Forschung zu Flüchtlingen Deutsche Unis, tut endlich etwas!
Immer mehr deutsche Universitäten öffnen ihre Türen für Flüchtlinge - mit Deutschkursen, Gasthörerschaften und manchmal auch mit Notunterkünften. Doch im Lehr- und Forschungsbetrieb findet das Thema Flüchtlinge überraschend wenig statt.
Deutsche Wissenschaftler haben kaum Ideen oder Lösungsvorschläge für eine europäische Flüchtlingspolitik. Und die akademische Auseinandersetzung beginnt - ebenso wie die politische - erst jetzt, wo die Migranten schon da sind. Also viel zu spät.
Wer nach Vorschlägen sucht für eine Einwanderungspolitik, die zugleich wissenschaftlich begründet und moralisch vertretbar ist, muss sich anderweitig umschauen - zum Beispiel in den USA, wo Migration längst zum Dauerbrenner der neueren Literatur geworden ist.
Warum klappt das hierzulande nicht? Vielleicht liegt es daran, dass das Thema stark polarisiert: Wer es gutheißt, die Zuwanderung zu beschränken, gilt als kaltherzig. Ein Plädoyer für offene Grenzen hingegen wird schnell als blauäugig abgetan.
Waren sollen sich weltweit bewegen, Menschen nicht
Wenn linksorientierte Sozialwissenschaftler beispielsweise vom Ideal offener Grenzen sprechen, sorgen sie in der Öffentlichkeit häufig für Unverständnis und Kopfschütteln. Denn für die meisten Bürger gehören Einwanderungsbeschränkungen schlichtweg zum Staat dazu. Vor allem aber Politiktheoretiker sträuben sich dagegen, das staatliche Recht auf Ausschluss - also die Option, Menschen abzulehnen - anzuerkennen. Sie treibt die Sorge um, mit ihrer Forschung als Fürsprecher für die aus ihrer Sicht unrechten Verhältnisse dazustehen.
Und auch Liberale arbeiten sich an einem Widerspruch ab: Sie treten für die weltweite Liberalisierung der Kapital-, Finanz- und Warenmärkte ein. Aber mit einem klaren Plädoyer für Bewegungsfreiheit von Menschen tun sich viele schwer. Was wäre, "wenn Menschen Geld wären" - fragt daher der australische Politiktheoretiker Robert Goodin. Die Antwort liegt auf der Hand: Sie wären in den westlichen Ländern willkommen.
Nur wenige Wissenschaftler wie zum Beispiel der Ökonom Thomas Straubhaar trauen sich, Modelle wie eine preisbasierte Zuwanderungssteuerung für Wirtschaftsflüchtlinge vorzuschlagen. Demnach müssten Migranten für eine legale und sichere Einreise zahlen. Solche pragmatischen Ideen widerstreben jedoch den meisten Kollegen. Und das, obwohl schon jetzt ein Migrant aus Gambia bis zu 20.000 Dollar zahlt, um sich von Schleuserbanden unter Lebensgefahr bis nach Europa transportieren zu lassen.
Streit gehört dazu
Weniger provokant, aber nicht weniger unkonventionell hört sich ein anderer Vorschlag an, der in angelsächsischen Universitäten die Runde macht. Demnach müssen Staaten Strafen zahlen, wenn sie weniger Flüchtlinge aufnehmen als international vereinbart war.
Ja, es ist ein schmaler Grat zwischen Pragmatismus und Zynismus. Deshalb ist es verständlich, dass sich viele Sozial- und Geisteswissenschaftler bislang darauf beschränkt haben, den Status Quo zu untersuchen und zu kritisieren. Doch diese Haltung verhindert, dass der Migrationsforschung eine größere Bedeutung in der Gesellschaft zuteilwird.
Dabei gehört Streit und Uneinigkeit über die richtige Flüchtlings- und Einwanderungspolitik - wie der amerikanische Philosoph Michael Walzer einst bemerkte - "zum Herzstück demokratischer Selbstbestimmung". Natürlich liegen in einer Demokratie die Meinungen darüber, wie sich die Bevölkerung zusammensetzen soll, sehr weit auseinander. Ein Einwanderungskonzept ist daher dann dauerhaft politisch tragbar, wenn es sich in der Konfrontation mit diesen Positionen bewährt.
Und genau deshalb müssen Wissenschaftler sich endlich trauen, sich einzumischen.

Oliviero Angeli, Jahrgang 1973, forscht und lehrt Politische Theorie an der Technischen Universität Dresden, vor allem zu den Themen Einwanderung und Integration. In seinem jüngsten Buch "Cosmopolitanism. Self-Determination and Territory" beschäftigt sich der Politikwissenschaftler mit der Frage nach einer gerechten und praktikablen internationalen Ordnung.