Attaché-Ausbildung Der Campus der Diplomaten
Berlin, Halbinsel Reiherwerder, ein kalter Tag Ende März: Noch ragt der Bootsanleger der Villa Borsig unbenutzt aus der blanken Eisfläche des zugefrorenen Tegeler Sees. In dem imposanten Gebäude, das der Industrielle Ernst von Borsig in der Kaiserzeit nach dem Vorbild des Potsdamer Schlosses Sanssouci ans Ufer bauen ließ, will das Auswärtige Amt künftig Staatsgäste zu Kamingesprächen empfangen, fernab vom Trubel der Hauptstadt.
Wenige Schritte entfernt, im modernen Seminarhaus auf dem Gelände der Villa, geht es um die islamischen Gesetze: Nach der Scharia, so erläutern die beiden angehenden Diplomaten Philip Holzapfel und Andrea Christ, ist die Steinigung die angemessene Vergeltung für außerehelichen Geschlechtsverkehr. Sie darf allerdings nur vollzogen werden, wenn mindestens vier Männer den Akt beobachtet haben und dies bezeugen.
Auf Reiherwerder pauken die aktuellen Attachés - mit diesem schicken Titel dürfen sich Deutschlands Diplomaten-Azubis schmücken. In korrektem Amtsdeutsch heißen sie Anwärter im " Vorbereitungsdienst für den höheren Auswärtigen Dienst". Auf dem Stundenplan steht gerade das Thema "Islam und Menschenrechte", das Referat der beiden Islamwissenschaftler ist Teil eines dreiwöchigen Blockseminars in Völkerrecht.
"Offenheit und hohe Leistungsbereitschaft"
Rein äußerlich unterscheiden sich die 35 Jungdiplomaten, allesamt zwischen Mitte 20 und Mitte 30, kaum von Studenten. Dresscode und Umgangston sind locker, statt Anzug oder Business-Kostüm sind Jeans und Pulli angesagt. Doch das Niveau der Veranstaltung hebt sich deutlich vom durchschnittlichen Uni-Betrieb ab. Die Referenten tragen sicher und pointiert vor, die Wortmeldungen aus der Gruppe sind fundiert, die Diskussion ist ernsthaft: Sind Menschenrechte universell? Warum empfanden viele Muslime die dänischen Mohammed-Karikaturen als Angriff auf die eigene Menschenwürde?
Er schätze an seinen Kollegen vor allem "ihre Offenheit, die hohe Leistungsbereitschaft und das professionelle Arbeiten", sagt der Jurist Georg Klußmann, 30. Rechtswissenschaftler stellen über ein Drittel der Gruppe, es sind aber auch Absolventen der Politik, Geschichte, Philosophie oder Naturwissenschaftler vertreten. "Wir profitieren davon, dass wir so unterschiedlich sind", betont die Islamwissenschaftlerin Christ.
Mit dem Seminar geht für die Attachés des 60. Lehrgangs ihre einjährige Ausbildung zu Ende. Sie ist ein Art Studium generale, unter anderem in Zeitgeschichte, Volkswirtschaftslehre und Internationalem Recht, kombiniert mit speziellen Kursen: Die angehenden Diplomaten lernen etwa, die rigiden Vorgaben des Protokolls und der Etikette auf internationalem Parkett einzuhalten. Und sie werden auf den Ernstfall vorbereitet: Wie verhalte ich mich, wenn in meinem Land ein deutscher Reisebus verunglückt, wie bei einem Terroranschlag mit deutschen Opfern? Was tue ich, wenn ein Bürgerkrieg ausbricht und die GSG 9 die Botschaftsangehörigen retten muss?
Solche Szenarien könnten bald auf die Legationssekretäre zukommen. So heißen die jetzigen Attachés im titelversessenen Auswärtigen Amt nach Bestehen der Laufbahnprüfung, mit der die Ausbildung endet. Damit lösen sie das Ticket für die wohl spannendste Karriere, die der Öffentliche Dienst zu bieten hat. Ihr Einsatzort kann dann Manila heißen oder Ouagadougou, die Hauptstadt von Burkina Faso. An über 200 Orten unterhält die Bundesrepublik Auslandsvertretungen, darunter Großbotschaften wie die in London mit rund 70 Entsandten oder Zwei-Mann-Konsulate am Ende der Welt.
Rund 2000 Interessenten bewerben sich jedes Jahr für den höheren Dienst, 1200 absolvieren das schriftliche Auswahlverfahren (siehe Info-Kasten). Die besten 120 werden zur engeren Auswahl eingeladen, 35 bis 45 bleiben schließlich übrig.
Kein Ministerium wie jedes andere
Denn das Auswärtige Amt ist kein Ministerium wie jedes andere. Wenn es am Werderschen Markt oder einer seiner Außenstellen kriselt, kann schnell eine Staatsaffäre daraus werden - wie der Eklat um lax vergebene Einreisevisa in der deutschen Botschaft in Kiew. Die Zunft ist für ihr Standesbewusstsein berüchtigt: Als der damalige Außenminister Joschka Fischer lobhudelnde Nachrufe auf NS-belastete Diplomaten im Mitarbeitermagazin untersagte, löste er fast einen Aufstand aus.
