Zwiebelfisch Bei zuen Gardinen und ausem Licht
Den alljährlichen Adventstee meiner Freundin Sibylle durfte ich mir natürlich nicht entgehen lassen, allein schon wegen der Plätzchen nicht: Sibylle kann nämlich meisterlich backen. Während ich also an den Plätzchen knabbere, löchert mich ein junger Mann mit Fragen. Unter anderem will er wissen, ob ich im Privatleben ein Ordnungsfanatiker sei. Wer sich so leidenschaftlich mit der Sprache und ihren Regeln beschäftige, der lebe doch höchstwahrscheinlich in einer picobello aufgeräumten Welt, vermutet er. Ich kann nicht bestreiten, dass ich Ordnung sehr schätze und dass ich schnell nervös werde, wenn Dinge nicht an ihrem gewohnten Platz liegen. Noch nervöser allerdings würden mich offen stehende Schranktüren machen, gestehe ich ihm, das sei ein regelrechter Tick. Da muss Sibylle lauthals lachen: "Na bitte: Der Herr Sick hat einen Tick! Als hätten wir's nicht immer schon geahnt!" Ich werde etwas verlegen und murmele: "Der eine ist abergläubisch, der andere hat Höhenangst, und ich nun ja" - "Und du erträgst eben keine aufen Türen!", vollendet Sibylle den Satz. Womit sie mal wieder genau ins Schwarze getroffen hat, denn wer sich von offen stehenden Türen nervös machen lässt, den bringen "aufe" Türen erst recht aus der Fassung.
Das Wort "auf" hat vor der Tür nichts zu suchen, es kommt eigentlich nur dann zum Einsatz, wenn der Vorgang des Öffnens ausgedrückt wird, also bei aufgehen, aufmachen, aufschließen oder aufbrechen. Wenn der geöffnete Zustand ausgedrückt wird, ist "offen" die bessere Wahl: offen stehen, offen sein, offen bleiben. Mit dieser Unterscheidung nimmt es die Umgangssprache nicht so genau, daher hört man häufig, dass etwas auf sei, wenn es eigentlich offen ist. So können nicht nur Menschen aufstehen, sondern auch Türen; Restaurants und Geschäfte können auf sein (im Münsterland können sie sogar los haben!), und wenn Kinder abends zu lange aufbleiben, kann es sein, dass ihre Augen irgendwann nicht mehr aufbleiben. So weit, so gut. Es gibt aber noch einen anderen Unterschied zwischen "offen" und "auf": "Offen" ist ein Adjektiv, und Adjektive können einem Hauptwort problemlos vorangestellt werden, weil sie sich beugen lassen und sich dem Hauptwort somit anpassen. Das Wort "auf" ist in diesem Fall aber ein Adverb, und bis auf ganz wenige Ausnahmen taugen Adverbien nicht als Beifügung (Attribut) vor einem Hauptwort.
Im norddeutschen Sprachraum ist es indes nicht unüblich, die Wörter an, aus, auf, zu, dran und ab wie Adjektive zu behandeln und sie einem Hauptwort voranzustellen. Für Sibylle ist es sogar die natürlichste Sache der Welt. Als ich ihr einmal ein Foto von mir mit kurz geschorener Frisur zeigte, rief sie überrascht: "Oh, du - mit abben Haaren!"
Auf einer Fahrt durch Mecklenburg standen wir einmal an einer Straßenkreuzung und wussten nicht weiter. "Nehmen wir die linke Straße oder die rechte?", fragte ich. "Wir nehmen die geradeause!", beschloss Sibylle.
Und nie werde ich's vergessen, wie wir im Aufzug der Universität standen und sich ein Student mit einer brennenden Zigarette zwischen uns drängte. Rauchen war damals im Uni-Gebäude noch erlaubt, aber freilich nicht im Fahrstuhl. "Ist das zu fassen?", empörte sich Sibylle daher zu Recht, "mit 'ner annen Zigarette!"
Ehe man sich's versieht, werden in der norddeutschen Umgangssprache aus geschlossenen Fenstern zue Fenster, bisweilen auch zune Fenster oder zuene Fenster, auf eine einheitliche Form hat man sich noch nicht einigen können. Was vom Duden als "saloppe Umgangssprache" beschrieben wird, findet gelegentlich Eingang in Publikationen, die sich eigentlich weder als salopp noch als umgangssprachlich und noch nicht einmal norddeutsch verstanden wissen wollen. So behauptete die badische Internet-Zeitung www.ka-news.de in einem Bericht über Kleidung im Büroalltag: "Für Frauen sind zuene Schuhe und längerer Rock das ideale Büro-Outfit."
Als ich Sibylle dieses bemerkenswerte Fundstück präsentierte, stellte sie kopfschüttelnd fest: "So was kann man doch nicht schreiben, das ist doch ein total danebener Satz!" Darin konnte ich ihr nur zustimmen.
An diesem Adventssonntag ist Sibylle wieder in Höchstform. "Es bringt nichts, einer vorbeien Beziehung nachzutrauern", erklärt sie einer frisch getrennten Freundin. Und zu ihrer Arbeitskollegin, die auf eine Dreiviertelstelle reduziert hat, um ihrer Kündigung zuvorzukommen, sagt sie: "Das ist doch eine okaye Lösung!"
Und auch für mich hat sie noch ein paar aufheiternde Worte parat. Den Schranktüren-Tick kenne sie nur allzu gut, ihr Ex-Freund habe sich auch immer von solchen Dingen ablenken lassen. Das sei manchmal sehr lästig gewesen, vor allem wenn sie es sich gerade ein bisschen gemütlich machen wollten. Da half dann nur eins: Licht aus! "Denn", so schließt Sibylle verschmitzt, "bei zuen Gardinen und ausem Licht, da stören aufe Schranktüren nicht!"