Berufsreport Betriebswirte Die neue Bescheidenheit
Hoffnung und Enttäuschung liegen oft dicht beisammen. Bei Marcus Wesse, 29, sind sie gebündelt in einem gelben Ordner. Dort folgen auf viele hoffnungsfrohe Bewerbungsschreiben ebenso viele frustrierende Absagen.
Der Hamburger BWL-Absolvent ist auf Jobsuche. Seit Monaten. Er kann fast alles bieten, was Personalchefs wünschen: mit der Note 1,8 ein gutes Examen, eine Banklehre, ein Auslandsstudium in Kalifornien, Praktika in New York und Santiago de Chile. Englisch und Spanisch selbstredend.
Sag mir, wo die Traumjobs sind
Bei den Topberatern McKinsey, Roland Berger und Boston Consulting Group hat er sich beworben, bei den Großbanken wurde er vorstellig - und überall kassierte er nur Absagen. "Nicht einmal zum Gespräch wurde ich eingeladen", sagt er deprimiert. Wesse ärgert sich über die standardisierten Absageschreiben und die Vertröstungen auf später, auf bessere Zeiten. Genervt stellt er fest: "Ich komme wohl zwei Jahre zu spät auf den Arbeitsmarkt."
Wesse ist kein Einzelschicksal. Der Berufsreport von "manager-magazin" zeigt: Der Arbeitsmarkt hat sich vollkommen gedreht. Das Angebot an Betriebswirten übersteigt bei weitem die Nachfrage der Unternehmen. Die gut bezahlten Traumjobs von gestern sind verschwunden. Die Suche nach einem Arbeitsplatz wird immer schwieriger.
Gleichwohl entstehen weiterhin neue Stellen - meist in Bereichen, an die viele Ökonomen gar nicht denken, etwa im Gesundheitswesen. Oder in kleinen und mittelgroßen Unternehmen, die Betriebswirte bislang nicht auf ihrer Liste hatten.
Nach Firmen zu suchen, die Nachwuchsmanagern eine Chance geben, erfordert von jenen, die frisch von der Universität kommen oder schon einige Jahre Berufserfahrung nachweisen können, eine gehörige Portion Initiative, Geduld. Und - wenn es ums Geld geht - auch eine gewisse Bescheidenheit.
Unternehmen treten auf die Einstellungsbremse
Vor nur ein, zwei Jahren sah die Situation noch ganz anders aus. Praktisch jeder, der ein BWL-Diplom vorweisen konnte, bekam einen tollen Job. Die vielen Start-ups der New Economy brauchten Jungmanager en masse, und auch die etablierten Unternehmen stellten kräftig ein.
Schon Einsteiger wurden mit Dienstwagen, Stock-Options und Auslandsaufenthalten verwöhnt. "Das waren absurde Exzesse", sagt Unternehmensberater Hermann Simon. Auch Klaus Behrenbeck, Chef-Rekrutierer bei McKinsey, erinnert sich mit einem leichten Schaudern: "Da kamen Bewerber mit fünf tollen Angeboten von anderen Unternehmen zu uns und fragten, was wir denn zu bieten haben."
Aus und vorbei. Mit dem Niedergang der neuen Wirtschaft und dem Platzen der Börsenblase ist der Bedarf an Betriebswirten drastisch geschrumpft. Die Glamour-Jobs von einst in Unternehmensberatungen, Investmentbanken oder in der schillernden Dotcom-Welt gibt es kaum noch.
Modestudium BWL - langfristig mit guten Aussichten
Die derzeitige Konjunkturdelle und die allgemeine Verunsicherung verschärfen die Lage am Arbeitsmarkt. Viele Unternehmen versuchen, die Kosten zu senken: Marketingetats werden zusammengestrichen, die Ausgaben für Beraterhonorare gekürzt und Mitarbeiter entlassen. Neue Stellen sind nicht in Sicht.
Der Versicherungskonzern Gerling zum Beispiel hat sich selbst einen einjährigen Einstellungsstopp für Betriebswirte verordnet. Beim Beratungsunternehmen Accenture ist der Bedarf an neuen Mitarbeitern von über 3000 pro Jahr auf nahezu null gesunken.
Die Folgen dieser Entwicklung sind langfristig nicht wirklich dramatisch. Die Konjunktur wird irgendwann wieder anziehen, die Nachfrage nach Managern wieder steigen. Viel wichtiger: Auf Grund der demografischen Entwicklung gibt es in den nächsten zehn Jahren einen Mangel an Akademikern. Folglich steigen die Karriereaussichten.
Diese rosigen Perspektiven nützen den Betriebswirten heute freilich wenig, ihre Jobchancen verringern sich in der nächsten Zeit drastisch, vor allem die für Einsteiger.
