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Die Praktikumsmühle Suchen Profi, bieten Zeugnis

In der Kulturszene gibt es kaum noch Jobs. Notgedrungen überwintern zahllose Hochschulabsolventen auf miserabel entlohnten Praktikantenposten. Doch damit verderben sie auf ihrem Arbeitsmarkt die Preise - sehr zur Freude der Unternehmen.
Von Andreas Ross

Jobs für Geisteswissenschaftler sind rar. Umso häufiger wird eine Annonce angeklickt, die der Berliner Verein "German Theater Abroad" ins Internet gestellt hat. Schließlich erweitert das kleine Start-up-Unternehmen sein "Team derzeit um aufgeschlossene und kompetente Mitarbeiter/innen". So weit, so verheißungsvoll - doch der Satz geht noch weiter: "...zunächst auf Basis eines unbezahlten Praktikums".

Richtet sich das Angebot also eher an erfahrungsdurstige Studenten als an jobhungrige Absolventen? Die Ausschreibung spricht nicht dafür. Gefordert werden "einsetzbare Erfahrungen in der Arbeit mit Schauspielern und Regisseuren", "im Verfassen und Redigieren von Texten aller Art" sowie "in der Organisation von mittleren bis großen Veranstaltungen". Die Extrawünsche von gutem Englisch bis zu fundierten Computerkenntnissen ("nach Möglichkeit auch HTML") muten da schon bescheiden an.

Lukas Franke, der Dramaturg des Vereins, wartet nun auf die Bewerbungsmappe eines gestandenen Theatermachers, "im Idealfall jemand, der in einem für uns interessanten Theater schon mal als Dramaturgieassistent gearbeitet hat". Und den kann man mit einem Monatsverdienst von null Euro locken? "Wenn ich so eine Anzeige schalte, dann ist das natürlich im Kontext der anderen Inserate zu sehen." Mit anderen Worten: Es ist mittlerweile üblich, erfahrene Kulturmanager als Praktikanten anzuheuern. Vollzeit und unbezahlt.

Das System ist aus dem Ruder gelaufen

Das funktioniert, weil sowohl Absolventen von Kulturmanagement-Studiengängen als auch Quereinsteiger wie Germanisten oder Kunsthistoriker es schwer haben auf dem Arbeitsmarkt. Oft stehen sie vor der Wahl: Nichtstun und arm bleiben - oder weitere Erfahrung sammeln und trotzdem arm bleiben?

Viele Berufsanfänger entscheiden sich für die zweite Option. Vielleicht, so hoffen sie, ergibt sich ja wenigstens eine freie Mitarbeit aus dem Praktikum. Oder ein anderer Arbeitgeber lässt sich eines Tages von der mit neuer Zeugnisprosa angedickten Bewerbungsmappe beeindrucken. Dirk Heinze, Betreiber der Seite www.kulturmanagement.net, bestätigt den Trend: "Im Vergleich zu echten Stellen ist die Zahl der angebotenen Praktika enorm gestiegen."

Nur in der bunten Hochglanzwelt studentischer Karriereratgeber werden Praktika immer noch unverdrossen als Wunderwaffe gegen berufliche Perspektivlosigkeit gepriesen. In der grauen Wirklichkeit der Wirtschaftskrise ist das System aus dem Ruder gelaufen. Einst etabliert als "Einblick ins Berufsleben" für Studenten, die aus dem universitären Elfenbeinturm ausbrechen wollten, sind Praktikumsplätze heute zum Überwinterungsort für arbeitslose Akademiker mutiert.

Praktika als zusätzliche Probezeit

Von dieser Schieflage profitieren die Arbeitgeber. Selbst von stetig schwindenden Zuschüssen gebeutelt, greifen die Kulturverwalter jede Chance zur Kostensenkung dankbar auf. Und lassen sich nicht zweimal bitten, wenn hochqualifizierte Absolventen ihre Arbeitskraft offerieren und als Gegenleistung kaum mehr als ein Zeugnis verlangen.

