MODE Zum Basteln und Bummeln
Jogging läßt neuerdings nicht nur Sportlerherzen, sondern auch die des Textileinzelhandels höher schlagen. Die Mode hat das Trimm-dich-Zeug entdeckt: Auf Bürgersteigen, Boulevards und Avenues mischen sich Trainingsanzüge, Boxershorts und Turnschuhe ins modische Bild.
»Wenn im Handel auch sonst nichts läuft«, berichtete das Frankfurter Branchenblatt »Textil-Wirtschaft« seinen deutschen Lesern aus New York, »das Thema Jogging rennt.«
Doch auch in München sieht man nun tagsüber auf der Leopoldstraße die schönsten Disco-Mädchen in Trainingshosen und Turnschuhen ihr Eis löffeln. Im Englischen Garten wimmelt es von angeblichen Joggern in Baumwollkluft (nur ein Drittel davon joggt wirklich). Ein Münchner Scheidungsanwalt bekannte, daß er seine Adidastreter »nur noch zum Plädieren vor Gericht« auszieht.
Erst recht die lauffaulen Franzosen haben den zeitgemäßen Schick des Jogging entdeckt. Ganze Pulks keuchen, nicht nur am Wochenende, durch den Bois de Boulogne. Und vor allem die Pariser verwandelten den schlichten Trainingsanzug in ein hochmodisches Kleidungsstück, dessen Benutzung sich keineswegs aufs Jogging beschränkt. Als »eine neue Art von Freizeitkleidung« stufte ihn die »International Herald Tribune« ein.
Die Pariser Stylistin Dorothee Bis, die mit Werkstätten und Büros eben in das ausgetrocknete Hallenbad des Hotels Lutetia einzog, hat sich eine flotte Sportabteilung (Marke: »Dorotennis") zugelegt. Da wirbt sie für den Jogger-Anzug: »Ein und dasselbe Kleidungsstück zum Basteln, Radfahren und Fernsehen, für den Marktbummel, um schick zu sein und sich bequem zu fühlen.«
Als »typische Mitläufer-Kluft« wertet der Münchner Jeans-Händler David Stopnitzer ("Stoppis American Shop") die begehrte Kombination aus Trainingshose, Sweatshirt und Turnschuhen. In »Stoppis« Schwabinger Jeansshop reißen sich die Kunden derzeit auch um weiße Bermudas ("Tennis kann man damit jedenfalls nicht spielen, so eng sind die"). Sein Umsatz in Sportmode hat sich in diesem Jahr »bis jetzt mindestens verfünffacht«, vor allem Turnschuhe »gehen wie nie
»Ziemlich leere Regale« meldet bereits Sport-Scheck in München. Besonders »die französischen Modelle« (zu Preisen um 145 Mark) seien bestens weggegangen.
Gemeint sind in Wahrheit US-Modelle. Denn die Franzosen, bei denen die deutschen Adidas-Anzüge mit weißen Publicity-Streifen anfangs noch gut im Rennen lagen, haben sich nun ganz dem amerikanischen Jogging-Stil verschrieben: weite Pumphosen mit Gummizug am Knöchel, mit stabilen Reißverschlüssen und zugfesten Kordeln um Kapuze und Jackenbund.
Amerikanische Direktimporte (für umgerechnet 80 Mark) kaufen die Pariser in der smarten neuen Boutique »Hemisphere« an der Avenue de la Grande-Armee, die der Ehemann der Parfum-Lady Helene Rochas als Hobby betreibt. Die »International Herald Tribune« erspähte dort schon »jene gutbetuchten Matronen, die ihre Jacken mit den Couture-Etiketten zu Boden gleiten lassen, um sich im neuen Sportlook zu versuchen«.
Als »Charme-Jogger« rühmt der »Figaro« Mädchen in Trainingsanzügen aus knalligem Azetat-Satin. Andere hopsen in Jogging-Pulls mit paillettengestickten Mickymäusen in Parks und in Cafes herum. In den Discos wird der Trainingsanzug mit hochhackigen Sandalen und Pumps dann endgültig verfremdet.
»Für die Stadt«, säuseln die Verkäuferinnen, »müssen die Trainingsanzüge natürlich stark accessoirisiert werden.« Gemeint sind Glitzerbroschen und Perlenketten. Starfriseure steuern auch schon Wuschelköpfe »Modell Jogging« bei. Die Hits fürs Hochsommer-Jogging sind abzusehen: kurze Satinshorts mit Netzhemden.
»Die Sweatshirts haben den Pullover abgelöst«, meldete beispielsweise auch Fiorucci (italienische Sportmoden) aus München. »Fruit of the Loom« ist die gängigste Marke, unter der im Herbst auch Trainingsanzüge aus lila Lurex auf den europäischen Markt kommen sollen. Sportfabrikant Bogner hingegen, der neuerdings zur Damenkonfektion vordringen will, hat den Trend offenbar zu spät bemerkt: »Unser Sportswear-Programm ist ja nicht gagig genug. Das tragen nur wirkliche Sportler.«
Dafür ist der europäische Turnschuh-Markt, mit den Marken Adidas und Puma, fest in deutscher Hand. Adidas, die niemals Zahlen nennen, verkaufen »mehr denn je Allzweckschuhe mit Sohlenprofil und Fersenpolster«. Bei »Puma«, dem feindlichen Bruder, hat sich der Umsatz in den ersten vier Monaten dieses Jahres gegenüber den Vergleichsmonaten des Vorjahres um 122 Prozent erhöht. Pressechef Sepp Dietrich schwört vor allem auf die »Bonanza«-Linie, neutrale, meistens beige oder braune Schuhe, »die man vom Trimmplatz in die Firma und ins Theater anlassen kann«.
Unterdes werden die Jogging-Anzüge bei den Konfektionären schon auf den Winter umgestylt. Der flotte Kenzo beispielsweise wird mit einem molligen Wollanzug anrücken -- in Gestalt einer Plüschkatze mit Kopf, Glasaugen und vier langen Tatzen. »Jogging«, resümierte die »International Herald Tribune«, »dringt nun in die Couture vor.«
Daß Jogging-Mode offenbar für jede Art von Leibesübung gut ist, zeigt sich wiederum im Bois de Boulogne. Dort bieten sich die leichten Mädchen der Tagschicht den Automobilisten neuerdings im Trainingsanzug an -- sportive Verlockung in glänzendem Satin.