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FERNSEHEN Zug zum Wahnsinn

Termingerecht zum WM-Duell Kortschnoi gegen Karpow auf den Philippinen zeigt die ARD einen Psychothriller über einen irren Schach-Champion.
aus DER SPIEGEL 37/1978

Sie rülpsen und spucken, bohren in der Nase, pinkeln auf die Bühne und treten den Gegner tückisch unterm Spieltisch.

Sie sind als Marotteure verschrien, als kalte Egozentriker und Grillenträger. Psychoanalytiker attestieren ihnen schlimme Neurosen, »analsadistischen Charakter« und eine Killermentalität von »unbarmherziger Härte«. Die Fachliteratur ist voll von Gruselstorys über die großen Meister des Schachs.

In diese Abgründe haben schauernd auch die TV-Autoren Karl-Heinz Willschrei und Jochen Wedegärtner geschaut. Sie studierten die Triumph- und Leidenswege der Schachgiganten -- die Biographien von Wilhelm Steinitz etwa, der im Blödsinn endete und Gott zum Kampf herausforderte, vom Letten Aaron Nimzowitsch, der sich von Giftmördern verfolgt fühlte, und vom zänkischen Bobby Fischer, der immer danach trachtete, »das Ego« seiner Widersacher »zu zerstören«. Im Schach, folgert Willschrei, »bedeutet eine Niederlage Kastration und Tod, ein Sieg anarchisches Niedermetzeln«.

Ein solches Massaker findet nun, termingerecht zum WM-Duell Kortschnoi gegen Karpow auf den Philippinen, auf dem ARD-Schirm statt: Mittwoch, 20.15 Uhr, im Fernsehfilm »Schwarz und weiß wie Tage und Nächte«. Ein Film, sagt Regisseur Wolfgang Petersen, »über einen extremen Egoisten, den der Leistungszwang in die totale Isolation treibt«, über einen Schach-Maniac namens Thomas Rosenmund.

Wie einer Droge ist schon der Knabe Thomas dem Brettspiel verfallen. Fiebernd grübelt er über Eröffnungstheorien: Fianchetto und Rochade sind ihm vertrauter als Abc und Einmaleins. Wenn er spielt und verliert, gerät er in Raserei und beißt sich die Finger blutig. Unverkennbar, da reift ein Genie, ein Mordbube wie Bobby Fischer.

20 Jahre später kommt Rosenmund, inzwischen Computerspezialist und Mathematiker, endlich zum Zug. Er programmiert ein Elektronenhirn zum Kampf gegen den amtierenden Schach-Weltmeister Koruga, einen ältlichen Beau, der sich gern mit blonden Dämchen umgibt. Doch der Roboter versagt

* Mit Bruno Ganz und Ljubo Tadic

kläglich, der tief verletzte Maschinist schwört Rache: »Ich werde es selbst tun, Koruga schlagen.« Ahnungsvoll spricht da sein schönes Weib Marie: »Thomas, du bist wahnsinnig.« Erbarmungslos nimmt jetzt das Fernsehschicksal seinen Lauf.

Rosenmund kündigt seinen Job, engagiert einen Trainer und besiegt, im WM-Match mit branchenüblichem Psychoterror, tatsächlich den titanischen Koruga. Berauscht und besessen eilt er von Turnier zu Turnier. Die stille Marie wird zusehends bleicher; der Champion zeigt erste Symptome von Verfolgungswahn.

Er wähnt, der besiegte Koruga wolle ihn ermorden: »Ich habe ihn getötet, jetzt will er mich töten.« Er schließt sich tagelang ein, untersucht jedes Essen, das die brave Marie auftischt, nach Gift. Und als Koruga ihn zum Revanche-Turnier herausfordert, rüstet der Umnachtete zum Gegenschlag: Vor der ersten Partie. der er fernbleibt, schmuggelt Rosenmund eine Bombe unter den Schachtisch. Aber der Anschlag mißglückt, der Attentäter landet im Irrenhaus und fordert -- Steinitz läßt grüßen -- den Herrgott persönlich zum Kampf heraus.

Regisseur Wolfgang Petersen, renommiert für subtilere »Tatorte«, hat dieses Schach-Märchen konsequent als Psychothriller inszeniert, mit dem exzellenten Bruno Ganz von der Berliner Schaubühne in der Hauptrolle. Und Petersen glaubt, der Film sei »ein wahres Entzücken für Schachspieler«.

Aber die sind, bekanntlich, oft seltsame Vögel und womöglich gar nicht erheitert von der Botschaft dieser Geschichte: daß man von e2 nach e4 geradewegs in den Wahnsinn zieht.

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