Akademiker oder Fachkräfte Wer wird geheuert, wer gefeuert?
SPIEGEL ONLINE:
Frau Lauer, die Faustregel "Je höher gebildet, desto sicherer der Job" gehört zur bildungspolitischen Folklore. Stimmt sie nicht, oder hat sie sogar nie gestimmt?
Charlotte Lauer: Das ist nicht so, diese Faustregel ist eine falsche Vorstellung.
SPIEGEL ONLINE: In Ihrer Studie für das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung haben Sie den Zusammenhang zwischen Bildungsabschluss und Sicherheit des Arbeitsplatzes untersucht. Welche Art der Ausbildung ist die beste Wahl?
Lauer: Da muss man unterscheiden zwischen dem Risiko, die Arbeit zu verlieren, und der Chance, wieder aus der Arbeitslosigkeit heraus zu kommen, wenn man einmal arbeitslos geworden ist. Die Leute mit einer praktischen Ausbildung, zum Beispiel mit einer Lehre oder vor allem einem Meisterabschluss, sind am besten abgesichert, nicht in Arbeitslosigkeit zu geraten. Wenn die Leute aber schon arbeitslos sind, dann ist ein Hochschulabschluss besser.
SPIEGEL ONLINE: Ein Akademiker verliert eher seinen Job als Fachwirt oder ein Meister, kommt aber auch schneller wieder in einen neuen Job. Wenn man beides zusammen rechnet, welche Arbeitslosenzahlen kommen dann heraus?
Lauer: Insgesamt ist die Arbeitslosenquote bei Hochschulabsolventen, Fachhochschülern und Meistern in etwa gleich. Ein Meister ist geringfügig besser dran. Man kann das so interpretieren: Sehr spezifische und praxisorientierte Fähigkeiten helfen, seinen Job nicht zu verlieren. Wenn man jedoch arbeitslos ist, dann ist es ein Vorteil, eine allgemeine Ausbildung zu haben, um flexibel zu sein und auch in fachfremden Bereichen zu arbeiten. Da sind die Möglichkeiten größer als bei einer spezifischen Berufsausbildung. Mit einem Hochschulabschluss kann man auch unter seinem Ausbildungsniveau nach Arbeit suchen, wenn es nicht anders klappt.
SPIEGEL ONLINE: Der Meister hat also leichte Vorteile gegenüber dem Akademiker. Was kommt denn beim Vergleich verschiedener Studiengänge heraus - verlieren Geisteswissenschaftler schneller ihren Job?
Lauer: Schon Fachhochschüler haben bessere Chancen als Universitäts-Studenten, weil sie praxisnäher ausgebildet werden. An den Universitäten haben BWLer, Informatiker und Naturwissenschaftler typischerweise bessere Chancen.
SPIEGEL ONLINE: Und welche Unterschied gibt es zwischen Männern und Frauen?
Lauer: Bei gleicher Ausbildung ist die Arbeitslosenquote in Deutschland bei Männern nur wenig höher als bei Frauen. Da gibt es keine dramatischen Unterschiede wie zum Beispiel in Frankreich. Das ist seltsam, denn für die Löhne ist es genau anders herum: In Deutschland verdienen Männer viel mehr bei gleicher Ausbildung, in Frankreich ist der Abstand dagegen klein.
SPIEGEL ONLINE: In Deutschland verdienen Frauen weniger, in Frankreich werden Frauen eher gefeuert?
Lauer: Das liegt daran, dass viel weniger Frauen in Deutschland erwerbstätig sind. Die niedrige Erwerbsbeteiligung hat den Effekt, dass die Arbeitslosenquote bei Frauen niedrig bleibt. In Deutschland mangelt es an der Betreuung für Mütter mit Kindern, Schule ist nur halbtags. Ich glaube, das sind auch kulturelle Unterschiede. Vielleicht haben die deutschen Frauen ein anderes Rollenverständnis und bleiben lieber zu Hause wenn sie Kinder haben. Das Risiko, die Arbeit zu verlieren, ist in Deutschland insgesamt geringer als in Frankreich. In Deutschland ist es aber schwerer, wieder eine neue Stelle zu finden.
SPIEGEL ONLINE: Ist die französische Berufsausbildung theoretischer oder praxisnäher als in Deutschland?
Lauer: In Frankreich ist es nicht so, dass berufliche Qualifikation gegen Arbeitslosigkeit mehr absichert als ein Hochschulabschluss. In der Berufsausbildung gibt es viele Probleme: Die Lehre ist tatsächlich nicht so nah an der Praxis, auf den Arbeitsmarkt wird nicht gut so vorbereitet wie in Deutschland. Außerdem scheitern in Frankreich viele in der Lehre und brechen ab. Dadurch hat ein nicht geringer Teil gar keinen Abschluss.
SPIEGEL ONLINE: Bildung lohnt sich also doch. Wer gar keinen Abschluss macht, hat die denkbar schlechtesten Chancen.
Lauer: Genau, in jedem Bereich. Die Leute ohne Abschluss sind mit Abstand am stärksten betroffen.
Das Interview führte Jörg Hackhausen