
Am Online-Pranger Praktikanten outen Ausbeuterfirmen
"Es kümmerte sich eigentlich gar niemand um mich." So bitterlich klagt der Praktikant eines oberbayerischen Maschinenbaubetriebs auf der Online-Bewertungsseite prakti-test.de, die "Praktikumserfahrungsberichte von Studenten für Studenten" anbietet.
Viele sind es noch nicht. Gerade mal 344 weitere Studenten haben auf der Seite bislang ihre Praktika kommentiert. Aber schon ihre Schilderungen machen klar, wie schwer es viele haben.
Nicht viel gelernt, nicht gut betreut: Manche Praktikumsanbieter halten sich nicht an die vollmundigen Versprechen in ihren Stellenangeboten für Schüler, Studenten und Absolventen. Andere sind mit den wissbegierigen Praktikanten schlichtweg überfordert oder nutzen sie als billige Arbeitskräfte aus.
Vor fünf Jahren gingen Praktikanten dagegen auf die Barrikaden, protestierten für faire Bedingungen und forderten mehr gesetzlichen Schutz. Die Rebellion versandete, ein Gesetz wurde zwischen Arbeitsministerium (pro) und Bildungsministerium (contra) zerrieben.
50 Prozent negative Bewertungen
Jetzt, nachdem die weltweite Wirtschaftskrise viele Hochschulabgänger vorerst ohne Job dastehen und in Praktika flüchten ließ, haben auch EU-Parlamentarier das Thema entdeckt: In einer Resolution forderten sie eine europäische Qualitätscharta mit Mindestanforderungen für Praktika, einschließlich Grundgehalt und einer zeitlichen Begrenzung.
Doch da eine nationale Regelung scheiterte, ist fraglich, ob die EU jetzt Rettung bringen kann. Und so helfen sich die Entrechteten inzwischen selbst und schlagen online zurück. Im Internet berichten sie von ihren Erfahrungen, warnen vor dreisten Arbeitgebern und loben vorbildliche Unternehmen. Mit rund 2000 Berichten hat die Jugendorganisation des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) das bislang umfangreichste Informationsangebot im Netz.
Die Erfahrungsberichte von Ex-Praktikanten lassen sich nach Branchen und Bundesländern sortieren. So können Schüler und Studenten sich über lohnende Praktika und manchmal sogar über das Unternehmen ihrer Wahl informieren. Besonders die Medienbranche, in der Praktika besonders verbreitet sind, ist auf der DGB-Seite gut vertreten.
Prädikat wertvolles Praktikum
Auf der von zwei Studenten gegründeten Seite prakti-test.de gibt es zwar erst 345 Erfahrungsberichte - dafür besonders viele aus dem Bereich BWL und aus Bayern. Der Verein Fairwork hat 191 Bewertungen gesammelt, vergibt zusätzlich ein Prädikat für besonders geeignete Praktikumsstellen.

Besonders interessant sind natürlich die Warnungen frustrierter Ex-Praktikanten - rund die Hälfte der Bewertungen auf der DGB-Seite sind negativ. Doch nicht alle Firmen wollen die Online-Kritik auf sich sitzen lassen. "Wenn jemand seinen Chef beschimpft, löschen wir das vorher", sagt Jessica Heyser vom DGB. Trotzdem melden sich immer wieder Firmen und drohen mit einer Klage, sollte eine negative Praktikumsbewertung nicht aus dem Internet verschwinden. "Einmal im Monat kommt das vor", sagt Heyser.
Firmen können Einträge löschen lassen, aber der Firmenname bleibt
Dann wird gelöscht - denn auf einen Rechtstreit wollte sich bisher keiner der Praktikumsbewerter einlassen. Zwar würde die Gewerkschaft das Verfahren bezahlen, doch die Arbeitssuchenden hätten wenig Interesse an einem Prozess, sagt Heyser. Immerhin bleibt von dem gelöschten Eintrag der Firmenname übrig, so dass im Nachhinein ersichtlich ist, welche Firma eine Bewertung entfernen ließ.
