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Bizarre Studenten-Jobs Demo-Söldner sucht Protestauftrag

Ein wenig Plakate schwenken und Parolen absingen, als bezahlter Jubler oder zorniger Protestler - endlich ein artgerechter Studentenjob. Ein Internetportal hat Miet-Demonstranten für pauschal 145 Euro im Sortiment. Eine PR-Luftnummer: Die Nachfrage geht gegen Null.

Philipp konnte es erst glauben, als ihn die Stretchlimousine vom JFK-Flughafen nach Manhattan chauffierte: Fast umsonst flog er nach New York, um einen Nachmittag für Exil-Iraner zu demonstrieren. Erst eine Woche zuvor, Anfang September 2005, hatte der Soziologiestudent einen Handzettel in der Leipziger Mensa gefunden. Eine "iranische Organisation für Menschenrechte" suchte Unterstützer, um parallel zum Uno-Auftritt des frisch gewählten iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad in New York eine "möglichst internationale Courage zu erzeugen", so die seltsame Formulierung auf dem Handzettel.

Philipp meldete sich unter der angegebenen Mobilnummer und stand schon ein paar Tage später mit 50 anderen Mietdemonstranten aus Hamburg und Leipzig auf dem Flughafen Schönefeld - als Jubelperser, gewissermaßen. Für ein paar Stunden Demo gegen Ahmadinedschad konnten sie eine Woche Big Apple genießen, inklusive Flug, Mittelklassehotel, Fahrservice. Nur 200 Euro mussten sie selbst tragen.

Rent a Demonstrant - ein Modell mit Zukunft? Beim Internet-Portal Erento gibt es dieses Angebot seit Anfang Januar 2007. Neben Geschirr, Hüpfburgen und Kränen kann man nun auch Teilnehmer für Kundgebungen mieten. Erento dient nur als Vermittler, ähnlich wie bei eBay. Die Geschäfte werden ausschließlich zwischen Privatpersonen abgeschlossen.

318 Menschen bieten hier derzeit als "Demonstrant / Promoter" ihre Dienste für 145 Euro Pauschale feil: Es posieren die halbnackte Blondine Ivi ("Maße: 92-85-98"), der dunkelhäutige Yuha ("Kragenweite 42, Schuhgröße 44"), die exotische Nan ("Hautfarbe: mittel, Erscheinungstyp: asiatisch"). In den Profilen geben die Demonstranten auf Abruf ziemlich viel über sich preis: Von Augenfarbe über Sprachkenntnisse bis zur Körbchengröße - natürlich mit Foto.

"Ich lasse mich nur von den Richtigen bezahlen"

Die meisten sind Studenten, wie Philipp Engler, 20, aus Osnabrück. Als "Demonstrant für alle Fälle" erhofft er einen "schönen Zusatzerwerb zum Bafög". Dafür bringt er Erfahrungen aus dem Politikstudium mit und reichlich Kompetenz im Demonstrieren - etwa gegen Studiengebühren oder das geplante Nazi-Schulungszentrum in Delmenhorst. Für radikale Ansichten würde er sich jedoch nicht anmieten lassen, sagt er.

So sehen das viele. Jedem Mietdemonstranten steht frei, für wen er auf die Straße geht. So würde Marc Schubert, 25, nie für ein Pharmaunternehmen protestieren, für die Tierschützer von Peta schon eher. "Ich lasse mich nur von den Richtigen bezahlen", sagt der Tübinger Student der Sozialpädagogik. Schließlich sei er "ständig von Armut bedroht". Warum solle man da kein Geld nehmen, wenn man sowieso hinter der Meinung stehe?

Dass mit bezahlten Jublern das demokratische Ritual einer Demonstration entwertet werden könnte, sehen die potentiellen Demo-Jobber "nicht so dramatisch". Für ihn sei das "Demokratie in der Marktwirtschaft", sagt Marc. Außerdem würden sie nur Personen vertreten, "die gerade verhindert sind", so Politikstudent Phillip.

Auch Michael Jung ("lauter Demonstrant") aus Düsseldorf denkt pragmatisch: "Sich über Studiengebühren aufregen kann jeder - das Geld dafür zu verdienen, ist was anderes." Einfacher als über Erento gehe es nicht. Er vermiete schon seit einem Jahr seine Playstation über das Portal und könnte sich von den Einnahmen schon drei neue leisten, sagt der 27-Jährige: "Das ist der Hammer. Für Studenten ist das ein guter Nebenverdienst, der total problemlos funktioniert."

Nichts als ein Werbegag?

