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KUNST Zur Kanaille gemacht

Eine Hamburger Ausstellung zeigt die Malerei des »Realisten« Courbet vor politisch-historischem Hintergrund: »Gespräch und Entfremdung« zwischen Deutschen und Franzosen.
aus DER SPIEGEL 42/1978

Zu Gast in München, 1869, macht der französische Maler Gustave Courbet bierselige Vorschläge, wie den angeblich »3000 Statuen in der Stadt« auf rationelle Weise beizukommen sei. »Wenn die Köpfe Schrauben hätten«, so gibt er zu bedenken, »könnte man sie alle 14 Tage auswechseln, und man brauchte in diesem Falle nur etwa zehn Statuen.«

Ein Jahr später, im eingeschlossenen Paris, heckt Courbet wieder eine bizarre Denkmals-Verwandlung aus, doch diesmal ist es ihm pathetisch ernst. An die deutschen Künstler, Zechkumpane der Münchner Zeit, die zu Belagerern geworden seien, richtet er den Aufruf, aus eingeschmolzenen Kanonen -- deutschen wie französischen -- ein »kolossales Monument« zu gießen, »das wir gemeinsam auf der Place Vendôme errichten werden": »Eure Säule und unsere.«

Daß wenig später das Siegesmal Napoleons, das tatsächlich auf dem Platz steht, von zornigen Parisern umgestürzt wird, muß der Künstler dann mit Gefängnis, Geldstrafen und Exil büßen. Zeitgenosse zu sein ist für Courbet (1819 bis 1877) ein exemplarisch erlittenes Schicksal vor französisch-deutschem Hintergrund. Jovialer Spaß schlägt über Nacht in historische Tragödie um.

»Courbet und Deutschland": Das Thema empfahl sich, wenn es darum gehen sollte, der Epochenfigur auch rechts des Rheins zu huldigen, ohne hinter eine unwiederholbar große Courbet-Ausstellung zurückzufallen, die voriges Jahr in Paris gezeigt worden ist. Für die Hamburger Kunsthalle bietet es nun das Stichwort zu einem neuen Superlativ. Auch in diesem Haus, das sein Direktor Werner Hofmann für neue Sicht auf alte Bilder rühmlich bekannt gemacht hat, war bislang schwerlich soviel so scharfsichtig aufbereiteter Stoff zusammengetragen worden. Ab Donnerstag ist die anspruchsvolle Schau geöffnet**.

Sie fordert (überfordert?) den Betrachter durch ein Angebot wechselnder Perspektiven. Dem Werk Courbets, das denn doch mit 90 Gemälden und 25 Zeichnungen präsent ist, wird in rund 80 Beispielen die von ihm angeregte Produktion deutscher Maler zugeordnet. Seine provokante Modernität wird in der zeitgenössischen Karikatur gespiegelt und ein aussagekräftiger. von Courbet aber merkwürdig vernachlässigter Motivkreis aus anderen Bildquellen ergänzt: Historiengemälde und gezeichnete Pamphlete erstellen die geschichtliche Kulisse, die »Gespräch, Gegensatz und Entfremdung« zwischen Deutschen und Franzosen anschaulich macht.

Denn zwar agierte der Maler, der sich als »Sozialist, Demokrat und Republikaner« bekannte, an der politischen Rampe. »Bis Sedan habt ihr uns einen Dienst erwiesen«, rief er den Gegnern im Kriege zu, als Napoleon III. gestürzt war, mit dem weiteren Feldzug gegen die neue Republik würden aber auch »Ketten für Deutschland« geschmiedet. In der Pariser Kommune von 1871 übernahm Courbet das Delegiertenamt für schöne Künste.

Doch wieviel Schuld am Sturz der Vendôme-Säule ihn treffen mochte -- gemalt jedenfalls hat Courbet das Ereignis nicht. Die siegreiche »demokratische Kunst«, die vergebens die Schweine bereits in der Wiege fressen wollten« (Courbet 1864), war ihm kein Werkzeug für vordergründige Agitation. »Sozialistisch« nannten Karikaturisten diese Malerei. weil sie so »armselig« sei.

Ein Barrikadenkämpfer etwa, den der junge Courbet 1848 als Vorlage für einen Zeitschriftentitel gezeiehnet hatte, und einige protokollierende Skizzen von Kommunarden-Kerkern und -Hinrichtungsplätzen 1871 blieben rare Ausnahmen. Seine »Steinklopfer«, mit denen er 1849 »die Kunst zur Kanaille machen« wollte, waren keineswegs ein Aufbruch zu systematischer Arbeitswelt-Malerei. Und auch ein Familienbild des sozialistischen Philosophen Pierre Joseph Proudhon, im Rückblick nach dessen Tod entstanden, läßt sich nur mühsam als politische Proklamation in Anspruch nehmen.

