Bewerben mit Kopftuch Schlecht betucht
Sie ist im feinen Münchener Stadtteil Bogenhausen geboren und aufgewachsen. Sie ist Zahnmedizinerin, hat ihre Famulatur in Malaysia gemacht. In einem halben Jahr ist ihre Assistenzzeit zu Ende. Dann will sie sich selbständig machen. Eine forsche junge Deutsche aus wohlbehüteten Verhältnissen, deren Karriere im weißen Kittel nur eine Frage der Zeit ist. So scheint es.
Diese junge Deutsche ist Nissrin Faris*, 28 - und sie trägt Kopftuch. Das erklärt auch einige Wendungen in ihrer Bildungsbiografie. Die Zahnmedizin war nur eine Notlösung, weil die Muslimin mit Kopfbedeckung keine Chance als Lehrerin gehabt hätte. Ihre Assistenz macht sie nun nach über 130 erfolglosen Bewerbungen bei einem arabischen Zahnarzt, zum Dumpinglohn. Der sagt: "Wenn's dir nicht passt, geh doch woanders hin. Dich nimmt ja keiner."
Wie Nissrin Faris geht es auch anderen Akademikerinnen, die aus Ausländerfamilien kommen und Kopftuch tragen. Der Verein der Muslimischen Jugend in Deutschland und muslimische Fraueninitiativen sagen: "Das ist ein Alltagsproblem." Viele suchen sich gleich Studienrichtungen, in denen sie mit möglichst wenig Widerstand rechnen. Ärztin oder Lehrerin will kaum eine junge Muslimin werden, stattdessen versuchen sie es mit Soziologie. Oder sie setzen sich gleich an die Kasse im elterlichen Einzelhandel.
Dabei drängen Unternehmensberater ihre Kunden dazu, mit ihrer Personalpolitik auch die gesellschaftliche Vielfalt zu spiegeln: "Diversity" heißt das Zauberwort. Meist ist damit lediglich die Förderung von Frauen gemeint, mitunter auch die Einstellung von Menschen mit Behinderung. Dass zum echten Diversity-Gedanken auch ethnische Vielfalt gehört, geht oft unter.
Diversity ist bisher nur eine Worthülse
"Es gibt kaum ein Land, das sich so vehement und standhaft gegen den Diversity-Gedanken wehrt wie Deutschland", sagt Michael Stuber, Inhaber der Kölner Unternehmensberatung "Ungleich Besser". Alles, was nicht der Norm entspreche, erzeuge Hilflosigkeit, so seine Beobachtung. Stubers Rezept klingt einfach: "Vielfalt gestalten macht erfolgreicher."
Merve Ertegun*, 26, hat in Berlin Wirtschaftswissenschaften studiert. "Andere in meinem Studiengang haben drei oder vielleicht mal zehn Bewerbungen verschickt, bis sie einen Platz fürs Praxissemester hatten", sagt sie, "die ganz schlechten maximal 15." Bei ihr waren es über 50 Bewerbungen. Ihr "K.O-Kriterium": das Kopftuch.
Ertegun hat wie auch Faris alle Strategien ausprobiert: Mal mit, mal ohne Bild beworben, direkt angerufen und um ein Gespräch gebeten, nicht-muslimische Bekannte vermitteln lassen - das Ergebnis war immer gleich. Kopftuch? Nein danke. Vorstellungsgespräche gab es nur nach ausschließlich telefonischem Kontakt. Die Reaktionen ähnelten sich. "Ach, das waren Sie?", "Schon vergeben." Oder nach der Bitte, sie könnten ihre Sachen an der Garderobe ablegen: "Ich meinte: Alles ablegen." Aber das Kopftuch ablegen, das kommt für Merve Ertegun und Nissrin Faris nicht in Frage.
Das Kopftuch, so ein Hauptargument der Kopftuchgegner, sei ein politisches Symbol und es stehe für die Unterdrückung der Frau. Da mutet es grotesk an, wenn ausgerechnet muslimische Akademikerinnen, die auf eigenen Beinen stehen, unter Diskriminierung leiden. Merve Ertegun ist überzeugt: "Wer eine Bewerbung vor sich liegen hat von einer Akademikerin Mitte 20, einer Frau, die ein Kopftuch trägt, obwohl es ihr so viele Probleme im Alltag macht, und sie dann fragt, ob sie es ablegt - der denkt nicht viel über ihren Background nach."
Die Türkin bekommt kein Vorstellungsgespäch
Bei international agierenden Großunternehmen, die sich Diversity Management auf die Fahnen schreiben, hält man sich bedeckt. Informationen, die über allgemeine Beteuerungen von Personalvielfalt im Rahmen des Antidiskriminierungsgesetzes hinausgehen, geben sie nicht preis. Häufig heißt es, man führe darüber keine Statistik, das wäre schließlich diskriminierend. Kirsten Thieme aus der Personabteilung des Berliner Energieriesens Vattenfall sagt: "Im Vattenfall Europe-Konzern bewirbt sich nur eine ganz geringe Anzahl an bedeckten Akademikerinnen für einen Direkteinstieg, ein Praktikum oder eine Traineestelle"; die Quote liege knapp über null Prozent.
Ansätze gegen die unsichtbare Mauer müssten schon in den Bewerbungsregeln ansetzen: Wie in Nordamerika längst Usus, könnte man auf Passfotos verzichten oder sie von der Personalabteilung entfernen lassen. Auf eine andere Variante setzt etwa die Lufthansa: Online-Bewerbungen, bei denen Fotos nicht Pflicht sind.
Die Berliner Wirtschaftswissenschaftlerin Monika Huesmann hat allerdings in einer Studie herausgefunden, dass schon ein arabisch oder türkisch klingender Namen ein Hindernis bei der Bewerbung ist: Der deutsche Mann wurde zum Vorstellungsgespräch bestellt, die deutsche Frau auch, dann, abgeschlagen, der Mann mit dem türkischen Namen. Die Türkin, in deren Lebenslauf die gleichen Qualifikationen standen, wartete vergebens auf eine Einladung.
Michael Stuber von "Ungleich Besser" empfiehlt: "Die beiden Seiten müssen sich aufeinander zu bewegen." Je nach Situation sollten Musliminnen auch bereit sein, das Tuch abzulegen, um zu zeigen: "Schaut her, ich trage es freiwillig."
*Name geändert