Neue Erfahrung: Plötzlich schnöde abgewimmelt
Das liegt auch daran, dass Betriebswirtschaftslehre in den vergangenen Jahren zum Modestudium geworden ist. Seit einigen Jahren steigt die Zahl der Wirtschaftsstudenten stetig. Über 150.000 BWL-Studenten sind derzeit eingeschrieben, nach jedem Examen verlassen nach Schätzung des Bundesverbandes Deutscher Volks- und Betriebswirte über 20.000 neue BWLer die Unis und Fachhochschulen.
Die Betriebswirte-Schwemme gereicht den Unternehmen zum Vorteil. Weil sie jetzt wieder unter einer Fülle von Bewerbern auswählen können, "schrauben sie die Anforderungen nach oben und bestimmen einseitig die Vertragsbedingungen", sagt Angelika Fuchs vom Personalberatungsunternehmen Westerwelle.
Die Auswirkungen dieser Entwicklung spürt auch der Personalberater Access, der im Auftrag von Konzernen Führungsnachwuchs anwirbt. Bei Access verdoppelten sich in den vergangenen Monaten die Bewerberzahlen.
Das Gerangel um die besten Jobs wird immer härter. Vorbei die Zeiten, als sich sogar Einsteiger aussuchen konnten, zu welchem Markenartikler sie gehen wollten. Vorbei die Zeiten, als schon Jungmanager mit nur zwei oder drei Jahren Berufserfahrung Gehälter von mehreren hunderttausend Mark forderten - und bekamen.
Eine neue Bescheidenheit ist angesagt. Nur hat sich dies offenbar noch nicht unter allen Jobsuchenden herumgesprochen. Viele BWL-Absolventen sind fassungslos, wenn sie nach den ersten Absagen merken, dass ihre Situation nun so ganz anders ist als bei Studienbeginn. Selbst Betriebswirte mit guten Examensnoten machen die Erfahrung, dass sie mitunter schnöde abgewimmelt werden.
Raue Sitten, schwere Zeiten - wie die Firmen die Gehälter drücken und Pokern bestrafen
Lesen Sie im zweiten Teil:
Beispiel Nina Fehrenbach, 24. Ihr Lebenslauf liest sich wie das anspruchsvolle Anforderungsprofil der üblichen Stellenanzeigen: Abschluss an der renommierten European School of Business (ESB) in Reutlingen nach acht Semestern, die Hälfte davon im Ausland. Vier Praktika in Hamburg, Brüssel und Madrid. Englisch und Spanisch fließend.
Die Marketingabteilung in einem Konsumgüterunternehmen war Fehrenbachs Ziel. Sie bewarb sich bei Coca-Cola. Ein paar Tage später lag die Bewerbungsmappe wieder in ihrem Briefkasten. Einfach so, ohne Begründung. "So etwas sind wir ESB-Absolventen nicht gewohnt, da war ich echt platt", wundert sich Fehrenbach noch immer.
Wer jetzt sucht, findet nicht sofort seine Traumstellung, es sei denn, er gehört zu der kleinen Schar von High Potentials - also zu jenen 5 Prozent der Bewerber, die wegen ihrer internationalen Ausbildung und ihrer beeindruckenden Persönlichkeit überall begehrt sind. Alle anderen müssen vermeintlich weniger interessante Jobs annehmen, und das noch für weniger Gehalt.
Viele Firmen nutzen die Situation, um die Einstiegsgehälter zu drücken. "Früher verdienten Berufsanfänger 40.000 Euro, heute liegen die Gehälter zum Teil 20 Prozent niedriger", sagt Lutz Thimm von der Personalberatung Kienbaum.
Pokern ist verboten, verhandeln ist zwecklos. Die Unternehmen diktieren die Bedingungen - manchmal brachial.
Der Mittelstand ist unsexy, bietet aber reizvolle Aufgaben
Bei einer Investmentbank etwa sollte ein Topbewerber vertragsgemäß zum 1. April dieses Jahres anfangen. Kurz vorher teilte die Bank dem Mitarbeiter in spe mit, dass er erst zum 1. Oktober zu kommen brauche. "Was ist, wenn ich auf meinem Vertrag bestehe und doch schon zum 1. April beginne?" fragte der Bewerber. Die Antwort: "Dann entlassen wir Sie in der Probezeit."
Raue Sitten, schwere Zeiten. Wie können Betriebswirte mit dieser neuen, für sie ungewohnten Lage fertig werden?
Oberste Regel: Wer jetzt einen Job sucht, muss kompromissbereit sein und seine Aufmerksamkeit auch auf jene Branchen und Bereiche lenken, die BWLer früher geflissentlich ignoriert haben.
