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Erfahrung zum Nulltarif Mehrheit der Bundesministerien lässt Praktikanten umsonst arbeiten

Jung, engagiert, ausgebeutet - dass Praktikanten in der Wirtschaft zum Nulltarif schuften, ist gängige Praxis. Selbst in der Bundesregierung gilt das Gratis-Prinzip für Freiwillige: In den meisten Ministerien bekommen sie kein Gehalt.
Demo für bessere Praktika (2006): Viele Bundesministerien zahlen kein Gehalt

Demo für bessere Praktika (2006): Viele Bundesministerien zahlen kein Gehalt

Foto: DDP

Die Mehrheit der Bundesministerien zahlt Praktikanten keine Vergütung. Das ist das Ergebnis einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen-Fraktion im Bundestag, die SPIEGEL ONLINE vorliegt. Demnach erhielten Praktikanten von neun der 14 Ministerien im vergangenen Jahr grundsätzlich keine Bezahlung. Drei Ministerien zahlen zwar Praktikanten ein Gehalt, allerdings nicht allen.

Nur im Innen- und im Justizministerium bekamen laut den Regierungsangaben alle Praktikanten eine Bezahlung, die zwischen 50 und 511 Euro lag. Das ist allerdings nur die halbe Wahrheit.

Das Innenministerium etwa schreibt in seiner Stellenausschreibung für Praktikanten auf der eigenen Internetseite, dass für Praktika "keine Vergütung bezahlt" werde und dass "keinerlei Kosten für Unterkunft, Verpflegung, Versicherungen und Ähnliches übernommen" würden.

Ein Sprecher des Innenministeriums räumte gegenüber SPIEGEL ONLINE ein, dass das Ministerium Praktikanten keine Vergütung zahle, da ausschließlich Pflichtpraktika absolviert werden könnten, die zur Ausbildung gehören. Die Angaben der Bundesregierung, wonach eine Vergütung bezahlt wird, beziehen sich auf die sogenannten nachgeordneten Behörden des Ministeriums, also zum Beispiel das Bundeskriminalamt oder die Bundespolizei. Dort wird Praktikanten eine Vergütung bezahlt.

Das Justizministerium hingegen nimmt tatsächlich auch Praktikanten, denen sie eine Vergütung bezahlt. Dies bestätigte ein Sprecher gegenüber SPIEGEL ONLINE.

Die Antwort der Regierung auf die Anfrage der Grünen wurde vom Bildungsministerium verfasst. In der Vorbemerkung heißt es: "Die Bundesregierung tritt für die jungen Menschen ein, sie will den Missbrauch des Instruments 'Praktikum' verhindern." Bei der Herstellung von fairen Bedingungen für Praktikanten seien die Sozialpartner gefragt, also die Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbände. Die Bundesregierung setze darauf, gemeinsam mit den Sozialpartnern "qualitative Standards für Praktikumsverhältnisse zu erreichen". Zu hoffen ist allerdings, dass sich dabei nicht die Standards der Bundesregierung durchsetzen.

Der Widerspruch zwischen Forderungen und Realität hat Tradition

Beispiel Bundesministerium für Arbeit und Soziales: Im Jahr 2009 beschäftigte es 99 Praktikanten. Vergütung? Keine. Dabei ist Ministerin Ursula von der Leyen (CDU) Schirmherrin der Initiative "Fair Company", die sich für einen fairen Umgang mit Praktikanten einsetzt.

Die Bundesregierung sieht darin keinen Widerspruch: Das Ministerium gewähre Reisekosten und Essensgutscheine, "im Einzelfall" könne der Zuschuss 300 Euro im Monat übersteigen. Dieser Betrag wird von "Fair Company" als Mindestlohn im Monat gefordert - allerdings sollten Unternehmen sich bei der Vergütung von mehrmonatigen Praktika im Regelfall am Bafög-Höchstsatz orientieren. Der ist gerade gestiegen - auf 670 Euro.

Gerade im Arbeitsministerium hat der Widerspruch zwischen den Worten der Minister und dem eigenen Handeln fast schon Tradition: Franz Müntefering (SPD) trommelte 2006 für die Rechte der "Generation Praktikum", während sein Ministerium Praktikanten keine Vergütung zahlte. Sein Amtsnachfolger Olaf Scholz (SPD) setzte sich mit ähnlich großem Verve für die Praktikanten ein - änderte im eigenen Haus allerdings nichts an den Vergütungsregeln.

Auch im Haus von Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) bekamen die 59 Praktikanten im Jahr 2009 keine Vergütung. Immerhin ließ Schavans Ministerium keine Absolventen für lau arbeiten. Anders das Entwicklungsministerium: Aus der Regierungsantwort geht hervor, dass es 2009 ausschließlich 144 Hochschulabsolventen als Praktikanten beschäftigte und sie für mindestens drei Monate im Ministerium oder seinen nachgeordneten Behörden arbeiten ließ - allerdings ohne Bezahlung.

"Die Ministerien nutzen Absolventen schamlos aus"

Auch die letzten verfügbaren Zahlen aus dem Familienministerium lassen auf dieselbe Praxis schließen. 2008 waren in dem Ministerium 80 Praktikanten beschäftigt, die alle ihr Studium bereits beendet hatten. Im Ministerium arbeiteten sie bis zu sechs Monate zum Nulltarif.

Die meisten Praktikanten, nämlich 871, nahm im vergangenen Jahr das Auswärtige Amt auf, ohne sie jedoch zu bezahlen. Es folgt das Verkehrsministerium mit 539 Praktikanten. Die wenigsten Praktikanten beschäftigte das Bildungsministerium mit 59.

Der jugend- und hochschulpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Kai Gehring, nannte den Umgang der Ministerien mit Praktikanten gegenüber SPIEGEL ONLINE einen "Skandal": "Statt Vorbild zu sein geben sie ein schlechtes Beispiel ab und nutzen Absolventen schamlos aus." Die Grünen-Fraktion werde das Thema nun ins Parlament bringen. "Seit fünf Jahren haben wir eine Debatte über faire Bedingungen für Praktikanten, die Regierung hat offenbar bis heute nichts gelernt", so Gehring.

Im Jahr 2008 hatte die damalige Bundesregierung gesetzliche Regelungen in Angriff genommen, die unter anderem ein Mindestgehalt für Praktikanten und eine Maximaldauer von Praktika festschreiben sollten. Doch die Verhandlungen zwischen dem Arbeits- und dem Bildungsministerium scheiterten am Unwillen von Bildungsministerin Schavan.

"Eine solche Regelung schafft keine Praktika, sondern killt sie", sagte damals ein Ministeriumssprecher. Schavan konnte sich auf das wenig überraschende Ergebnis einer Untersuchung des Deutschen Industrie- und Handelskammertags berufen: Jedes zweite Unternehmen hatte angegeben, es würde keine Praktikanten mehr beschäftigen, wenn sie an gesetzliche Vorgaben gebunden wären.

Mit Material von AFP
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