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TOURISMUS Zurück aus den Hütten

Trendwende in der Schweiz: Trotz überhöhten Franken-Kurses kommen wieder mehr Touristen -- die ausgezehrte Hotellerie lebt wieder auf.
aus DER SPIEGEL 10/1978

ungläubig starrte der Ski-Tourist aus »-, Miami auf die 170 Franken, die ihm da auf den Tresen hingeblättert wurden: »Vor ein paar Jahren gab es doch für 100 Dollar noch das Doppelte.«

Auch der Gast aus Deutschland zählte betroffen: In den großen Hotels des Prominentendorfes St. Moritz, auch dieses Jahr Ziel von Sachs und Karajans, wurden Anfang letzter Woche ganze 85 bis 86 Franken für 100 Mark bezahlt, zwei Tage später im Palace-Hotel in Gstaad gar nur noch 80.

Zum Höhepunkt der Wintersaison hat den Schweizer Franken ein Höhenrausch befallen (siehe Seite 126). Doch langfristig ist der neue Touristen-Zustrom in die Schweiz wohl auch dadurch nicht zu stoppen.

Seit 1972 war es mit der Schweizer Hotellerie bergab gegangen: Immer mehr Urlauber waren in die zumeist billigeren Châlets und Ferienwohnungen ("Parahotellerie") gezogen -- oder ganz ferngeblieben. 1975 überrundete erstmals die Para- die echte Hotellerie« die bis 1976 etwa 13 Prozent ihres Übernachtungsaufkommens verlor. »Uns kann«, klagte noch vor Jahresfrist ein Hotelier im Engadin, »nur noch ein Wunder retten.«

Das Wunder ist da: Der Vormarsch der Parahotellerie scheint gestoppt, jäh gehen die Zahlen der Hotelgäste wieder in die Höhe, im letzten Jahr bereits uni nahezu zwei Millionen Logiernächte. »Dieser Winter«, prophezeit in St. Moritz Kurdirektor Peter Kapser, »wird für uns der beste aller Zeiten.«

»Was die Deutschen in den Hotels anlangt«, registriert John Geissler von der Fremdenverkehrszentrale in Zürich »ein absolutes Rekordjahr«. Und sogar die Amerikaner, währungsgeschädigt wie kaum eine andere Touristik-Nation, sind wieder da -- im nicht gerade billigen Zermatt gar um 30 Prozent zahlreicher als im Vorjahr. »Unsere Amerikaner hier«, bemerkt dazu Geissler, »sind nicht very cost sensible« -- zu deutsch: Es kommen ohnehin nur Reiche.

Wie es zu dem unerwarteten Rückgewinn verlorener Alpen-Urlauber kam, können die Schweizer Touristiker einstweilen nur ahnen. So habe sich bei »Tiefen-Interviews« in der Bundesrepublik gezeigt, daß deutsche Urlauber die gute Küche, die Sicherheit und Gediegenheit der Eidgenossenschaft schätzen.

Rätselhaft ist, warum sich der jahrelang beobachtete Trend zu Châleis und Appartements jetzt wieder gedreht hat -- »Zurück aus den Hütten, wieder 'rein in die Paläste«, wie es ein Branchenkundiger umschrieb. Seit zwei Jahren stagnieren die Zahlen der Châlet-Urlauber.

Für die Châletmüdigkeit der Deutschen, die das größte Kontingent an Hotel-Rückkehrern stellen, machen Kenner unter anderem die Frauenemanzipation verantwortlich. »Die Frauen«, sagt ein Hoteldirektor in St. Moritz, »weigern sich, auch in den Ferien noch Hausarbeit zu leisten.«

Wer billiger wohnt, geht dafür in der Regel keineswegs zu üppigem Verzehr aus dem Haus. Orte, in denen vorwiegend Appartement-Urlauber ausspannen, sind meist an bescheidener Gastronomie und ödem Nachtleben zu erkennen. Umgekehrt haben alle swingenden Schweizer Wintersportorte mehr Hotel- als Châlet-Touristen: Arosa und Davos zum Beispiel, St. Moritz, Mürren und Zermatt.

Zudem stiegen, schneller als die Hotelpreise, die Kosten für Schweizer Ferienwohnungen -- nicht nur für Mieter, auch für Käufer: »Der normale Reiche«, so umschreibt es der Direktor des St. Moritzer Traditionshotels Kulm, Heinz Hunkeler, »kann sich ein Châlet ja kaum noch leisten.«

Als Kapitalanlage hat das Schweizer Ferienhaus versagt (die Baukosten sind rückläufig), und für nur einen Urlaub im Jahr ist der Unterhalt zu teuer: Da kommt das Grandhotel billiger.

Für die Zukunft wollen die Schweizer denn auch verstärkt eine Herbergsform anbieten, bei der die Vorzüge von Châlets und Hotels kombiniert sind.

Das mondäne Palace-Hotel in Gstaad etwa plant eine »Résidence« mit 20 Wohnungen, alle im Châlet-Stil, mit viel Platz und privatem Raum, doch alle mit Anschluß an das Hotel und dessen Küche und Komfort.

»Wir hatten hier genug Gäste an die Parahotellerie verloren«, sagt Palace-Chef Ernst A. Scherz, »doch jetzt kommen die alle wieder.«

* Mit Ehefrau Mirja bei Start zu einem Ballonflug in St. Moritz.

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