Die Bluff-Gesellschaft "Oh, Sie sind ein Apfelsaft-Typ"
Es gab sie schon immer, die brillanten Bluffer, die gnadenlosen Schaumschläger, Dünnbrettbohrer und Blender. Doch in den letzten Jahren hat die Trickserei in Deutschland in rasantem Maß zugenommen, gehen die Maulhelden immer dreister vor. Das will wenigstens Bärbel Schwertfeger, beobachtet haben, Autorin des neuen Buches "Die Bluff-Gesellschaft".
Darin beschreibt sie, wie geblufft wird, was das Zeug hält - sei es in der Politik oder Wirtschaft, an der Uni oder im Job. Ursache für die massenhafte Schummelei: Der zunehmende Narzissmus der Gesellschaft, der Kult ums Ich, gepflegt von Werbung, Magazinen und Personalberatern.
Beispiel Selbstmarketingtraining: Die Geschäftsführerin eines Beratungsbüros empfiehlt ihren Kunden Sprüche wie: "Oh, Sie sind ein Apfelsaft-Typ", um sich als spannenden Gesprächspartner zu positionieren - das irritiere das Gegenüber, und man mache sich interessant.
Schwindel mit Gütesiegel
Beispiel Fortbildung: Im Bereich der beruflichen Weiterbildung tummeln sich laut Stiftung Warentest rund 35.000 Anbieter mit 400.000 Programmen. Die Unübersichtlichkeit ist groß, die Kontrolle schwierig. Nach Recherchen der Autorin stimmen die Referenzlisten der selbsternannten Experten nicht immer - manche Seminarangebote seien schlicht unseriös.
Gütesiegel sollen den Schwindel eindämmen. Doch auch hier sei Schwindel nicht selten, schreibt die Autorin. So erfand ein Geschäftsmann 1998 das "Qualitätssiegel gutes Lernen", und die Presse lobte die Initiative. Aber die Prüfkriterien waren läppisch, die Preise für das Siegel hoch. Es folgten zwei Unterlassungserklärungen von der Zentrale zur Bekämpfung von unlauterem Wettbewerb, bis der Werbefachmann mit Professorentitel seine clevere Geschäftsidee einstellte.
Beispiel Persönlichkeitstrainings: Schwertfeger analysiert detailliert das Geschäftsgebaren von Leuten wie dem umjubelten Finanzguru Bodo Schäfer oder dem teuren Motivationstrainer Jürgen Höller, der massenhaft Leute in seine Power-Shows lockte und jetzt in Untersuchungshaft sitzt. Angebliche Testknacker und die Geschäfte mit dem begehrten Titel Master of Business Administration (MBA) - die Autorin lässt kein gutes Haar an Bluffern und Betrügern.
Schere, Stift und Kleber - fertig ist das Zeugnis
Beispiel Jobsuche: Jede dritte Bewerbung ist gefälscht - jedenfalls nach Angaben der Detektei Kocks, die vor zwei Jahren im Auftrag des inzwischen eingestellten Wirtschaftsmagazins "Bizz" 5000 Bewerbungsunterlagen überprüfte. Ein schmuckes Phantasielogo einer US-Uni, der zum Sprachkurs mutierte Auslands-Trip, gefälschte Referenzen und geschönte Zeugnisse - alles kinderleicht. Schere, Kleber, Computer und ein guter Kopierer reichen.
Im letzten Jahr knöpfte sich das Düsseldorfer Detektiv-Institut nach eigenen Angaben rund 300 Bewerbungen vor, für Firmen aller Branchen, mittelständischen wie auch großen Konzerne. Viele Bewerbungen seien manipuliert, sagt Detektiv Manfred Lotze: "Seit etwa fünf Jahren wird zunehmend getäuscht, gelogen und gemogelt."
Aber nicht alle können den Trend bestätigen: Zwar seien hin und wieder unplausible Lebensläufe aufgefallen, bisher aber keine gefälschten Zeugnisse, sagt Ulrich Thara, Sprecher der Unternehmensberatung McKinsey. Und auch Andreas Gocke von der Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG), die jedes Jahr mehrere tausend Bewerber prüft, sind keine Fälle von Täuschungen bekannt. Das schließe aber nicht aus, "dass uns einmal was durch die Lappen gegangen sein könnte", so der Recruiting Director.
