Deutschlands beliebtestes Studienfach "BWLer müssen vor allem büffeln"

Massenfach BWL: Können über 200.000 junge Menschen irren?
Foto: dapdSPIEGEL ONLINE: Herr Kieser, 205.900 Hochschüler in Deutschland studieren Betriebswirtschaftslehre. Damit ist das Fach die mit weitem Abstand beliebteste Studienrichtung. Wieso nur?
Alfred Kieser: Die Betriebswirtschaftslehre suggeriert gute Berufschancen - was nicht ganz unbegründet ist.
SPIEGEL ONLINE: In der Schule wirkt der Gang in den Wirtschafts-Leistungskurs oft wie eine Verlegenheitslösung. "Wer nicht weiß, was er wird, wird Betriebswirt?"
Kieser: Kaum einer macht BWL, weil es ihn oder sie so besonders interessiert. BWL macht man instrumentell. Die Motive sind ein hohes Gehalt und bessere Jobchancen. Wer nach Neigung studiert, landet eher bei Kunstgeschichte oder Germanistik.
SPIEGEL ONLINE: Kann Geld die richtige Motivation sein?
Kieser: Klar, war es für mich ja auch. Zu meiner Zeit hatte man allerdings mehr Möglichkeiten, sich zu spezialisieren. Das ist heute anders. Im Bachelor gibt es kaum mehr eine Wahl und auch das Masterstudium ist nicht so freizügig wie das Diplom früher.
SPIEGEL ONLINE: Stimmt es, dass ein BWLer vor allem gut büffeln muss?
Kieser: Ja. Wer Spaß daran hat, sich mit Theorien kritisch auseinanderzusetzen, der hat es bei uns schwerer. Die Studiengänge werden stromlinienförmiger, befördert durch die Masse an Studenten. Als Dozent kann man kaum mehr auf interessante kritische Typen eingehen.
SPIEGEL ONLINE: Traurig.
Kieser: Ich klinge jetzt wie ein alter Sack, der früher alles besser fand. Aber ich finde wirklich, dass die BWL-Wissenschaft früher reichhaltiger war und mehr Raum für kritische Auseinandersetzung ließ. Heute ist alles viel glatter.
SPIEGEL ONLINE: Ist es nicht eine Qual, mit Hunderten Studenten in einem Semester an einer öffentlichen Uni BWL zu studieren?
Kieser: Schon. 400 Erstsemester hatten wir zuletzt in Mannheim im Bachelorstudium. Das ist heftig...
SPIEGEL ONLINE: ...und provoziert aus Ihrer Sicht welche Probleme?
Kieser: Ein Student braucht jetzt viel Eigeninitiative und muss viel selbstständiger sein als früher. Die Gefahr für die Frischlinge ist, dass sie an der Uni erst einmal versacken. Gerade wer mit sehr guten Noten aus der Schule kommt, tut sich oft schwer mit Selbstorganisation und Stoffmenge.
SPIEGEL ONLINE: Wissen die Studenten, worauf sie sich da einlassen?
Kieser: Nein, viele Erstsemester nicht. Oft sind sie enttäuscht. Man muss durch sehr viele Veranstaltungen, zu denen man keine sehr tiefe Beziehung entwickelt. Aber die meisten halten durch.
SPIEGEL ONLINE: Klingt trist und dann haben auch noch alle das Gleiche an: die Männer Polohemd und Gel im Haar, die Frauen Hosenanzug oder Bleistiftrock. Korrekt?
Kieser: Für einige stimmt das. Das ist die frühe Identifizierung mit dem Beruf. In Mannheim ging es diesbezüglich sehr klassisch zu, die Studenten sind dort sehr adrett.

SPIEGEL ONLINE: Von den Hunderttausenden BWL-Studenten werden doch nicht alle Spitzenmanager.
Kieser: Man fängt natürlich nicht als Topmanager an. Erst mal kommen Berufseinsteiger in die Personalabteilung oder ins Marketing. Und dort heißt es wie im Studium: durchhalten. Viele Absolventen werden in Jobs eingestellt, für die sie überqualifiziert sind. Das ist nach der Enttäuschung beim Studienstart die zweite Enttäuschung: Die Stelle entspricht nicht den hohen Erwartungen.
SPIEGEL ONLINE: Was halten sie von Trainee-Posten mit 800 Euro Monatsgehalt im ersten Berufsjahr?
Kieser: Das hat etwas von Ausbeutung. Auch früher musste man angelernt werden, hat aber dabei ordentlich verdient. Weil Unternehmen heute feststellen, dass es auch billiger geht, machen es wiederum andere nach.
SPIEGEL ONLINE: Klassische BWL - in der Praxis angewandt.
Kieser: Stimmt. Generell verschwindet in den USA und Europa ein allgemeines Ethos aus der BWL. Es setzen sich die Ansätze durch, die auf Performance und Profitmaximierung für Anteilseigner abzielen.
