WEINMÜLLER Zu hoch geschätzt
Die Kunden kauften kärglich. Das erste Stück der Auktion - ein geometrisches Gemälde des Deutschamerikaners Josef Albers - war für 10 000 Mark offeriert; der einzige Bieter bot die Hälfte.
Bei 8000 Mark einigten sich Bieter und Versteigerer auf einen »Vorbehaltszuschlag« - der Eigentümer kann, wenn er will, sein Bild noch zurückziehen.
Der Kompromiß war kennzeichnend. Beim sechsten Angebot bekannte Auktionator Rudolf Neumeister, 41, sein Dilemma: Die Lieferanten der zweiten Versteigerung moderner Kunst im Münchner Haus Weinmüller hatten viel zu hohe Mindestforderungen (Branchenjargon: »Limits") festgesetzt. Genauso marktfremd waren die im Katalog gedruckten Schätzpreise.
Nach Auktionsschluß übte Neumeister Selbstkritik: »In der Moderne und in ihren Preisen bin ich noch nicht zu Hause. Aber ich habe schon viel gelernt. Eines Tages wird das mein Geschäft.«
Bislang hat Neumeister, der bereits als Werkstudent der Jurisprudenz bei Münchner Kunsthändlern aushalf, sein Geschäft allein mit anderen Waren gemacht. In einem Schwabinger Etagengeschäft verkaufte er seit 1948 Teppiche. Bilder, alte Skulpturen - und finanzierte Kunstreisen durch Hopfenhandel.
Als Inhaber des Versteigerungshauses Weinmüller - seit 1958 - erhöhte Neumeister dann den Jahresumsatz der traditionsreichen, auf alte Kunst spezialisierten Firma um das Dreißigfache: auf etwa sieben Millionen Mark. Zu internationalem Renommee verhalfen ihm die Auktionen der Kunstsammlungen Otto Bernheimer und Igo Levi (1960 und 1962)
»Schon damals«, erinnert sich Neumeister, »habe ich an die Moderne gedacht - ich habe nur auf den Zeitpunkt gewartet.«
Im November 1965 schien dem Münchner Versteigerungs-Champion der Zeitpunkt gekommen. Doch von den 305 modernen Kunstwerken, die er unter den Hammer brachte, waren viele nicht sehr gut und viele sehr teuer. Das Resultat: »Ein Mißerfolg, aber keine Niederlage« ("Handelsblatt").
Während Werke von Hodler und Corinth, Jawlensky und Feininger, Nolde und Baumeister unverkauft blieben, verhinderte vornehmlich ein Bild des Bauhaus-Malers Oskar Schlemmer die Neumeister-Niederlage: Stuttgarts
Staatsgalerie erwarb die »Szene am Geländer« für 100 000 Mark.
Weniger Interesse fand jetzt, ein Jahr später, ein weiteres Auktions-Objekt mit dem Namen Schlemmers: die Plastik »Abstrakte Figur«. Denn das 56 Zentimeter hohe Gebilde war gar kein Schlemmer-Original, sondern eine posthum in Silber gegossene, vergoldete und von der Witwe signierte Reproduktion einer Holzplastik von 1923. Das massive Stück wurde für 20 000 Mark - ohne Konkurrenz-Gebot - zugeschlagen. Neumeister: »Ich bin froh, daß es weg ist.«
Aus dem Angebot von 671 Nummern ging eine Slevogt-Landschaft am besten weg: Sie brachte 38 000 Mark. 26 000 Mark wurden für eine Lithographie Edvard Munchs ("Das Weib") geboten.
Ohne Käufer blieben Bilder von Pissarro und Pechstein, Gilles und Nay, Skulpturen von Kolbe und Klimsch, Matisse und Maillol. Selbst Graphik -Blätter von Barlach, Beckmann, Dix und Janssen - sonst gut notiert - waren unter den Remittenden. Neumeisters stereotyper Kommentar zu Kaufgeboten: »Das Limit ist höher.«
Aus besonderem Grund ging eine »gewischte Kohlezeichnung« (so der Katalog) von Käthe Kollwitz zurück: Das Blatt war eine Reproduktion mit dem Stempel des Dresdner Verlags Emil Richter - das Original liegt in der Kunsthalle Bremen.
Durch solche Pannen ist der Auktionator nicht entmutigt: Für nächstes Jahr plant er »vielleicht sogar zwei moderne Versteigerungen« - mit weniger Nummern und niedrigeren Limits. Neumeister: Wenn ich mir was in den Kopf setze, lasse ich nicht locker.«
Versteigerte Munch-Graphik »Das Weib«
Dilemma beim sechsten Gebot
Auktionstor Neumeister
Limits vom Lieferanten