Sogar Du kannst es schaffen! Tschakka!
Schwertfeger geht es nicht um das gezielte Täuschungsmanöver in einer bestimmten Situation, sondern um das Bluffen als Lebensstil, auch um die Kunst der nichtsagenden Beredsamkeit. Den Grund sieht die Autorin in zunehmendem Narzissmus: "Längst lassen sich in unserer Gesellschaft deutliche Züge narzisstischer Selbstbespiegelung und Selbstüberschätzung beobachten. Man denke nur an die Stars der New Economy oder die Motivationsgurus mit ihrem kollektiv geschürten Größenwahn, dass jeder alles erreichen kann."
Narzissten zeichneten sich durch Opportunismus und Überheblichkeit aus, ihnen mangele es an Empathie und Selbstkritik, so Astrid Schütz, Psychologieprofessorin an der TU Chemnitz (ihre Tipps für Bewerber im zweiten Teil). Die "Narzissten-Schwemme", von der Bärbel Schwertfeger schreibt, könne sie allerdings nicht bestätigen und hält diese These für "relativ spekulativ".
Schwertfeger indes sieht den Narzissmus als Folge des Anpassungsdrucks in einer Gesellschaft, die ihren Wissensstand rasant verändert und in der Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes um sich greift. Das fördert den Trend zur Selbstvermarktung: In Stellenanzeigen verlangen Arbeitgeber Wundermenschen - hochgradig flexibel und vielseitig einsetzbar. Und so verwerten die Arbeitsuchenden jeden Urlaub, jedes kleine Hobby für den Lebenslauf und strömen in Selbstmanagement-Seminare - jeder eine kleine "Ich-AG".
Auch die Medien spielen munter mit. Lobeshymnen für Aufschneider statt intensive Recherche, um den Methoden der Motivationskasper und Finanzgurus auf den Grund zu gehen, prägen etliche Artikel und TV-Beiträge. Da geben Magazine lieber Anleitungen für richtiges Bluffen in allen Lebenslagen: wie man gefälschte Edel-Etiketten in Klamotten einnäht, im Vorstellungsgespräch blufft und sich den perfekten Lebenslauf zusammenfantasiert.
Sie schwimmen oben, bevor sie untergehen
Dennoch ist Schwertfeger optimistisch: Ja, die Blender schwimmen oben - aber nur kurz, glaubt die Autorin. Auf lange Sicht setze sich Qualität durch. Denn die Schwindeleien erzeugten Stress, Firmen kämen nicht an die guten Leute, die sie suchten.
"Bluff erhöht die Komplexität unserer sowieso schon komplexen Welt noch mehr. Wer immer abwägen muss, ob eine Information überhaupt stimmt oder ob das Gegenüber die Wahrheit sagt, lebt in einer ständigen Habachthaltung", so Schwertfeger. Irgendwann fliege der Schwindel auf, das Vertrauen sei futsch, der Job weg. Deshalb ihr Plädoyer für mehr Ehrlichkeit: "Die Bluff-Gesellschaft schadet allen."
Aber wie das mit den Trends so ist - ein neuer ist schnell ausgemacht, die Autorin sieht bereits den Gegentrend: Viele seien die Blender schon leid und entdeckten, dass Geld allein nicht glücklich mache. Zugleich ließen "die Leute sich erschreckend leicht bluffen". Denn nicht allein die Bluffer sind das Problem, sondern auch alle, die darauf hereinfallen: Leichtgläubige, die die Börse mit einer Geldmaschine verwechseln und Blauäugige, die einem alerten Seminarleiter mit Doktortitel einfach alles abkaufen.
