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Bundestags-Praktikanten Ein Kuli, ein Händedruck, null Euro - und tschüss!

Vizekanzler Müntefering will als Fürsprecher der Generation Praktikum Sympathiepunkte sammeln und verspricht: Hochschulabsolventen sollen nicht länger als Billiglöhner schuften. Doch in der Bundespolitik rackern Dutzende - ohne Lohn, Job-Perspektive und im Stress wie Vollzeitkräfte.

Berlin - Die Politik-Studentin möchte lieber anonym bleiben. Ihr Praktikum im Bundestag hat sie ernüchtert: "Am Ende wurde mir ein Kugelschreiber für 30 Euro überreicht", sagt sie, "das war der Lohn für zwei Monate Arbeit." Zwei Monate lang war die Praktikantin im Berliner Büro einer FDP-Bundestagsabgeordneten - und bekam dafür keinen Cent. Dabei, erinnert sie sich, "war sehr wohl Geld da für teure Geschenke an politische Freunde".

Während des Praktikums war sie voll in die Büroarbeit eingespannt, kümmerte sich um die Pressearbeit und recherchierte Informationen für Sitzungen der Abgeordneten. "Wenigstens hat sich die Abgeordnete am Ende persönlich bei mir bedankt."

Ob das ein Fall für Arbeitsminister Franz Müntefering wäre? Der SPD-Politiker trommelt seit Tagen für die Rechte der "Generation Praktikum": jener junger Menschen, die sich von einem Praktikum zum nächsten hangeln - und oft nach dem erfolgreichen Abschluss ihres Studiums noch monate- oder jahrelang ohne Bezahlung in Unternehmen rackern. Müntefering will gegen solche Praktiken vorgehen und prüfen, ob Arbeitgeber statt regulärer Arbeitskräfte verstärkt Praktikanten einsetzen. Im Gespräch ist, die Dauer von Praktika auf vier Monate zu begrenzen. Müntefering setzt dabei erst mal auf die Selbstverpflichtung der Arbeitgeber. Aber falls nötig, will er auch das Berufsbildungsgesetz ändern.

Sechs Monate bei der Bundestagsverwaltung arbeiten - für lau

Und eine solche Reform würde dann tatsächlich auch den Politikbetrieb in Berlin-Mitte treffen. Denn dort arbeiten Hunderte Praktikanten, die nur in Ausnahmefällen bezahlt werden. "Die Bundestagsverwaltung kann weder eine Vergütung oder Entschädigung zahlen noch sozialversicherungsrechtliche Leistungen übernehmen", steht zum Beispiel auf der Homepage des Bundestages. Einer Sprecherin gibt an, dass Praktikanten auch mal sechs Monate bleiben, wenn es ihrer Ausbildung dient.

Und in Münteferings eigenem Ministerium? Wie in den anderen Bundesministerien werden Praktika nicht vergütet. In einem Bewerbungsbogen des Sozialministeriums steht: "Mir ist bekannt, dass für ein Praktikum keine Vergütung vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales gezahlt wird."

Allerdings beschäftigen Ministerien tatsächlich keine Absolventen von Hochschulen als Praktikanten - sondern nur Studenten und Auszubildende, bei denen Praxiserfahrung Teil der Berufsausbildungs- oder Studienordnung ist. "Die Politik verhält sich damit redlicher als viele private Unternehmen", sagt Bettina Richter, Vorsitzende der Praktikantenvereinigung "Fairwork".

Abgeordnete dürfen wie Unternehmer handeln

Bundestagsabgeordnete wiederum können wie kleine Firmen frei entscheiden, wie lange sie von ihrem Mitarbeiterbudget Praktikanten beschäftigen und wie viel Geld sie dafür zahlen. Die Fraktionen handhaben Bezahlung und Dauer unterschiedlich. Die Unions-Fraktion bietet ein Praktikantenprogramm an - die Konditionen: zwei Monate, unbezahlt: "Es ist ja auch so, dass wir eher in die Praktikanten investieren, als dass wir davon profitieren würden", sagt eine Sprecherin zu SPIEGEL ONLINE. Die Abgeordneten würden für die "Kurzzeitkollegen" Vorträge halten, sie außerdem "überall mit hinnehmen" - und es sei auch nicht ausgeschlossen, dass Praktikanten mit Studienabschluss am Ende eingestellt werden.

