LITERATUR / TSCHECHOSLOWAKEI Zweites Mittelalter
»Die Schonzeit der Schriftsteller ist nun vorbei«, schnappte Jill Hendrych, Parteipräsidiums-Mitglied und Kulturaufseher der tschechoslowakischen KP. Ob er selber vom Zorn des KP-Chefs Antonin Novotný verschont bleiben wird, steht dahin.
Denn der Intellektuellen-Bewacher Hendrych hat versagt: Der IV. Kongreß des Schriftstellerverbandes der CSSR, letzten Monat in Prag, war für das Regime ein peinliches Debakel.
Mit noch nicht dagewesener Offenheit widersetzten sich die Literaten der Parteiforderung, den Liberalisierungsprozeß abzustoppen, der die Tschechoslowakei zum kulturell freizügigsten Land des Ostblocks gemacht hatte -- und Hendrych konnte es nicht verhindern.
Dabei war die Partei schon Kummer gewöhnt. 1965 stellte das Kulturmagazin »Tvár« sein Erscheinen lieber ein, als auf Hendrychs Geheiß »den Redaktionsstab zu wechseln und linientreu zu werden. Die slowakische Wochenschrift »Kulturnýzivot« weigerte sich, von der Partei als revisionistisch verurteilte Ansichten zu widerrufen.
Der Schriftsteller Jan Nedved nahm es hin, wegen Unbotmäßigkeit aus der Partei ausgeschlossen zu werden. Ladislav Mnacko ließ sich auch durch stärksten Druck nicht davon abbringen, seinen regimekritischen Roman »Wie die Macht schmeckt« im Westen zu publizieren (SPIEGEL 9/1967).
Schlimmes ahnend, ging die Partei daher schon vor Beginn des diesjährigen Schriftsteller-Kongresses auf Gegenkurs. Elf der 16 Seiten des Schriftstellerverbands-Blattes »Literární noviny« erschienen zensiert. Im Parteiorgan »Rudé právo« attackierte der Partei-Ideologe Jan Fojtik zum Kongreßbeginn das Buch »Kunst und Koexistenz« des österreichischen Kommunisten Ernst Fischer und verurteilte den Gedanken einer ideologischen Koexistenz als »Utopie«.
Bei der Eröffnung des Kongresses im Prager »Kulturhaus« der Eisenbahner beschwor Kulturfunktionär Hendrych zunächst das »kommunistische Gewissen« der Teilnehmer. Dann aber drohte er: »Die Parteidelegation ... verwahrt sich dagegen, daß von den weitverbreiteten Schlagworten »Freiheit« »Humanismus« und »Demokratie« ein Recht auf die Verbreitung feindlichen Gedankenguts abgeleitet wird.«
Doch ungerührt verlasen die Schriftsteller den Protestbrief, den ihr russischer Kollege Alexander Solschenizyn an den letzten sowjetischen Schriftsteller-Kongreß gerichtet und in dem er die Abschaffung der Zensur in der Sowjet-Union gefordert hatte (SPIEGEL 25/1967).
Der Dramatiker, Drehbuchautor und Filmregisseur Pavel Kohout kritisierte die CSSR-Parteinahme im israelisch-arabischen Konflikt: »Wenn Israel ein Aggressor ist, dann wäre die Tschechoslowakei 1938 nach München ebenfalls ein Aggressor gewesen, wenn sie den Fehdehandschuh der Deutschen aufgenommen hätte.«
Die härteste Kritik am Novotný-Regime übte jedoch der Romancier Ludvik Vaculík. In einer 35 Manuskriptseiten langen Rede, die erst jetzt außerhalb der Tschechoslowakei bekannt wurde, beschuldigte er »die führende Dynastie«, nicht zu begreifen, daß es »unmöglich ist, Sozialismus ohne Demokratie aufzubauen«.
Vaculík: »Warum dürfen wir nicht leben, wo wir wollen? Warum fahren·die Schneider nicht für drei Jahre nach Wien und die Maler für 30 Jahre nach Paris, mit der Möglichkeit, nicht als Verbrecher zurückzukehren« Warum dürfen Menschen, denen es bei uns definitiv nicht gefällt, sich nicht zum Teufel scheren? ... Ich fühle, daß der Name unserer Republik seinen guten Klang verloren hat.«
Als die Schriftsteller stürmisch applaudierten und Parteifunktionäre versuchten, Vaculík vom Mikrophon zu zerren, kam es zu einem Handgemenge. Funktionär Hendrych verließ starr den Saal und verfügte die Geheimhaltung der Vaculík-Rede.
Als die Kandidatenliste für das 45köpfige Zentralkomitee des Schriftstellerverbandes von der Partei zurückgewiesen wurde, zogen Vaculík, Mnacko sowie die Dramatiker Ivan Klima und Václav Havel ihre Kandidatur zurück. Zeitweise stand sogar die Verbandsauflösung zur Debatte.
Schließlich schmetterten die Schriftsteller auch die Minimalforderung der Partei ab: Einstimmig weigerten sie sich, den parteitreuen Autor Vojtech Cach in den Verbandsvorstand zu wählen. Angesichts solcher Solidarität stimmte Cach selbst gegen seine eigene Kandidatur. Als er den Kollegen wenigstens eine Loyalitätserklärung für die Partei abzuringen versuchte, erhielt er nicht eine einzige Unterschrift.
In einem Brief, den der Kongreß zum Abschluß an das ZK richtete, betonten die CSSR-Literaten dann zwar: »Wer unsere Offenheit als eine gegen den Sozialismus gerichtete Strömung ansieht, begeht einen großen Irrtum. Sie ist nur der Ausdruck und der Beweis für die wachsende innere Stärke unserer sozialistischen Demokratie.«
Andererseits aber rügten die Schriftsteller gravierende Mängel des Regimes : »Absinken der Allgemeinbildung, Verlust des Bewußtseins der historischen Kontinuität ... künstliche Behinderung von Kontakten mit Wissenschaft und Kultur der Welt«. Und sie warnten vor einem Rückfall »in die Deformationen der Periode des sogenannten Persönlichkeitskultes«.
Das Regime antwortete mit einem Prozeß, der vom 3. bis zum 15. Juli dauerte. Verurteilt wurden:
> Pavel Tigrid, 49, tschechischer Exil-Politiker und Herausgeber einer Emigrantenzeitschrift in Paris, an der auch Prager Autoren mitgearbeitet haben sollen -- wegen »Subversion und Spionage« in Abwesenheit zu 14 Jahren Kerker;
> Jan Benes, 31, Prager Schriftsteller, der mit Tigrid zusammengearbeitet haben soll und nach seiner Rückkehr von einer Westeuropa-Reise im Herbst 1966 verhaftet worden war -- wegen »Republikverrats« und »versuchten Betrugs« zu fünf Jahren Kerker.
Gleichzeitig wurden in der Parteipresse dem Romancier Vaculík ähnliche Delikte vorgeworfen: »Beziehungen zu Emigranten in New York«.
Und CSSR-Herr Antonin Novotný zog die Bilanz: »Wir dürfen die Anschuldigung nicht dulden, daß wir in jüngster Vergangenheit ein zweites Mittelalter durchgemacht hätten, wie dies von einigen Delegierten des Schriftsteller-Kongresses behauptet worden ist.«