »Schatz der Sierra Madre« verfilmte.
Ebensowenig herrscht Gewißheit über seinen Geburtsort: War es nun 1882 in San Francisco, war es (darauf besteht die Witwe) 1890 in Chicago? Ganz ist bisher auch nicht die Theorie aus der Welt geschafft, daß sich 1840 im nicht ganz so metropolen Warmbrunn zwischen einer Frau von Sternwaldt, die in einer Aufführung von »Zar und Zimmermann« die »Dritte Schifferin« gab, und dem Preußenprinzen Wilhelm ein Tete-a-tete entspann. Danach wäre Traven allerdings kein Kaisersohn, sondern bestenfalls der Enkel eines solchen. Der Stammbaum der Familie Sternwaldt läßt sich bis in die Nähe der schleswig-holsteinischen Orte Traventhal und Marutendorf zurückführen. Damit wäre der merkwürdig unbayerische Name Ret Marut erklärt, unter dem Traven ab 1917 in München die Zeitschrift Der Ziegelbrenner herausgab.
Marut war einer der Literaten, die 1919 die Münchner Räterepublik unterstützten. Nur knapp entging er der Füsilierung durch die siegreiche weiße Gegenrevolution.
»Seit jenen Stunden, wo es M gelang zu entkommen, ist er auf der Flucht« - so schrieb sich Marut im Ziegelbrenner das künftige Schicksal vor. Der steckbrieflich gesuchte Hochverräter setzte sich nach London ab, wo er alsbald in Untersuchungshaft geriet. Im Sommer 1924 tauchte Marut unter dem neuen Namen B. Traven in Mexiko auf. In seinem Tagebuch schlug er am 26. Juli das Kreuz über die Vergangenheit: »Der Bayer aus München ist tot.« * Links: Erkennungsdienstfoto aus Londoner Geheimakten. Rechts: Die Witwe deckt das Leichentuch über den Toten.
Es war die Angst vor der Auslieferung, sagt die Witwe, die ihn zum Versteckspiel zwang. Erich Mühsam, der Kampfgefährte von 1918/19, veröffentlichte 1927 den Aufruf »Wo ist der Ziegelbrenner?« und forderte den Untergetauchten zur Rückkehr auf, von woher auch immer. »Viele fragen nach ihm, viele warten auf ihn.«
Aber Der Ziegelbrenner war tot. Und Traven war gut beraten, nicht heim ins Deutsche Reich zu kehren, in dem Mühsam 1934 von den Nazis ermordet wurde. Der Revolutionär Ret Marut hatte sich in den sozialkritischen Schriftsteller B. Traven verwandelt.
Die lebenslange Identitätsflucht reicht womöglich noch weiter zurück als in den Münchner Revolutionsterror, denn Rosa Elena Lujan erzählt, daß Traven selber nicht wußte, wer seine Eltern waren.
Einen Beweis, daß er je geboren wurde, gibt es nicht.