Berufseinsteiger und -umsteiger dürfen nicht nur nach bekannten Markenartiklern und großen Konzernen schielen. Auch im weiten Feld des Mittelstands, sicher weniger sexy, gibt es eine Menge interessanter Aufgaben.
Spaß machen nicht nur publicityträchtige Marketingjobs; im Vertrieb wird das Geld verdient. Deshalb müssen Betriebswirte nun auch raus an die Verkaufsfront.
Glamouröse Beraterprojekte mit großem strategischem Ansatz sind so rar geworden, dass sich die Bewerbung kaum mehr lohnt. Junge Ökonomen, die wirklich ein Fundament für ihre Karriere legen wollen, sollten eher in die Niederungen der Buchhaltung hinabsteigen.
Liebe zu Zahlen zahlt sich aus
Gefragt sind in diesen Zeiten der Sparwelle vor allem Leute, die mit Zahlen umgehen können: Wirtschaftsprüfer und Controller.
Gute Ein- und Aufstiegsmöglichkeiten bieten zum Beispiel die großen Wirtschaftsprüfer wie Ernst & Young, KPMG und PricewaterhouseCoopers. Diese Gesellschaften verbreitern zur Zeit ihr Angebot. Neben dem klassischen und weiterhin wachsenden Prüfungsgeschäft steigen sie in die Beratung rund um die Unternehmensfinanzierung ein.
In den Konzernen sind noch stärker als bisher Controller gefragt. Sie sollen vor allem Rationalisierungspotenziale aufspüren. Aber auch viele mittelständische Betriebe bauen jetzt Controlling-Abteilungen auf, um den kritischer werdenden Banken detaillierte Zahlenwerke präsentieren zu können.
Ein ganz neues Einsatzgebiet für Menschen mit analytischen Fähigkeiten und Liebe zu Zahlen sind öffentliche Betriebe und Verwaltungen. Egal ob Verkehrsbetriebe oder Krankenhäuser - weil auch für städtische oder staatliche Einrichtungen endlich die Gesetze der Wirtschaftlichkeit greifen, brauchen sie Controller.
Im Finanzbereich, dem bevorzugten Einsatzgebiet vieler Betriebswirte, haben sich die Jobprofile in letzter Zeit deutlich verändert. Bei den Banken sorgte der Einbruch im Investmentbanking für einen Strategiewechsel.
Ganz neue Berufsfelder entstehen
Nun setzen die Geldhäuser verstärkt auf das Geschäft mit vermögenden Kunden, das so genannte Private Banking, und für diese Sparte brauchen sie mehr studierte Kundenbetreuer mit fundierten Finanzmarktkenntnissen. Diese Vermögensberater helfen den Kunden vor Ort, ihr Portfolio zu optimieren. Einsatz in Offenbach statt in London heißt nun die Devise.
Neben diesen traditionellen Zahlenjobs entstehen völlig neue Berufsfelder. So gilt die Gesundheitsbranche als Zukunftsmarkt. In Krankenhäusern, in Wellness-Zentren und sogar in Altenheimen, überall ist ökonomischer Sachverstand gefragt. Viele Betriebswirte haben noch gar nicht erkannt, welches Potenzial sich hier entwickelt.
Quer durch alle Branchen sind Betriebswirte gefragt, die eine Zusatzqualifikation mitbringen, etwa in Form eines Ergänzungsstudiums. Zum Beispiel: Ostasien-Marketing, weil der Ferne Osten der Markt der Zukunft ist.
Nicht erlernbar sind die Qualitäten, die ein Bewerber für den häufig missachteten Mittelstand mitbringen muss: Eigeninitiative, Mut und Entscheidungsfreude. Betriebswirte mit diesen Eigenschaften haben beste Berufsaussichten, weil immer mehr kleine und mittlere Unternehmen ihr Management nach dem Vorbild von Konzernen aufbauen. Zusätzliche Chancen ergeben sich dadurch, dass viele Mittelständler händeringend einen Nachfolger suchen.
Eva Buchhorn, Wolfgang Hirn und Claus G. Schmalholz, manager-magazin
Bei manager-magazin.de: Wo es noch Jobs gibt
Der Arbeitsmarkt für Betriebswirte ist nicht tot. Wer die richtigen Nischen kennt, findet auch einen Job. manager magazin porträtiert sechs Pioniere.
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Controller: Die karge Visitenkarte von Michael Sen
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Krankenhausmanager: Jürgen Schlepper - freiwillig in der Klinik
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Managerin im Mittelstand: Besima Sümer und der Orden für gute Arbeit
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Wirtschaftsprüferin: Amalia Holzmeister und die Zahlenknechte
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China-Experte: Stefan Seifermann in Schanghai
- Privatkundenbetreuer: Christoph Runte ist ständig im Ring
Außerdem bei manager-magazin.de: Uni-Guide - die Karriere-Datenbank