Die SPD erlegt sich selbst strengere Richtlinien auf: "Wir stellen grundsätzlich keine Studienabsolventen als Praktikanten ein, weil wir der Meinung sind, dass diese angemessen bezahlt werden müssten. Und das können wir nicht, wenn wir keine freien Stellen haben", sagt Andrea Franzen, Ausbildungsleiterin im SPD-Personalbüro. Für Fraktions-Praktikanten gebe es außerdem eine "kleine Aufwandsentschädigung", 45 Euro pro Woche.

"Wenn das Praktikum ein halbes Jahr dauert, dann zahlen wir in jedem Fall. Denn dann entsteht ein echter Mehrwert für den Abgeordneten", sagt auch Axel Weinsberg vom Büro der SPD-Parlamentarierin Karen Roth. Studenten, die dagegen nur für zwei bis drei Wochen kommen, absolvieren ein klassisches "Schnupperpraktikum" ohne Entgelt.

Ausbildung im Vordergrund

Die Grünen vergeben Praktika in ihrer Fraktion für zwei bis drei Monate - mit mindestens 250 Euro monatlicher Vergütung. Und: "In der Regel vergeben wir keine Praktika an Menschen mit abgeschlossenen Studium", sagt Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Lukas Beckmann. Im Einzelfall weiche man davon ab, wenn der Bewerber nachweise, dass ihm das Praktikum für seinen Berufsweg nütze.

Die FDP-Fraktion lässt die Abgeordneten selbst über die Bezahlung von Praktikanten entscheiden. "Es kann durchaus sein, dass ein Abgeordneter nichts bezahlt", sagt eine Sprecherin der Fraktion zu SPIEGEL ONLINE. So handhaben es im Grundsatz auch die anderen Fraktionen.

Dass es so viel Spielraum beim Praktika-Angebot im Politikbetrieb gibt - das liegt vor allem an unklaren Regeln. Bisher ist nirgendwo verbindlich festgehalten, wie ein Praktikum definiert ist, welche Aufgaben ein Praktikant erfüllen soll. Die gesetzlichen Vorschriften seien schwer zu überblicken, sagt Stefan Rippler, Betreiber der Internetseite generation-praktikum.de. Grundsätzlich gilt: Beim Praktikum soll der Ausbildungsaspekt im Vordergrund stehen - das Berufsbildungsgesetz schreibt das vor. Doch was gerade noch Ausbildung ist und was schon Arbeit, was eine angemessene Bezahlung ist und was Ausbeutung, das lassen die Gesetze offen.

Das Problem wird dadurch verschärft, dass auch die Gerichte bisher sehr unterschiedliche Urteile fällen, sobald Praktikanten ihre Arbeitgeber verklagen. So hatte das Bundesarbeitsgericht über eine Klage eines Ex-Praktikanten zu entscheiden, der beim Roten Kreuz ein Ausbildungsjahr absolvierte - ohne Entgelt. Der angehende Rettungsassistent klagte auf eine Vergütung von insgesamt 10.000 Euro. Das sächsische Landesarbeitsgericht gab ihm Recht. Kurz vor der Revisionsentscheidung des Bundesarbeitsgerichts zog die Firma gestern ihren Einspruch zurück - wohl wegen mangelnder Aussicht auf Erfolg.

Klagen haben nicht immer Erfolg

In einem Fall aus dem Jahr 2001 erstritt eine Langzeit-Praktikantin mit abgeschlossener Berufsausbildung vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht sogar ein reguläres Gehalt (Aktenzeichen 3 Sa 1818/99). Das Gericht verurteilte ihren Arbeitgeber, eine kleine Werbeagentur, im Nachhinein zu einer Vergütung von 18.000 Mark, also 1800 Mark pro Monat.

Doch andere Praktikanten scheitern mit ihren Klagen - so dass ihnen dann auch noch Kosten entstehen: "Es ist immer mit einem gewissen Risiko behaftet, vor Gericht zu ziehen", sagt Jessica Heyser von der Abteilung Jugend des DGB-Bundesvorstands. "Viele Leute sind damit nicht durchgekommen."

Heyser fordert Ministerien und Bundestag deshalb auf, mit gutem Beispiel voran zu gehen und ihre Praktikanten zu bezahlen. 300 Euro monatlich hält sie für einen guten Richtwert. Akademikern rät sie dagegen, sich nur für begrenzte Zeit als Praktikant zur Verfügung zu stellen und auf Bezahlung zu bestehen: "Drei Monate reichen aus."

Eines wollen aber auch Praktikantenlobbyisten nicht: Arbeitgebern generell untersagen, dass sie Hochschulabsolventen als Praktikanten beschäftigen. Denn damit würden sie ihrer Klientel den wichtigsten Einstiegsweg verbauen. "Man kann Praktika nicht verbieten", sagt Heyser.

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