Die harte Auslese und der Diplomatenstolz befördern Mythen: Zu früheren Zeiten galt das Auswärtige Amt als Geheimorden, der von männlichen konservativen Adligen beherrscht wurde. Die Zeiten sind vorbei - sie haben anderen Lästereien Platz gemacht. So lässt der Schriftsteller Joseph von Westphalen in seinem Roman "Im diplomatischen Dienst" von 1991 seinen querulatorischen Helden Harry von Duckwitz bei der Aufnahmeprüfung stänkern: "Grandseigneurales Auftreten, Zigarettenetuis, Lubitsch-Film-Flirts mit den wenigen Bewerberinnen und ein extra bestellter Piccolo zum gemeinsamen Mittagessen waren fehl am Platz. Erwünscht waren sicheres, bescheidenes Auftreten in unauffälliger Kleidung und ein braver Kopf voller staats- und völkerrechtlichem, historischem, politischem und volkswirtschaftlichem Wissen."
Karlfried Bergner, Ausbildungsleiter für den höheren Dienst, schätzt das Wort "Korpsgeist" nicht besonders: "Ich spreche lieber von Crew-Geist." Crew, so heißt im Jargon der Auswärtigen eine Jahrgangsgemeinschaft. In der jetzigen Crew ist kein Adliger vertreten, in der kommenden Crew werden erstmals die Frauen in der Überzahl sein. Bergner gehört zur 44. Crew von 1989, danach war er in London, Panama und Nigeria. Auf seiner Visitenkarte steht der Titel "Vortragender Legationsrat". Crew-Geist, das heißt für Bergner "die Chance, Freundschaften zu knüpfen, die ein Leben lang halten", aber auch, "dass ich die alten Bekannten auch einmal auf dem kurzen Dienstweg ansprechen kann, um Prozesse zu beschleunigen".
Fast alle deutschen Diplomaten, ob sie nun in der Berliner Zentrale arbeiten oder als Einzelkämpfer in einer "Laptop-Botschaft", teilen die gleiche Initiation - ihr Jahr in der Ausbildungsstätte. Selbst hochrangige Ehemalige stellen sich ihren Nachfolgern noch unter Angabe ihrer Crew vor. Sie schwärmen von Grillabenden und Sherry-Partys. Nicht zuletzt diese Erinnerungen sind der Kitt, der die deutschen Auslandsvertreter in aller Welt zusammenhält.
Die Attachés wohnen während der Ausbildung in jeweils knapp 20 Quadratmeter großen Einzelzimmern, mit getrenntem Bad, aber gemeinsamer Küche. Bis vor kurzem war die Diplomatenschule im Bonner Stadtteil Ippendorf untergebracht, zum Jahreswechsel ist sie dem Auswärtigen Amt nach Berlin gefolgt. Außer für ein Inlandspraktikum und einen mehrwöchigen Sprachkurs im Ausland ist die Gruppe die ganze Zeit zusammen. Manche der hochqualifizierten Jungakademiker fühlen sich plötzlich in die Schulzeit zurückgeworfen. "Das ist ein bisschen wie im Internat, nur ist die Gruppe kleiner", erzählt Klußmann. "Ich sehe morgens beim Frühstück die gleichen Gesichter wie am Abend zuvor beim Bier." Da drohe manchmal der "social overkill". "Wir sind junge Leute, da wird schon manchmal ein Briefchen im Unterricht geschrieben", sagt Amelie Utz, 24-jährige Kulturwirtin aus Passau.
"Zitter-Zulage" für gefährliche Länder
Mit der Nestwärme ist es allerdings bald vorbei: Die ersten Einsatzorte für die Attachés stehen bereits fest. Amelie Utz wird als Referentin für Afrika, Lateinamerika und die auswärtige Kulturpolitik die Pressestelle des Auswärtigen Amtes in Berlin verstärken, Georg Klußmann geht als politischer Referent für Religion nach Riad in Saudi-Arabien.
In der Regel alle drei Jahre wechselt ein Diplomat seinen Arbeitsplatz. Die Einsatzorte werden in die drei Kategorien A, B und C eingeteilt, mit absteigendem Beliebtheitsgrad. Zur A-Kategorie gehören Städte der Preisklasse New York, Rio, Tokio, in der C-Kategorie rangieren beispielsweise Nordkorea oder viele afrikanische Länder. Die meisten Schwellenländer, etwa Mexiko, liegen dazwischen. Dabei unterliegt die Nachfrage durchaus Moden: So hat sich das politisch isolierte, aber angesagte Kuba von der C- in die B-Kategorie hochgearbeitet. Für einen Einsatzort mit Nervenkitzel wie Kabul spricht dagegen das erhöhte Interesse von Politik und Öffentlichkeit - und ein im Diplomatenslang "Zitter-Zulage" getaufter Aufschlag zu den Bezügen.
Wie schnell Diplomaten ins Fadenkreuz geraten können, erfuhren die Attachés im vergangenen Herbst durch einen Brandanschlag: Linksautonome zündeten die Kantine der Ausbildungsstätte an. Im Bekennerbrief heißt es: "Wir wollen mit dieser Aktion die neue deutsche Außenpolitik, sprich Großmachtspolitik im ökonomischen und militärischen Sinne, offensiv angreifen."