Forschung im Grenzbereich Keine Angst, wir schaffen Leben
Es klingt ein bisschen nach Frankensteins Labor: Studenten der TU München wollen Bakterien so steuern, dass sie Knochenproteine fabrizieren. Obwohl manche ihre Arbeit zum Gruseln finden, forschen die Biotechnologen weiter. Nun klopfte bei ihnen sogar die Nasa an.
Irgendwann kann jeder Leben bauen, davon ist Drew Endy überzeugt. "Du tippst einfach vorn was in den Laptop", hat der Ingenieur von der kalifornischen Stanford University einmal gesagt, "und hinten kommt ein Organismus raus." Selbst seine Kinder könne man sich dann am Rechner basteln: "Sie nehmen dazu Ihr Erbgut und kombinieren es nach Wunsch mit dem eines Partners. Oder, wenn Sie Lust haben, auch mit dem von mehreren."
Drew Endy ist einer der Stars im Fach Synthetische Biologie, und was er erzählt, macht manchen Leuten Angst. Er will Kreaturen nach Maß erschaffen. Das klingt nach Science-Fiction - aber Endy hat einen raffinierten Weg gefunden, junge Wissenschaftler auf der ganzen Welt dazu zu bringen, an seinem Traum zu arbeiten: Gemeinsam mit zwei Kollegen lobte er den iGem-Wettbewerb aus, eine Art Weltmeisterschaft für Studenten im Erfinden künstlichen Lebens, zu dem, alljährlich im Herbst, das Massachusetts Institute of Technology (MIT) im amerikanischen Cambridge bittet.
Marta Garnelo, 21, studiert im fünften Semester Molekulare Biotechnologie und ist Mitglied im Team der TU München: 18 Studenten, die es geschafft haben, in die iGem-Endausscheidung zu gelangen. Sie und ein Kollege werden am MIT der Jury erklären, wie aus zwei Lasern und vielen Bakterien einmal ein 3-D-Drucker für Knochen entstehen soll. "Unsere Idee ist es, Organismen über Lichtstrahlen zu kontrollieren", erklärt Garnelo. "Nur dort, wo die Laser treffen, beginnen die Bakterien, Proteine für Knochen zu produzieren." Doch die Studentin räumt ein: Die Herausforderungen seien groß, und die Konkurrenz ist es ebenfalls.
160 Teams aus Ländern wie China, Mexiko und Schweden hatten sich dieses Jahr für den Wettkampf angemeldet, 66 durften nach Cambridge. Darunter zwei weitere deutsche Unis. Bielefeld tritt mit Bakterien an, die Gifte aufspüren; Potsdam mit Molekülen aus Blaualgen, die krankmachende Proteine hemmen.
Andere Gruppen haben an Kreaturen gearbeitet, die Arsen in Flüssen aufspüren oder aufflackern, wenn das Essen zu scharf ist. Frühere iGem-Gewinner bauten einen lebenden Bildschirm: Fließt Strom, leuchten Hefezellen in den Löchern einer Platte wie Pixel am Monitor.
Das Münchner Team, eine Gruppe aus Biochemikern, Biotechnologen und Mathematikern, hat den ganzen Sommer über an seinen bakteriellen Biomaschinen gearbeitet. Manchmal saßen Garnelo und die anderen bis abends um elf Uhr im Labor, bestellten Pizza, kochten Kaffee und grübelten weiter.
Erfolge sind nur mühsam zu erringen
Schon lange können Wissenschaftler Gene in bestehende Organismen einschleusen, etwa Schädlingsresistenz in Mais. Doch Drew Endy und seine Kollegen wollen nicht Fertiges verändern, sondern Neues konstruieren. Geht es nach Endy, ist das Bakterienbasteln bald so leicht wie Lego-Spielen. 2003 richtete er eine Datenbank ein, in der mittlerweile über 3000 Bauklötze liegen, sogenannte Biobricks. Wer mitbauen möchte, kann hier Gene für Lichtsensoren, Enzyme oder fluoreszierende Proteine bestellen.
Jede Forschergruppe, die bei iGem mitmacht, bekommt zum Start eine Auswahl aus Endys Biobaukasten. Im Gegenzug schicken die Studenten jeden Bauklotz, den sie selbst herstellen, zurück ans MIT und errichten auf diese Weise gemeinsam einen riesigen Katalog aus Biobausteinen.
Die Möglichkeiten der Synthetischen Biologie sind enorm, wirkliche Erfolge jedoch mühsam zu erringen.
"Man stellt sich das auf dem Papier so schön vor, und in der Physik würde es wohl funktionieren", sagt Alexander Hogrebe, ein 20-jähriger Biochemie-Student aus dem TU-Team. Inzwischen aber habe er gelernt: "Das gilt nicht für Lebewesen."