Die Mietdemonstranten sind allzeit bereit, das Angebot ist groß. Allein an der Nachfrage hapert es. Zwar behauptet ein Erento-Sprecher, es hätten schon "mehrere große Verbände aus dem Sozial- und Gewerkschaftsbereich" angefragt - aber wirklich demonstriert hat noch niemand. Eine Personalagentur aus Bad Vilbel, die allein 90 "Demonstranten / Promotoren" online stellte und für eine Gebühr die Abwicklung übernimmt, hat bisher keinen einzigen Demo-Auftrag erhalten. "So viel wird in Deutschland ja gerade nicht demonstriert", erklärt Inhaber Guido Stamm, "das Geschäft kommt, wenn wieder gewählt wird."

Erfahrungen mit Mietdemos hat seine Agentur bereits. Vor drei Jahren organisierte Stamm eine Pseudo-Demo für den Druckerhersteller OKI in der Frankfurter Innenstadt: 20 gekaufte Demonstranten skandierten ein paar Stunden den Werbeslogan "Einer für Farbe, Farbe für alle". 6000 potentielle Demonstranten für den bundesweiten Einsatz habe er in seiner Kartei, 90 Prozent von ihnen seien Studenten, sagt Stamm.

Auch die vielen Einzelkämpfer bei Erento warten bislang vergebens auf Angebote. Die einzigen konkreten Anfragen kamen von Journalisten, die Interviews haben oder Demonstranten zum Fake-Einsatz für einen Fernsehbeitrag mieten wollten.

Erento, wo kürzlich StudiVZ-Käufer Holtzbrinck einstieg, ging es offenbar nur um das eine: schnell bekannt zu werden. In einer E-Mail, die SPIEGEL ONLINE vorliegt, schrieb ein Erento-Mitarbeiter einer Studentin freimütig von einer "PR-Aktion mit der neuen Rubrik". Der Mietdemonstranten-Service - eine Luftnummer.

"Das ist ganz klar eine Eigen-PR-Maßnahme", sagt auch Elke Neujahr, die für die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) eine PR-Aktion im Demo-Stil durchführte: Im Dezember standen 170 gemietete Studenten und Arbeitslose für 33 Euro drei Stunden lang in weißen Arztkitteln vor dem Bundestag. Dadurch kam Erento erst auf die Idee mit den Mietdemonstranten, darf aber nach einem Protest der KBV nicht mehr mit der KBV-Aktion für das eigene Demo-Angebot werben.

"Betrug an den richtigen Betroffenen"

Mittlerweile regt sich weiterer Protest gegen das Portal: Ira Schiwek, Studentin der Kulturwissenschaft, wurde in der Rubrik "Demonstrant mieten" angeboten. Niemals habe sie sich dort eingetragen, sagt die Berlinerin. Sie war "geschockt und wütend" und empfand es "entwürdigend", als "Artikelnummer mit käuflicher Meinung" angeboten zu werden. Da sie auch als Model arbeitet, fürchtete sie einen schlechten Eindruck bei Kunden. Ihr Profil ist inzwischen von der Seite verschwunden.

Im Selbstversuch bot sich auch der SPIEGEL-ONLINE-Autor wochenlang bei Erento an: Trotz fast 2200 "Einblicken" auf der Profilseite, günstigem Preis und aufrichtigem Selbstlob ("sportlich, kreativ bei der Umsetzung, z.B. Parolen") gab es nicht ein Angebot von einer Partei oder einem Verband. "Ich kann jeder seriösen Organisation nur davon abraten", sagt Verdi-Sprecher Harald Reutter. Der Protest-Profi von der Gewerkschaft hält die Idee, Demos zu kommerzialisieren, für "fragwürdig". Das Mittel der Versammlungsfreiheit werde für mediale Aufmerksamkeit ausgenutzt - "Betrug an den richtigen Betroffenen, die demonstrieren". Reutter geht davon aus, dass sich das Angebot "auf Dauer nicht etablieren" werde.

Auch Wigan Salazar, Partner der PR-Agentur Publicis, findet "bezahlte Glaubwürdigkeit durch eingekaufte Demonstranten ethisch verwerflich. Ich würde das meinen Kunden auf keinen Fall empfehlen." Es habe einen Grund, wenn sich nicht genug Leute für einen Protest fänden, so der PR-Experte, der viel für Verbände und Parteien arbeitet.

Schon frühere Versuche mit Mietdemonstranten scheiterten. Das Projekt mein-demonstrant.de einer Münchner Werbeagentur blieb eine kurze Episode. Auch die bezahlten Jubler an der Uni Wuppertal vor einigen Monaten waren eine einmalige Aktion.

Dem Leipziger Studenten Philipp reichte sein sonderbarer Trip nach New York. Er gehöre nicht zur Klientel für Erento. Zu bewusst sind ihm noch seine damaligen Erfahrungen: Vor der Uno trat er mit Flaggen auf, die einen Kommunistenstern zeigten, gekreuzte Kalaschnikows und "unverständliche iranische Botschaften".

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