Es kommt auch vor, dass Bewertungen allzu euphorisch ausfallen. Verdichten sich die Hinweise, dass nicht ein Ex-Praktikant, sondern die PR-Abteilung eines Unternehmens einen Text verfasst hat, wird das entsprechend gekennzeichnet. Hundertprozentig lassen sich falsche Berichte, ob gut oder schlecht, nicht verhindern. Sie bieten aber eine Übersicht und Anhaltspunkte, worauf man sich als Praktikant einstellen muss.
So warnt der Ex-Praktikant eines Theaters, dass er eine ganz normale Arbeitsstelle ersetzt habe - fast ein Jahr lang, für 500 Euro im Monat, mehr als 50 Stunden die Woche. Dafür werden das "äußerst gute Arbeitsklima" und "anspruchsvolle Tätigkeiten" gelobt. Es gebe allerdings keine Möglichkeiten, anschließend auf einer festen Stelle weiterzuarbeiten. Wer sich hier bewirbt, weiß immerhin, worauf er sich einlässt.
Bleibt nur ein Problem: Angesichts von mehr als zwei Millionen Studenten in Deutschland, von denen viele nicht nur ein Praktikum absolvieren, hat bisher nur eine verschwindend kleine Minderheit den Arbeitseinsatz anschließend bewertet. Werden Praktikanten denn so gut behandelt, dass es in der überwiegenden Zahl der Fälle keinen Grund zur Klage gibt? Werden Praktikanten weniger ausgebeutet als vor fünf Jahren noch?
Zwar würden Unternehmen mittlerweile auf allzu dreiste Praktika-Ausschreibungen verzichten. "Die Anzeigen, wo ein Unternehmen jemanden mit fünf Fremdsprachen für ein unbezahltes Praktikum sucht, das zwölf Monate dauern soll, gibt es nicht mehr", sagt Heyser. Doch das müsse nicht heißen, dass auch die Ausbeutung abgenommen habe.
Und auch wenn das Hochschulinformationssytem (HIS) vor Jahren feststellte, dass für Uni-Absolventen eine Dauerpraktikumsmarathon nach dem Abschluss nicht die Regel ist - alles gefallen lassen muss man sich als vollständig ausgebildeter junger Mensch trotzdem nicht.
"Generation Praktikum"
Praktikanten, die sich von einem un- oder unterbezahlten Arbeitsverhältnis zum nächsten hangeln. Absolventen, die qualifizierte Arbeit leisten, aber monatelang für lau arbeiten. Eine
An einer HIS-Umfrage nahmen 10.000 Hochschulabsolventen des Jahres 2005 aus verschiedenen Fachrichtungen teil. Ihre Antworten fallen weit positiver aus, als es das Getöse um die "Generation Praktikum" vermuten lässt. Demnach arbeitet jeder siebte Uni- und jeder achte FH-Absolvent nach dem Studium als Praktikant. HIS-Experte Kolja Briedis sagt: In technischen Berufen oder den Naturwissenschaften seien Praktika nach Studienende eine Ausnahme, in den Sozialwissenschaften komme es häufiger zu Kettenpraktika.
Laut HIS ist die Praktikumsdauer in den "meisten Fällen auf einen überschaubaren Zeitraum beschränkt": Die Hälfte der Praktikanten absolviert nach dem Studium Praktika von maximal drei Monaten, ein Drittel von maximal sechs Monaten, nur wenige noch mehr. Die Mehrheit zeigte sich zufrieden mit Inhalten und Nutzen des Praktikums. Geld bekamen 66 Prozent der Uni-Absolventen und 83 Prozent der FH-Absolventen (wie viel genau, wurde nicht erfasst). Das HIS-Fazit: Kettenpraktika oder Praktikumskarrieren seien eine Randerscheinung, kein Massenphänomen. In der Zeit danach gelinge vielen der Sprung in die Erwerbstätigkeit.