SPIEGEL ONLINE: Was macht das mit den jungen Leuten?
Kieser: Den Studenten wird beigebracht, opportunistisch auf jeden Vorteil zu achten. In Experimenten hat man BWL-Studenten mit jenen anderer Fächer verglichen - und festgestellt, dass sie sich deutlich opportunistischer verhalten.
Das Interview führte Christoph Titz
Alfred Kieser empfiehlt dem Einsteiger im Fach, "durch das man durch muss", die Buchreihe Very Short, Fairly Interesting & Cheap Books erschienen bei Sage Publications Ltd u.a. zu den Themen Studying Organizations, Management, Studying Marketing, Studying Strategy, und viele mehr. Und von Vargas Llosa, Nobelpreisträger 2010, "Das grüne Haus" - weil in der Erzählung das Militär ein Bordell für Soldaten einrichtet. "Eine Studie in Bürokratie", sagt Kieser.
Und hier noch ein paar nicht all zu ernst gemeinte Lesetipps für angehende Wirtschafts-Profis:
Für Reingefallene - "BWL für Dummies"
Klar, die Börsenkurse in Echtzeit auf dem Handy zu verfolgen macht mehr Spaß als der Vorkurs Rechnungswesen. Wenn dann, viele Semester später, die dritte Wiederholungsprüfung plötzlich über den Verbleib an der Uni oder abruptes Studienende entscheidet, muss eine Lösung und auf einmal Hilfe her. Hätte man nur nicht strebsame Mitstudenten regelmäßig als künftige Angestellte ohne Mut und Visionen verspottet. Leider erschien Abhängen mit den Strebern nicht adäquat für einen stets bestens gekleideten Top-Performer auf der Überholspur - und jetzt bräuchte man plötzlich ein wenig Solidarität.
Die Rettung könnte "BWL für Dummies" sein, ein schmales Buch, das Wissensoptimierung nach dem Minimierungsprinzip verspricht. Derart sprachlich aufgemotzt, wird die Nachhilfe zum zielgenauen Knowledge-Update mit Nachhaltigkeitsfaktor. Mit dem signalgelben Buch sollte man sich nur nicht in der Öffentlichkeit erwischen lassen. Sich als "Dummie" zu outen, ist zwar mächtig authentisch, könnte die vorsichtig aufgebaute Credibility aber deutlich beschädigen. Das wäre dann counterproductive für den eigenen Marktwert.
Wer kein Sekretariat anweisen kann, das delikate Werk zu beschaffen, muss aufpassen: Um die Bückware aus der Uni-Buchhandlung zu tragen, empfiehlt sich eine blickdichte Tüte. Noch diskreter shoppt man online. Falls eine nächtliche Kurzbekanntschaft zum Frühstücks-Meeting bleibt, lässt sich das "Dummie"-Buch mit dem Hinweis rechtfertigen, man habe als Hilfskraft gewissermaßen als Ghostwriter an dem Bestseller mitgeschrieben.
"BWL für Dummies" rentiert sich womöglich schon, bevor die erste Seite gelesen ist. Dennoch sollte man sich die 463 Seiten zumindest ansehen. Sonst heißt es noch Edeka, also Ende der Karriere, bevor die erste eigene Firma gegründet ist.
Ole Reißmann
Für Bausparer - "Automatisch Millionär"
Ganz einfach Millionär werden, das klingt nicht verlockend, sondern nach Werbemüll im E-Mail-Postfach. Doch das Buch "Automatisch Millionär" wahrt eine gewisse Rest-Seriosität: Es kommt nicht kostenlos nach Hause, sondern muss für 7,95 Euro gekauft werden. Zumindest einer ist reich geworden: Der Autor David Bach, der eine ganze Reihe Millionärs-Ratgeber verfasst hat und Lesemuffeln auch als persönlicher Coach zur Seite steht.
Wie geht das nun mit den Millionen? Ein bis zwei Stunden, verspricht David Bach auf der ersten Seite, länger braucht man für das Buch nicht. Leider dauert es länger bis zur ersten Million, drei Seiten weiter heißt es schon: "Zu Reichtum gelangen sie nicht im Schweinsgalopp, sondern im beharrlichen Tempo einer Schildkröte."
Bach feiert sich als Erfinder des Latte-Faktors, der Idee, dass man auf den täglichen Macchiato im Trendcafé verzichtet und die paar Euro stattdessen eisenhart, regelmäßig und vor allem automatisch anspart. So soll sich später der Ruhestand vorziehen lassen, weil auf dem Sparkonto beruhigende siebenstellige Summen herumliegen. Das mag nicht besonders sexy sein, dafür aber Riester-Renten-bodenständig.
Ole Reißmann
Für Jetsetter - "Pizza Globale"
Sie liegt allzeit bereit im Eisfach und wartet, wenn es sein muss monatelang, auf ihren Einsatz: die knackfrische Tiefkühlpizza. Ein in den meisten westeuropäischen Kühltruhen beheimatetes Produkt und doch eine große Unbekannte.