Im übrigen wird das Feld von Frauenakten, Blumenstilleben, Jagdszenen, Gesellschaftsporträts und Landschaften beherrscht, die bestenfalls vage durch das Etikett »Realismus« zu kennzeichnen sind. Dieses Schlagwort hatte Courbet 1855 groß an seinen eigens erbauten Pavillon geschrieben, in dem er in Konkurrenz zur Pariser Weltausstellung 40 Bilder zeigte -ein Protestakt ohne Beispiel, wie der Maler selber fand: »Man hatte niemals in Frankreich eine vergleichbare Demonstration gesehen.«

Solche Trotzgebärden verhalfen dem »stolzesten Mann Frankreichs« zu hilfreicher Publicity. Die massige Gestalt des Gutsherrensohnes aus Ornans, der -- befremdlich unfranzösisch -- gar soviel Bier trank, war im Pariser Kunstleben bald unübersehbar. Karikaturen machten Courbets Habitus ebenso berühmt wie, zugleich damit, seine male-

* Antichrist Courbet weicht vor dem Kreuz (der Ehrenlegion) zurück.

** Bis 17. Dezember, ab 17. Januar 1979 im Städelschen Kunstinstitut Frankfurt. Katalogbuch 640 Seiten; 30 (im Buchhandel 56) Mark.

rischen Neuerungen: die gelegentlichen plebejischen Motive oder die rauhe Spachtelmanier von Landschaftsgründen, vor denen die Figuren wie verloren schweben konnten.

Wie vielschichtig dieses CEuvre ist, legen nun die Autoren des brillanten Hamburger Ausstellungskatalogs unter verschiedenen Blickpunkten dar. Während man, bei einschlägig gutem Willen, durch Courbets souveräne Farbbehandlung eine »im Wirtschaftsbereich längst eingeübte freie Verfügung über den Gegenstand nachgeholt« finden kann (Klaus Herding), bewährt sich andererseits der Künstler mit fülligen Akten wie einer personifizierten »Quelle« als »erfolgreicher Konkurrent der hochverkäuflichen Salonmalerei« (Peter-Klaus Schuster). Werner Hofmann, für den gelegentlich Courbets »Realismus in Symbolismus umschlägt«, sieht badende oder träumende Frauengestalten »in der Natur versickern«. Mit der Landschaft -- sie löst programmatisch die gemalte Historie ab -- sei ein mythisches Gegenbild von der »Unzerstörbarkeit des organischen Lebens« entworfen.

Wieviel an Einsicht in solche Zusammenhänge den Zeitgenossen immer zugetraut werden kann: Kenntnis von der Malerei Courbets war auch in Deutschland und zumal hei jungen Künstlern längst verbreitet, ehe der Meister selber herüberkam -- zum erstenmal 1851 nach München. 1858 stellte er in Frankfurt beim Kunstverein aus, ließ sich gern zu Jagdpartien laden (Höhepunkt: Abschuß eines Zwölfenders) und führte Wild und Jäger auch in seine Malerei ein. Ebenfalls in Frankfurt porträtierte Courbet feine Leute wie eine »Dame auf der Terrasse«.

1869 dann wieder in München, wo Courbet als Biertrinker und Galan auf seine Kosten kam ("Frauen mit wirklichen Brüsten!"), fand er bereits, daß »die jungen Leute hier ganz in meiner Art malen«; der bedeutendste von ihnen war der 25jährige Wilhelm Leibl. Courbet spachtelte den Jungen am Starnberger See bei zehn Grad Kälte eine Landschaft, in der Akademie einen Akt vor und kopierte Rembrandt und Frans Hals. Und während er im Jahr darauf das Kreuz der französischen Ehrenlegion zurückwies, nahm er von Bayernkönig Ludwig II. gern einen Orden an. Allerdings hatte sein Entgegenkommen Grenzen: Den Wunsch des Herrschers, ihm einen Lohengrin ins Schlafzimmer zu malen, beschied der Künstler abschlägig.

»Ihr wart mir sympathisch, und ich habe selten so gelacht wie in Deutschland«, ruft der Maler 1870 den »Freunden von jenseits des Rheins« zu. Doch wie die Pressezeichner beider Seiten. die den jeweiligen Gegner zum Barbaren stempeln, verfällt nun auch Courbet in höhnischen Nationalismus: »Ach, ihr Teutschen, es hilft nichts, die Galtier werden euch immer übertreffen.«

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