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KINO »Zornig in der Wiege«

Regisseur Woody Allen über Sex, unwürdige Idole, die Suche nach einem besseren Leben und seinen neuen Film »Celebrity«
aus DER SPIEGEL 14/1999

SPIEGEL: Mister Allen, kann es sein, daß »Celebrity« Ihr bisher traurigster und hoffnungslosester Film ist?

Allen: Ich sehe mich und meine Filme ganz und gar nicht so pessimistisch. Die Presse, Hollywood und viele Menschen in den USA haben eine vollkommen unrealistische Wahrnehmung von sich und von der Welt um sie herum. Die haben auch Sigmund Freud für pessimistisch gehalten, dabei war der bloß realistisch, geradezu objektiv. Meine Einschätzung von der Wirklichkeit halte ich schlicht für realistisch.

SPIEGEL: Selbst Ihr Hauptdarsteller Kenneth Branagh sagt, das Skript sei das düsterste, das er je gelesen habe.

Allen: Das Drehbuch ist nicht düsterer als meine anderen. Die Wirklichkeit ist nun mal traurig, beängstigend und banal. Ständig erfinden wir Geschichten über uns und unser Leben, damit wir ja nicht der Wahrheit über unsere Existenz ins Gesicht sehen müssen. Dieser Lee, den Kenneth Branagh spielt, ist da gar nichts Besonderes ...

SPIEGEL: ... ein abgehalfterter Journalist, der seine Frau verläßt, weil sie es im Bett nicht so bringt. Nun will er mit irgendwelchen Frauen schlafen, denen er von der großen Liebe vorschwärmt.

Allen: Er ist nicht ehrlich mit sich. In Wahrheit ist er nach seiner Scheidung nur an Sex interessiert. Aber das kann er sich nicht eingestehen. Also wählt er sich schließlich ein junges Mädchen aus, das offen zugibt, nicht treu sein zu können.

SPIEGEL: Eine echte Herausforderung für den ganzen Mann.

Allen: Eine selbstmörderische Nummer. Endlich kann er in Selbstmitleid zerfließen. Er liebt ein Mädchen, aber sie ist zu neurotisch, um ihn zu lieben. Er behauptet, er wolle eine echte Beziehung. Aber ich glaube ihm das nicht. Er will genau das trostlose Dasein, das er lebt. Der Mann glaubt an diese wertlose New Yorker Cliquenwelt mit ihrem Billig-Glanz, die Leute ohne jedes Verdienst zu Idolen hochjubelt.

SPIEGEL: An wen denken Sie?

Allen: Jeder, dessen Hinrichtung im Fernsehen übertragen wird, und jeder, der Oralsex mit dem Präsidenten hat, ist in den USA auf der Stelle berühmt.

SPIEGEL: Wen erkennen Sie als legitime Berühmtheit an?

Allen: Frank Sinatra war eine. Barbra Streisand auch. Oder Fred Astaire. Alle Leute, die einen Beitrag zum öffentlichen Leben leisten, die versuchen, die Gesellschaft zu bessern, das sind Helden.

SPIEGEL: Und Sie selbst?

Allen: Ich bin jetzt seit 30 Jahren prominent. Es gefällt mir überhaupt nicht, kein Privatleben zu haben.

SPIEGEL: Wie ein Film über Ihre Europa-Tournee als Musiker 1997 gezeigt hat, waren Sie mit Ihrer Frau Soon-Yi in Venedig nicht mal in der Gondel vor den Fans sicher.

Allen: Die würden keinen Cent für meine Filme ausgeben, aber sie werden hysterisch, wenn sie mich Gondel fahren sehen. Das ist doch gaga. Andererseits muß ich zugeben: Ruhm ist nicht wie Krebs. Die Vorteile überwiegen.

SPIEGEL: Die Frauen in »Celebrity« stellen sich besonders dusselig an. Entweder drängeln sie sich danach, den Männern einen zu blasen, oder sie verzweifeln an ihrem Glück oder an ihrem Unglück.

Allen: Das sehe ich ganz anders. Die Ehefrau ist völlig verzweifelt, als er sie verläßt. Sie gibt sich und ihrer strengen Erziehung die Schuld daran, daß sie nicht gut genug im Bett gewesen sei, und will nun dazulernen.

SPIEGEL: Das Machtverhältnis zwischen den Geschlechtern sei in Ihren Filmen seit »Mighty Aphrodite« aus dem Gleichgewicht geraten, kritisiert die Zeitschrift »Vanity Fair«. Früher seien alle gleich neurotisch gewesen und hätten darüber geredet. Heute setzten Sie bevorzugt Oralsex ein, um den Frauen das Maul zu stopfen.

ALLEN: Welche Art von Sex stattfindet, hängt allein von der Geschichte ab. Wenn die Story sehr freien Sex braucht, muß ich den zeigen. In meinem nächsten Film mit Sean Penn und Uma Thurman gibt es sehr wenig Sex. In »Celebrity« ist es doch die Ehefrau mit ihrer Offenheit und Naivität,

* Mit Branagh ( l.), Leonardo DiCaprio (M.).

die schließlich das findet, was der Mann vergeblich sucht: ein besseres Leben.

SPIEGEL: Suchen die Menschen auch im Kino so etwas wie ein besseres Leben?

Allen: Wir alle suchen ständig nach einem Ausweg. Ich lebe auch lieber in der Welt von Ingmar Bergman oder Louis Armstrong. Die Realität verletzt uns am Ende immer.

SPIEGEL: Vielleicht sind Sie heute nur zorniger über den Zustand der Welt als vor 10, 20 Jahren?

Allen: Ich war immer zornig. Ich glaube, ich war schon zornig, als ich in der Wiege lag. Ich bin jetzt weder wütender noch toleranter als früher. Viele Leute, die in ihrer Jugend eher linke Ideen vertraten, werden im Alter konservativ, weil sie nur langsam begreifen, daß sie es mit Menschen zu tun haben. Und Menschen enttäuschen.

SPIEGEL: Klingt ziemlich verbittert. Wie überreden Sie sich dazu, morgens aufzustehen und weiterzumachen?

Allen: Mit Humor. Und dann gibt es zum Glück einige wenige Menschen, für die es sich lohnt aufzustehen. Es sind wahrhaftig nicht viele, aber einige wundervolle Individuen machen das Leben erträglich.

SPIEGEL: Sie sind jung verheiratet mit einer sehr jungen Frau.

Allen: Und sehr glücklich. Mein Privatleben ist besser als je zuvor. Ich lebe seit fünf Jahren mit Soon-Yi, und vielleicht werden wir irgendwann Kinder haben.

INTERVIEW: BETTINA MUSALL

* Mit Branagh ( l.), Leonardo DiCaprio (M.).

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