Der österreichische Wirtschaftsjournalist Paul Trummer hat nachgefragt, was auf die TK-Ware drauf kommt (igitt), wo sie herkommt (Osteuropa) und wie viel der Verkaufsschlager Tiefkühlpizza eigentlich mit dem original neapolitanischen Teigfladen zu tun hat, der vor über 100 Jahren nahe Neapel erfunden wurde (bis auf den halben Namen nix).
Ein Gefrierrundling kostet im Supermarkt zwischen zwei und vier Euro, in der Herstellung aber nur wenige Cent. Er beschert dem Bielefelder Lebensmittelgiganten Dr. Oetker und den Mitbewerbern im Tiefkühlscheiben-Geschäft einen ordentlichen Teil ihrer Milliardenumsätze. Die TK-Pizzen bestehen aus Gelschinken, Analogkäse und allerlei mehr, was die chemische Lebensmittelindustrie an Ersatz- und Geschmacksstoffen hergibt - und werden dennoch in der Werbung als frisch gebacken, knusprig, natürlich verkauft.
Nicht besonders nützlich für die BWL-I-Klausur - aber das Buch "Pizza Globale" öffnet die Augen für die größeren Zusammenhänge, die sich besonders gern im Profanen verstecken. Und ein wenig Nachdenken über die Welt, die wir regieren werden, kann parallel zur Karriereplanung ja nicht schaden.
Christoph Titz
Für Statusbewusste - "Gestatten: Elite"
"Eure Armut kotzt mich an", so heißt die StudiVZ-Gruppe, der du zum Studienstart beigetreten bist. Die virtuelle Mitgliedschaft ist zwar nicht gleichbedeutend mit dem Aufstieg in die Führungselite des Landes, aber allemal ein Anfang. Genau wie der Kragen des Polohemds, der seit der ersten Klasse nach oben geklappt ist, wie die weiße Hose, die du nicht nur zur Segelregatta trägst. Denn du weißt: Elite ist auch Einstellung.
Daran lässt sich arbeiten: Als Trainingshandbuch und Ratgeber bietet sich dazu "Gestatten: Elite" von Julia Friedrichs an. Die Journalistin aus sozialdemokratisch geprägtem Elternhaus ist losgezogen, um ihre eigenen Vorurteile gegenüber den oberen paar Prozent zu überprüfen. Sie beschreibt, wie es auf Schloss Salem, an der European Business School oder bei den Unternehmensverschlankern von McKinsey zugeht und auf was für einen Schlag Menschen man dort trifft.
Dank ihres argwöhnischen Blicks auf die vorpreschenden Workaholics, denen alles unter 70 Stunden Arbeit in der Woche höchst verdächtig vorkommt, lässt sich einiges über den Habitus der selbsterklärten Elite lernen. Ob zur Schau gestellte Oberflächlichkeit oder als Dienst an der Gesellschaft getarnte Profitgier: Mit diesem Buch unter dem Kopfkissen gelingt der Aufstieg in Josef-Ackermann-Sphären.
Man darf nur nicht, wie die Autorin, ein schlechtes Gewissen kriegen, das Top-Angebot des Premium-Arbeitgebers ausschlagen und zur Buße in die Unterschicht abtauchen. Genau das hat Julia Friedrichs gemacht, zu Recherche-Zwecken für ihr zweites Buch "Deutschland - Dritter Klasse". Weil der Elite Selbstzweifel ohnehin fremd sind, kann dieses Risiko glücklicherweise vernachlässigt werden.
Ole Reißmann
Für Überflieger - "What they teach you at Harvard Business School"
Der erste Credit-Point des gerade begonnen BWL-Studiums ist noch nicht erbracht, da träumen die heranwachsenden Spitzenkräfte schon vom Master of Business Administration. Der MBA ist die Eintrittskarte in die sagenumwobene Parallelwelt der sechsstelligen Einstiegsgehälter. Natürlich nur, wenn er von einer angesehenen Institution kommt und nicht gerade bei einer deutschen Fachhochschule im Fernstudium erworben wurde.
Harvard muss es schon sein. Weil leider nicht für jeden frischen Bachelor-Studenten ein Platz freigehalten wird, bleibt der Harvard-MBA für viele ein Traum. "What they teach you at Harvard Business School" ist der offenherzige Bericht eines Absolventen der Elite-Anstalt. Der Autor räumt mit den Harvard-Mythen auf, preist aber auch die Vorteile. Wichtigste Erkenntnis: Der MBA-Student ist nicht etwa Kunde der Harvard Business School, er ist ihr Produkt. Nach der Lektüre weiß man also, was man verpasst, oder strengt sich doppelt an, um zum Kreise der Auserwählten zu gehören. Auf jeden Fall begegnet man den Harvard-MBAs mit weniger Ehrfurcht.
Ole Reißmann