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Beim Tierarzt: Ohrstöpsel im Welpenbauch

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Traumberuf Tierärztin Berlusconi und ich

Lokführer, Polizist, Prinzessin: Kinder haben tolle Traumberufe. Heike Klovert wollte Tierärztin werden - trotz ihrer Angst vor Hunden. Jetzt durfte sie in einer Praxis auf St. Pauli den Realitätscheck machen.

Eigentlich kann ich Hunde nicht leiden. Ich verstehe sie nicht, deswegen machen sie mir Angst. Wenn ein Hund vor mir steht und bellt, fühlt sich das an, als würde mir jemand ins Gesicht schlagen.

Wenn ich an einem fremden Hund vorbeilaufe, schaue ich immer auf das Tier, nie auf den Besitzer. Dabei kribbelt die Wade, die der Hundeschnauze am nächsten ist. Sie rechnet damit, gebissen zu werden.

Als Achtjährige wollte ich unbedingt einen Hund haben. Es muss schön sein, einen immer treuen Freund an seiner Seite zu haben, dachte ich. Ich wollte damals auch Tierärztin werden. Es muss schön sein, in einem nach Heu duftenden Stall einem Fohlen in die Welt zu helfen, dachte ich. Ich reagiere übrigens allergisch auf Pferde, aber in meinen Träumen spielte das keine Rolle.

Doch was wäre, wenn ich tatsächlich Tierärztin geworden wäre? Wenn ich den Traum nicht beerdigt hätte, als mein erstes Meerschweinchen eingeschläfert wurde?

Ich darf einen Tag lang in einer Tierarztpraxis im Hamburger Stadtteil St. Pauli hospitieren, um diese Frage zu klären.

Drei Hunde gehören zum Inventar

Die Hunde sind schon vor mir da. Zwei schwarze Kläffer und ein Chihuahua tänzeln um meine Füße, einer schnappt nach meinem Hosenbein, als ich die Praxis betrete. Ihr Bellen peitscht gegen mein Trommelfell. Ich zucke jedes Mal zusammen.

Vorsichtig laufe ich zum Empfang. "Du hast keine Angst vor Hunden, oder?" Ruth, die Tochter der Ärztin, schaut mich ungläubig an.

Der Chihuahua und zwei English Toy Terrier in der Praxis auf St. Pauli

Der Chihuahua und zwei English Toy Terrier in der Praxis auf St. Pauli

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Mist, erwischt. Wie konnte ich auch an eine Praxis geraten, zu deren Inventar drei Hunde gehören? Ich hatte gehofft, die Tiere hier vorwiegend betäubt auf dem OP-Tisch zu sehen. Dann können sie mir am wenigsten tun.

Tatjana ist weder fröhlich noch quirlig

"Das hier ist Berlusconi: klein, braun, feige und 'ne Riesenklappe." Die fröhliche, quirlige Ruth nimmt den Chihuahua auf den Arm. Er zittert von den Ohren bis zu den Pfoten, seine Murmelaugen glänzen. Ich wage es, seinen Kopf zu streicheln.

Die Ärztin heißt Tatjana, stammt aus Osteuropa und ist weder fröhlich noch quirlig. "Ich ärgere mich über kleine Mädchen, die ein Meerschweinchen hatten und deshalb Tierarzt werden wollen", sagt sie.

Die 65-Jährige war jahrelang Landtierärztin. Sie hatte ihren Arm im After von zahllosen trächtigen Stuten, um deren Gebärmutter abzutasten. "Der Tierkot verfärbt deine Hände gelbgrün", sagt sie mit Akzent und kratziger Raucherstimme. "Und du stinkst."

Weil so Seuchen eingedämmt werden sollten, tötete Tatjana wochenlang Tausende Hühner und Schweine, auch gesunde, bis sie nicht mehr schlafen konnte, weil sie die Bilder der toten Tiere verfolgten.

Wir sitzen an einem Klapptisch auf den Pflastersteinen vor ihrer Praxis. Drinnen klingelt das Telefon, Berlusconi kläfft. Eine blonde Frau im Holzfällerhemd setzt sich zu uns. "Ich hab am Hals so einen Knubbel", sagt sie und fasst sich an die Kehle.

