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MODE Zug der Zeit

Wieviel Uhren braucht der Mensch? Mindestens drei?
aus DER SPIEGEL 34/1973

Wer mit der Zeit gehen will, so wenigstens meint die Uhrenbranche, der sollte seine Armbanduhren wechseln wie sein Oberhemd. Das mindeste: zur Arbeitskluft, zum Gesellschaftsanzug und zum Freizeitdress jeweils der passende Zeitmesser.

»Die Allzweck-Armbanduhr von einst«, verkündet Horst Lockenvitz vom Hamburger Fachgeschäft Uhren-Becker, »ist tot.« Und das ist nicht mehr nur Wunschdenken. Statistiker fanden heraus, daß mehr als 96 Prozent der erwachsenen Bundesbürger mindestens eine Armbanduhr besitzen. Auch bei Deutschlands Kindern tickt es schon: Mehr als die Hälfte der Fünf- bis Fünfzehnjährigen trägt die erste Uhr am Arm.

Die traditionsreiche Branche gab sich mit solcher Marktsättigung nicht zufrieden. Um den Zeitgenossen eine Zweit- und womöglich noch eine Drittuhr zu verpassen, weckten die Marketing-Strategen den einmal befriedigten Uhr-Trieb aufs neue: Die Uhr wurde zum modischen Accessoire ernannt -- und überdies stärker als je zum Statussymbol, »mit dem man renommieren kann« (Eterna-Werbung).

Als Instrument der Imagepflege brachte beispielsweise die Schwenninger Uhrenfirma Kienzle »stahlharte, junge, mutige, kompromißlose Armbanduhren« auf den Markt. Und eine Rolex Day-Date (Preis: 5630 Mark), heißt es, ersetze unter Kennern eine internationale Kreditkarte.

»Der Geltungsnutzen«, bestätigt Erhard Wanhoff vom Zentralverband der Uhrmacher in Königstein, »spielt beim Uhrenkauf inzwischen eine weit wichtigere Rolle als der Funktionsnutzen.« Nicht nur die Zeit, der Zug der Zeit vor allem soll abzulesen sein.

Als Jet-Pilot oder Raumfahrer kann sich da jeder fühlen. Bei Rennen der Herren-Zweituhren liegen gegenwärtig sogenannte Chronographen vorn: Automatik-Uhren mit Stoppvorrichtungen, die nut bestimmten Zifferblatteinteilungen, mit Zählwerk und Multiplikator-Skalen komplizierte mathematische Operationen möglich machen, wie etwa die Berechnung von Benzinverbrauch, Gestehungskosten, Gewinnspannen oder Wechselparitäten.

Doch acht von zehn Chronographen-Kunden, weiß Wanhoff, »können damit nicht einmal zwei und zwei zusammenzählen«.

Auch Taucheruhren-Träger, heißt es, loten mit dem Tiefenmesser oft nur den Wasserstand in ihrer Badewanne. »Die Bermuda am Handgelenk«, behauptet Wanhoff, »ist häufig Erkennungsmerkmal für den Nichtschwimmer.«

Was für den Herrn das Stahlgehäuse suggeriert, nämlich »Sinn für Technik, Sachlichkeit, Fortschrittsglauben« (Uhren-Becker), ersetzt für die Dame die quer-ovale Ketten- oder Spangenarmbanduhr. Trendleader Obrey (Paris) bringt sie mit dunklen Zifferblättern ohne Zahlen auf den internationalen Markt. Aber auch bunte Plastikuhren (Fachjargon: Beach-Watches), neuerdings mit durchsichtigen Armbändern, liegen feil, vor allem in Boutiquen. Die Wegwerf-Uhren ticken oft nur einen Sommer lang und haben die Funktion von Saison-Schmuck.

In den gehobenen Preisklassen (3000 bis 10 000 Mark) hat nach wie vor die Goldband-Uhr »den Stellenwert des Nerzjäckchens« (Lockenvitz). Freilich, in Weißgold oder Platin muß sie prunken. »Gelbgold ist out"« melden die Uhren-Couturiers, »die weiße Welle rollt«.

Uhrenhändler Lockenvitz, der »weit über 50 Prozent Zweituhren« umsetzt, beobachtet in seinem Uhrenladen, daß hauptsächlich Gastarbeiter und Handwerker noch zu den »vergoldeten Prestige-Dingern« greifen. Die wirklich Feinen, meint er, meiden »das Metall des Establishment« und ziehen das dezente Weiß vor: »Ausgesprochen antibürgerlich« findet Lockenvitz diesen Trend.

Noch mehr Prestige indes versprechen Digital- und Quarz-Uhren, die ihre Antriebsenergie aus Mikrobatterien beziehen. Sie gehen -- obwohl sie, wie die Uhrmacher selbst eingestehen, vorerst noch gern stehenbleiben. »Es ist wie beim Ro 80«, meint Verbandssprecher Wanhoff, »der wurde ja anfangs auch wie wild bestellt, obwohl oft schon nach 6000 Kilometern ein Austauschmotor fällig war.«

Den letzten Kick im Understatement wiederum haben vorerst nur wenige Bijoutiers in der Auslage: ins Kostbare gewendeten Billig-Look.

Bei dem exklusiven Hamburger Juwelier Wilm beispielsweise, der für denselben Kundenkreis auch hölzerne Armbanduhren bereithält, gibt es eine täuschend echte Plastik-Imitation -- aus Elfenbein.

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