Es ist schwierig vorauszusagen, wie die Organismen auf die fremde DNA reagieren. Die Bakterien nehmen manchmal gar keinen der Bausteine auf oder die falschen. Die veränderten Mikroben vermehren sich mitunter nur langsam, oder ihr Stoffwechsel spielt verrückt. Vieles lief bei den Münchnern anfangs schief. Die Studenten wälzten Fachaufsätze, schrieben Forscher an und fragten sich immer wieder: Warum klappt es nicht?
Am Image arbeiten
"Wir wollten schon aufgeben", sagt Garnelo. Sie war auf dem Weg nach Spanien, wo ihre Eltern leben, da gaben ihr die anderen durch: endlich einen Schritt weiter!
Sie schafften es schließlich, die Bakterien zu verändern. Wo sich ein roter und ein blauer Lichtstrahl kreuzen, produzieren die Organismen nun Proteine. Allerdings noch kein Knochenmaterial, sondern Stoffe, die fluoreszieren. Auch Laser mussten sie weglassen - sie waren zu teuer. Die Studenten konnten nur die Grundzüge ihrer Idee umsetzen. "Die Zeit war zu knapp", sagt Garnelo. Dennoch, die Münchner überzeugten in der europäischen Vorrunde und stachen andere große Unis aus. "Cambridge ist draußen", bemerkt einer von ihnen lächelnd.
Als Nächstes geht es nun zur Weltmeisterschaft. Die Teams können ihre Experimente aus der Vorrunde bis dahin weiterführen und verbessern. Allerdings bleiben ihnen dafür nur wenige Wochen Zeit. Dann sperrt das MIT den Zugang für die iGem-Seite. Was bis dahin nicht online ist, wird die Jury nicht bewerten. Ein paar der Studenten stehen im Labor, weißer Kittel, blaue Handschuhe. Mit ruhigen Händen pipettieren sie eine klare Flüssigkeit von einem Reagenzglas zum nächsten. Vor ihnen liegt ihr Experiment, eine kleine weiße Box, umwickelt mit Klebeband. Ein blaues und ein rotes LED-Lämpchen baumeln durch eine Öffnung im Deckel. Im Kasten liegen zwei Röhrchen, und darin schwimmen in einer klaren gelblichen Flüssigkeit die Bakterien. "Ein bisschen handmade", nennen sie ihren Aufbau liebevoll.
Dabei sind Experimente nicht die einzige Möglichkeit, Punkte zu sammeln. Wichtig ist es der MIT-Jury auch, dass die Jungforscher am Image der Disziplin arbeiten. Also besuchten die Münchner Kindergärten und zeigten den Mädchen und Jungen Wasserflöhe unter dem Mikroskop. Sie malten einen Comic und diskutierten mit der Klasse eines Gymnasiums über die Risiken ihrer Versuche.
Die Forscher geben nicht auf
Frankenstein-Monster, Gott spielen, der Natur ins Handwerk pfuschen. Sie wissen, dass sich manche Menschen gruseln, glauben aber, eine Lösung gefunden zu haben, und die heißt Aufklärung. Wenn die Menschen besser verstünden, was in der Wissenschaft vor sich geht, würden sie die Angst davor verlieren. Aber darf alles möglich sein? "Wenn nicht die Naturwissenschaft die Grenzen setzt, dann die Gesellschaft", sagt Jungforscher Wolfgang Ott, 24, und seine Kollegen nicken.
Wer an iGem teilnimmt, lernt, dass es um mehr geht als um die Designerkreatur. Die Studenten müssen ihre Arbeit reflektieren, sich präsentieren, organisieren und vor allem: andere dafür begeistern.
Es galt, Zehntausende Euro für das Projekt aufzubringen. Flüge in die USA, Unterkünfte, 1500 Euro kostete allein die Anmeldegebühr für das Team, weitere 170 Euro jeder einzelne Teilnehmer, jeweils bei der Vorrunde und bei der Weltmeisterschaft. Die Uni, Firmen und eine Stiftung unterstützen sie.
Dennoch fliegen schließlich nur 14 der 18 Studenten in die USA. Dort läuft es anfangs gut für die TU München. Keine Patzer beim Vortrag, ein gelungenes Poster, dennoch reicht es am Ende nicht. Auch die anderen deutschen Unis gelangen nicht ins Finale. Es siegt die University of Washington mit Bakterien, die Biosprit herstellen, und einem Enzym, das vor einer Entzündung der Darmschleimhaut schützen soll.
An der TU München nimmt man es gelassen. "Wir haben sowieso nicht damit gerechnet, unter die ersten vier zu kommen", sagt Maximilian Weitz, einer der wissenschaftlichen Betreuer des Teams. Aber man bleibe dran am Projekt. Eine Frau der Nasa sei zudem auf sie aufmerksam geworden. Sie habe angedeutet, die Idee in ihrem Labor weiterentwickeln zu wollen.