Arbeiten, wo andere urlauben Ferienjob bei Micky Maus
Wer von Tobias Riehls Ferienjob erzählt, der kommt nicht umhin, Klischees zu bedienen. Denn in Florida scheint immer die Sonne. In Disney World sind die Leute fröhlich, aber oberflächlich. Und wer dort ein Jahr lang arbeitet, der macht genauso lang Urlaub - und bekommt auch noch fast 25.000 Mark dafür.
Tobias Riehl ist Dauerurlauber. Zwangsweise. Schließlich wartet er darauf, dass die ZVS ihn endlich durch Deutschland schickt. Denn Riehl will Medizin studieren. Nur: "Mit dem Abi-Schnitt hat's nicht ganz gereicht."
Deshalb jobbt der 21 Jahre alte Kasseler seit Januar dort, wo andere Urlaub machen. Er ist "Cultural Representative" in Disney World in Florida - Seit' an Seit' mit Micky Maus.
Bayerische Folklore
"Der Job hört sich gut an, ist aber eigentlich nichts besonderes." Riehl hat die Aufgabe, Deutschland als eines von elf Ländern im Epcot-Center von Disney zu repräsentieren. Zumindest so, wie sich die amerikanischen Macher des Themenparks das Land von Rhein, Elbe und Isar vorstellen. Und für die ist Deutschland gleichbedeutend mit der folkloristischen Ausgabe von Bayern.
Riehl und alle anderen "kulturellen Repräsentanten" tragen Kostüme: die Männer knappe Lederhosen, die Frauen adrette Dirndl. Derart verkleidet, verkaufen Riehl und Kollegen Deutschland-Kitsch: Bierseidel, Trachtenpuppen, Kuckucksuhren. Oder sie kellnern in einem typisch bayerischen Biergarten in der Abteilung "Food and Beverages". Dort gibt's Bratwurst für die Brotzeit und Jägermeister für die Jause.
Jägermeister mit Menschenblut?
Außerdem muss Riehl einiges über sein Land wissen: Etwa ob die Berliner Mauer noch steht oder ob die Deutschen tatsächlich jede Flasche Jägermeister mit einem Tropfen Menschenblut anreichern. "Die Fragen der Besucher sind schon manchmal stupide", resümiert er. Dabei hätten einige Gäste durchaus eine Beziehung zu Deutschland. "Ich kenne deine Heimatstadt Kassel, da habe ich mal Bomben abgeworfen", bekam er einmal zu hören.
Dennoch bestätigt Tobias Riehl auch positive Klischees. Immer wieder hätten ihm seine Freunde scherzhaft vorgeworfen, er mache ein Jahr lang Sommer-Urlaub. Das will Riehl nicht ganz von der Hand weisen: "Florida nennt sich nicht umsonst 'The Sunshine State'". Zurzeit ist es dort 34 Grad heiß.
Lange schlafen fürs Urlaubs-Feeling
Eines ist für Riehls Urlaubs-Feeling besonders wichtig: "Man kann hier sehr lange schlafen." Die früheste Schicht beginnt um halb elf, zwei Tage in der Woche sind frei. Ausreichend Zeit für sich selbst.
Die Bezahlung findet der 21-Jährige "auch in Ordnung". 6,35 Dollar, also etwa 14 Mark, verdient Riehl pro Stunde, wenn er Bierhumpen und Trachtenpuppen verkauft. Zurzeit kellnert er jedoch im Biergarten. "Da gibt's zwar nur 2,35 Dollar, aber die Trinkgelder kommen hinzu." Zwischen 30 und 40 Stunden schafft Riehl pro Woche. Da kommen am Ende des Arbeitsjahres schon 25.000 Mark zusammen. Da er mit anderen Disneyianern in günstigen Multi-Kulti-Apartments untergebracht ist, bleiben ihm pro Woche über 100 Dollar übrig. "Davon kann man schon leben!"
Trip durch den Sonnenscheinstaat
Das übrige Geld spart der Kasseler. Reisen will er. Trips durch den Sonnenscheinstaat und nach New York hat er schon finanziert. Nun soll es quer durch die Staaten gehen.
Für Fan-Artikel von Walt Disney gibt Riehl seinen Lohn allerdings nicht aus. "Ich bin kein Freak." Viele seiner Kollegen kennten dagegen alle Details über Dagobert Duck und die Micky Maus. "Ich wusste am Anfang überhaupt nichts." Lernen war angesagt. Mittlerweile ist der Kasseler schon Nachwuchs-Donaldist und findet sich ein bisschen im Leben der Disney-Figuren zurecht.
Sommer, Sonne, Spaß
Trotz oder wegen aller - schönen wie hässlichen - Klischees, die er bedient, zieht Riehl ein positives Fazit seiner Zeit in den USA: "Natürlich ist die Arbeit ein bisschen stupide, man macht nichts, was einen beansprucht oder ausfüllt." Dies stehe aber momentan im Hintergrund. "Das ist einfach nicht wichtig. Ich kann Spaß haben, das zählt." Die meisten seiner Kollegen wollten später in der Tourismusbranche arbeiten. Doch Riehl möchte weiterhin Mediziner werden. "Das ist die beste Zeit, die ich je hatte." Doch eine Alternative zum Studium sei der Tourismus-Job für ihn nicht.
Informationen über die Arbeitsvermittlung
143 junge Menschen aus Deutschland hat die Zentralstelle für Arbeitsvermittlung des Arbeitsamtes (ZAV) in diesem Jahr nach Florida gesandt - ins Epcot-Center von World Disney. 546 hatten sich beworben, 270 mussten sich bei Auswahltests in Frankfurt und Berlin mit der Philosophie des Disney-Konzerns auseinander setzen und sich in Einzelinterviews befragen lassen: Wie sie in Stresssituationen reagieren, wie sie sich mit dem eigenen Land identifizieren und was sie amerikanischen Touristen über Deutschland erzählen.
Wer in die USA will, muss nach Auskunft der ZAV gepflegt aussehen, sicher auftreten, gut Englisch sprechen und zwischen 18 und 27 Jahre alt sein. Die meisten Bewerber sind Frauen, an den Auswahlseminaren nehmen mehr Abiturienten als Studenten teil.
Die, die sich schließlich bei den Auswahltests durchsetzen, können zwölf Monate lang zwischen Mickymäusen und Dagoberts arbeiten. Ungefähr 750 Dollar zahlt Disney für knapp 120 Stunden Arbeit im Monat. Für knapp 300 Dollar pro Monat können Nachwuchs-Donaldisten in Multi-Kulti-WGs wohnen.
Für Disneyland Paris gibt es ähnliche Auswahlverfahren. Hier winken knapp 2000 Mark pro Monat. Die ZAV vermittelt auch Stellen in israelischen Kibbuzim, französischen Urlauberclubs oder auf finnischen Erdbeerfeldern.