Bewerber-Diskriminierung "Sie sind zu alt" - das kann teuer werden
Zu alt für eine Lehrerstelle - wegen der Absage eines Schulleiters bekommt eine Lehrerin jetzt 13.000 Euro, drei satte Monatsgehälter wegen verbotener Benachteiligung in einem Bewerbungsverfahren. Das besagt ein mittlerweile rechtskräftiger Vergleich von Mitte März vor dem Landesarbeitsgericht in Düsseldorf (Aktenzeichen 7 Sa 953/08).
Die Mittfünfzigerin war jahrelang mit Zeitverträgen im Schuldienst und hatte sich 2007 auf eine feste Stelle an einer Wuppertaler Gesamtschule beworben. Sie scheiterte, trotz der nötigen Qualifikation. Man wolle lieber jemanden, der selber Gesamtschüler gewesen sei, soll der Schulleiter die Absage am Telefon begründet haben. Die andere Bewerberin (es gab nur zwei echte Interessenten) hatte verzichtet. Deshalb wolle man, so der Schulleiter angeblich weiter, die Stelle für die nächste Generation von Referendaren freihalten, also für weitaus jüngere Berufsstarter.
So etwas darf man nicht sagen, jedenfalls nicht, um eine ungeliebte Bewerberin loszuwerden. Die Pädagogin sieht sich als Opfer von "Altersdiskriminierung". Denn als sie selbst ihr Abitur machte, gab es an Rhein und Ruhr nur versuchsweise die ersten wenigen Gesamtschulen. Noch 1978 verhinderten die CDU, Kirchen sowie Lehrer- und Elternvereine eine flächendeckende Einführung. Eine Lehrerstelle nun willkürlich Absolventen dieses Schultyps vorbehalten zu wollen und damit Ältere auszuschließen, widerspricht dem "Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz" (AGG) seit 2006.
Auch Trittbrettfahrer versuchen ihr Glück
Stellenbewerber dürfen überhaupt nirgends auf dem Arbeitsmarkt bloß wegen ihres Alters benachteiligt werden, ebenso wenig aufgrund ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Religion, Weltanschauung oder ethnischen Herkunft. Damit hat der deutsche Gesetzgeber Richtlinien der Europäischen Union aus der ersten Hälfte unseres Jahrzehnts umgesetzt.
Allerdings kann ein "Diskriminierungsopfer" nur jemand sein, der am Stellen-, Wohnungs- oder auch Kaufangebot wirklich ein persönliches Interesse hatte, kein geheucheltes. Daran scheitern regelmäßig sogenannte AGG-Hopper. Das sind Trittbrettfahrer, die das Gesetz für Diskriminierungsklagen missbrauchen: Nur zum Schein bewerben sie sich etwa auf die Position eines "Flugkapitäns" ohne den nötigen Klammerzusatz (w/m).
Im Falle der Lehrerin indes stand der gute Wille außer Zweifel. Freilich gab es keinen schriftlichen Beweis und keine Zeugenaussage für die Diskriminierung. Darauf kommt es aber juristisch auch nicht zwingend an - der Kläger muss seine Benachteiligung vor Gericht lediglich durch Indizien "glaubhaft" machen. So konnte die Bewerberin auf Formmängel im Protokoll ihres Vorstellungsgesprächs hinweisen. Ferner hatte der Schulleiter nach der Ablehnung der ausgewiesenen Pädagogin beim Arbeitsamt eine auch weniger qualifizierte Ersatzkraft auf Zeit gesucht.
Völlig verschiedene Altersgrenzen für Verbeamtung
Nachträglich fielen der zuständigen Bezirksregierung noch mehr Formfehler auf, weswegen sie das ganze Bewerbungsverfahren überhaupt für ungeschehen erklären wollte. Aber damit konnte sie sich nicht mehr der Entschädigung entziehen. Am Ende einigte man sich auf einen Vergleich: Auf Vorschlag der Arbeitsrichterin erhielt die Klägerin "ohne Anerkennung einer Rechtspflicht" drei Brutto-Monatsgehälter, mithin 13.000 Euro.
Fehler passieren vor allem deshalb, weil es keine rechtliche Fortbildung für Schulleiter gibt, erläutert Peter Cieslik als Justitiar des Philologenverbands. "Die Dezernenten bei der Regierungsbehörde könnten das übernehmen", so Cieslik, "aber die haben auch nur eine Lehrerausbildung." Immerhin hat die Bezirksregierung Düsseldorf ihre Dezernenten aufgrund des aktuellen Schadenfalles jetzt angewiesen, "in Schulleiterbesprechungen auf die Einhaltung des AGG hinzuweisen".
Ziemlich sorglos gehe der Staat selber damit um, sagen neben Cieslik auch Marianne Demmer vom Vorstand der Bildungsgewerkschaft GEW und der renommierte Stuttgarter Fachanwalt Martin Diller. Aus ihrer Sicht zeigen das die "willkürlichen", in den Bundesländern unterschiedlichen Altersgrenzen für die Verbeamtung: An Rhein und Ruhr ist schon mit 35 Jahren Schluss, in Niedersachsen und Rheinland-Pfalz mit 45, in Hessen mit 50 Jahren. Aufgrund eines Urteils des Bundesverwaltungsgerichts von Ende Februar muss Nordrhein-Westfalen mindestens Ausnahmen in Härtefällen gesetzlich regeln. "Weil die höchstrichterliche Urteilsbegründung noch aussteht, wurde kürzlich in Düsseldorf ein Verfahren von mehreren Dutzend, die wir betreuen, vertagt", sagt Cieslik. "Im Augenblick herrscht Stillstand in der Rechtspflege."
"Angriff auf die Menschenwürde"
Das neue Unterhaltsrecht nach der Scheidung habe die diskriminierenden Altersvorschriften ab diesem Jahr noch verschärft, betont Cieslik: "Da stehen beispielsweise Mütter mit zwei Kindern und abgeschlossenem Studium praktisch vor dem Nichts. Sie wollen in den Staatsdienst, können das aber bloß wegen des Alters bisher nicht als Beamte, sondern nur als schlechter bezahlte Angestellte."
Gleichbehandlung ist auch eine Geldfrage, im Kern aber wesentlich mehr, meint Juraprofessor Klaus Alenfelder. Der Präsident des Deutschen Gesellschaft für Antidiskriminierungsrecht hatte der Lehrerin zu ihrer Gegenwehr nach der gescheiterten Stellenbewerbung geraten. Altersbenachteiligung, die irgendwie und irgendwann, früher oder später jeden treffen kann, sieht Alenfelder ein Angriff auf die Menschenwürde, das im Grundgesetz geschützte Persönlichkeitsrecht.
"Es geht also nicht einfach um einen Minderheitenschutz, den immer nur wenige brauchen", sagt Alenfelder. Historisch allerdings ist das Diskriminierungsverbot aus dem Minderheitenschutz hervorgegangen und bezieht daraus auch sein Pathos; epochal waren etwa die Erfolge der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung der sechziger Jahre gegen die damalige Rassentrennung.
Heute geraten üblicherweise angeblich "böse" Privatunternehmer in den Verdacht, Bewerber zu diskriminieren. Das Musterbeispiel Schule beweist hingegen, dass manchmal der Staat mit schlechtem Beispiel vorangeht.