Trotzdem vergeht Praktikanten ihre Lust auf die Szene nicht so schnell. "Gerade in Städten wie Hamburg und Berlin ist das ja auch ein Riesen-Hype. Unwahrscheinlich viele Leute wollen im kreativen Bereich arbeiten", sagt Dramaturg Franke. Viele Absolventen lassen sich darum auch bei schlechtester Bezahlung auf Halbjahrespraktika ein.

Selbst wenn in der Kulturbranche doch einmal eine reguläre Berufsanfänger-Stelle zu besetzen ist, steht am Anfang meist ein Praktikum. Die Arbeitgeber haben sich an den Luxus rasch gewöhnt: Wie selbstverständlich fassen sie das Praktikum als zusätzliche Probezeit auf. Erst nach monatelanger Schufterei für allenfalls ein Taschengeld winkt dem neuen Mitarbeiter ein (meist befristeter) Arbeitsvertrag - mit wiederum sechs Monaten Probezeit. So kann dem Beschäftigten noch nach einem Jahr im Unternehmen ohne Angabe von Gründen gekündigt werden.

Dirk Heinze von kulturmanagement.net wirbt bei aller Skepsis um Verständnis für die Arbeitgeber: "Im Kulturbetrieb ist es besonders wichtig, zu seinen Mitarbeitern Vertrauen aufbauen zu können." Und schließlich seien die Praktika in keiner Branche so spannend wie im kulturellen Bereich: "Da nimmt man sehr viel mit."

Andreas Pallenberg vom Wissenschaftsladen Bonn, der die Presse nach einschlägigen Stellenangeboten auswertet, schimpft dagegen auf den "Dumping-Arbeitsmarkt, wo sich die Bewerber monatelang für lau bewähren müssen". Der Kostendruck von Kulturorganisationen aller Art sei zwar tatsächlich gestiegen, "doch von dem Gejammer muss man auch einiges abstreichen". Das Prinzip "hire and fire" komme den Arbeitgebern einfach sehr entgegen.

Noch weiter entgegen kommt ihnen in einigen Städten das Arbeitsamt. In Berlin etwa haben die Hochschulteams der Behörde beschlossen, insbesondere sozial- und geisteswissenschaftlichen Absolventen mit wenig Berufserfahrung eine "Praktikumsbeihilfe" anzubieten. Das Arbeitsamt zahlt den Lebensunterhalt, wenn das Unternehmen nicht kann - oder will. Nur 100 Euro muss der Arbeitgeber selbst aufbringen, 500 Euro legt der Staat jeden Monat drauf.

Notfalls zahlt das Arbeitsamt

Fördert das Arbeitsamt damit nicht noch die Verdrängung regulärer Arbeitsplätze durch Praktikanten? Joachim Jahny vom Berliner Hochschulteam Südwest gibt zu: "Besonders den Bereich Kultur, Museen und Verlage betrachten wir mit Sorge." Da gibt es Verlage, die nur einen einzigen hauptamtlichen Mitarbeiter haben: den Geschäftsführer. Praktikanten verrichten das tägliche Geschäft, angeleitet von anderen Praktikanten - möglichst auf Kosten des Arbeitsamtes.

Und bei einem großen, renommierten Berliner Museum mussten die Buchprüfer unlängst feststellen, dass es einen Großteil seines Personals über die drei Berliner Hochschulteams rekrutiert hatte. "Es gibt immer schwarze Schafe", sagt Jahny. Doch Branchenkenner halten das Geschacher um die Fördergelder längst für üblich.

Für die eigentliche Klientel, Studenten im Grund- und Hauptstudium, bleiben immer weniger interessante Praktikantenposten übrig. "Es ist ein Teufelskreis", sagt Andreas Pallenberg vom Bonner Wissenschaftsladen. "Ohne Berufserfahrung ist oft nicht einmal mehr ein Praktikum zu finden."

Doch wo soll ein Student dann erste Erfahrungen sammeln? Bei "German Theater Abroad" jedenfalls nicht. "Wir sind viel zu wenige Leute. Da können wir nicht noch einen anlernen, der so was noch nie gemacht hat", sagt Lukas Franke. Gesucht werden nur Profis mit jahrelanger Erfahrung - und üppigen Geldreserven.

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