Ein Senfglas mit Kuriositäten

Ich stutze, was macht sie beim Tierarzt? Doch Tatjana ist sofort klar, dass sie den schwarzen Hütehund untersuchen soll, der neben dem Stuhl seines Frauchens sitzt. Er hat Hautprobleme, eine fettreichere Kost wäre gut.

Ein anderes Frauchen holt Flohtabletten ab, eine junge Französische Bulldogge kommt zum Gesundheitscheck, ich darf das Senfglas mit Kuriositäten bewundern, die Tatjana aus Tiermägen und -mäulern gezogen hat: eine Nadel mit Faden, einen Ohrstöpsel, zahnsteinverkrustete Hundezähne, deformierte Karnickelzähne.

Es wird Nachmittag, Ruth trinkt O-Saft mit Prosecco, Tatjana blättert durch ein Kochbuch. Einer der Kläffer hat einen Tropfen auf meinen Schuh gepinkelt, Ruth hat ihn mit Glasreiniger weggeputzt. "In der Praxis wird alles sofort markiert", erklärt sie mir.

Die Arbeit in so einer Haustierpraxis ist weder romantisch noch aufregend, denke ich irgendwann - bis abends gegen sieben Frau Gastmann* kommt. Ihr Hund Paro, ein Tibet-Terrier, ist alt, taub und schon lange krank. Atopische Dermatitis, es juckte ihn ständig, neun Jahre lang lebte er mit einer Halskrause.

Paro vor der OP

Paro vor der OP

Foto: SPIEGEL ONLINE

"Er ist in mein Leben getreten, um mir zu zeigen, was Geduld ist", sagt Frau Gastmann, eine feine, nette Dame, 65, mit Kurzhaarschnitt, Lippenstift und Leinenschuhen. Sie sorgt für Paro, seit er ein Welpe ist. Jetzt liegt er betäubt vor ihr auf dem OP-Tisch. Das habe ich nicht gewollt.

Tatjana sitzt breitbeinig auf einem Hocker vor Paros Maul, in dem Geschwüre wie schwarz-rote Trauben leuchten. "Das ist bösartig", sagt sie. Frau Gastmann seufzt. Dann beginnt die Ärztin zu schneiden. Es blutet, sie flucht, Frau Gastmann weint leise.

Ich drücke mich an die Wand des Behandlungszimmers und betrachte Frau Gastmanns Hände, die mich an die Hände meiner Omi erinnern. Sie kraulen Paros zotteliges Fell und an ihren Fingern klebt Paros Blut.

Wir warten zusammen darauf, dass Paro aus der Narkose aufwacht, und Frau Gastmann erzählt mir, dass er wie ein Kind für sie ist. Er darf nachts in ihrem Bett schlafen, obwohl er sich dort nachts immer breitmacht. "Wir passen zusammen", sagt sie.

Faden aus Katzendarm hält besser

Frau Gastmann hat geahnt, dass Paro womöglich nicht mehr lange lebt. "Es tut weh, Abschied zu nehmen", sagt sie und streichelt den schlafenden Hund. "Ich fange jetzt schon damit an." Ich habe einen Kloß im Hals.

Ich hätte Frau Gastmann gewünscht, dass sie nach der OP mit ihrem Paro nach Haus gehen kann. Doch als er aufwacht, beißt er die Naht wieder auf, sein Blut tropft langsam aber stetig auf die Praxiskacheln.

Tatjana muss noch mal nähen, mit Katzendarm, der hält besser. Um halb zehn ist endlich Feierabend. Hoffentlich fängt Paro auf dem Heimweg nicht wieder an zu bluten. Ich radle nach Hause, erschöpft und traurig, aber auch dankbar.

Ich habe zwar meinen Kindheitstraum endgültig entsorgt, aber etwas anderes geschenkt bekommen: Zum ersten Mal habe ich gefühlt, wie Hunde ein Leben bereichern können.

* Name geändert

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