Zu viel Selbstbewusstsein schadet - was die Chemnitzer Psychologin Astrid Schütz Bewerbern rät
Lesen Sie im zweiten Teil:
Ein allzu forsches Auftreten kann Kandidaten den Job kosten, hat die Chemnitzer Professorin Astrid Schütz herausgefunden. Ihren Untersuchungen zufolge machen sich Bewerber schnell unbeliebt, wenn sie in Vorstellungsgesprächen übergroßes Selbstvertrauen zur Schau tragen. Zwar hat auch Astrid Schütz kein Patentrezept für erfolgreiche Bewerbungsgespräche. Dennoch leitet sie aus ihrer Forschung acht Tipps ab, damit Bewerber am Ende eines Gespräches weder als graue Maus noch als eitler Pfau dastehen.
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1. Keine Inszenierungen
Eine Selbstdarstellung, die nicht zur Gesamtpersönlichkeit passt, wirkt aufgesetzt und verfehlt in aller Regel die gewünschte Wirkung. Inszenierungen sind daher äußerst riskant. Sie sammeln viel eher durch spontanes und authentisches Verhalten Pluspunkte.
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2. Nicht zu dick auftragen
Wer nur von sich prahlt, wirkt unsympathisch. Deshalb sollten Sie kleinere Schwächen offen eingestehen - wenn sie nicht gerade die eigene Kompetenz in Frage stellen. Empirische Studien haben gezeigt: Selbstlob kommt nur dann besser an als eine eher bescheidene Selbstdarstellung, wenn dem Gegenüber keinerlei Informationen über die tatsächlichen Leistungen des Bewerbers vorliegen.
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3. Andere loben lassen
Bringen Sie andere dazu, Sie zu loben. Das macht einen besseren Eindruck, als es ständig selbst zu tun. Untersuchungen haben bewiesen, dass positive Beurteilungen von Dritten glaubwürdiger wirken als positive Selbstbeschreibungen
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4. Aber: Nicht allzu bescheiden sein
Auch wenn zu viel Eigenlob stinkt: Stellen Sie nicht gleich Ihr Licht unter den Scheffel. Wer in einem Bewerbungsgespräch nicht sagt, was er kann, erweckt nicht unbedingt den Eindruck, dass er viel kann.
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5. Der äußere Eindruck ist wichtig
So ist das nun mal: Attraktive Bewerber kommen besser an. Achten Sie deshalb auf Ihre Kleidung. Wie empirische Studien belegen, wird eine Frau im Sakko in aller Regel kompetenter beurteilt als in anderer Kleidung.
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6. Auf die Körpersprache achten
Verbales und Nonverbales gehören zusammen. Es macht daher einen unglaubwürdigen Eindruck, wenn die Körpersprache dem Gesagten widerspricht. Im Zweifelsfall wird eher dem Nonverbalen geglaubt. Wer also gerade von der eigenen Kompetenz spricht und dabei nervös an der Kleidung herumzupft, wirkt nicht überzeugend.
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7. Keine Widersprüche
Verstricken Sie sich nicht in widersprüchlichen Aussagen: Wer in unterschiedlichen Situationen oder gegenüber unterschiedlichen Gesprächspartnern immer etwas anderes behauptet, erweckt den Eindruck, sein Fähnchen nach dem Wind zu drehen.
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8. Bloß keine Seitenhiebe
Aggressive Angriffe auf Mitbewerber oder Konkurrenten verfehlen leicht die gewünschte Wirkung und führen stattdessen zu einem negativen Eindruck vom Angreifer. Studien zeigen, dass Kritiker oder Angreifer selbst negativ bewertet werden.
Wer sein eigenes Auftreten verbessern möchte, kann an der TU-Chemnitz spezielle Coaching-Programme nutzen. Im Videolabor analysieren Astrid Schütz und ihre Mitarbeiter das Bewerber-Verhalten während eines Vorstellungsgespräches und geben Vorschläge zur Verbesserung. Mehr Infos unter Tel. 0371/531-6366 oder per E-Mail: astrid.schuetz@phil.tu-chemnitz.de
Ihre Erkenntnisse hat Astrid Schütz auch in dem Buch "Psychologie des Selbstwertgefühls: Von Selbstakzeptanz bis Arroganz" (Stuttgart 2000) verarbeitet.