Frankreichs Elite-Unis "Gleiche Schicht, gleiche Ausbildung, gleiche Denke"
Paris - Frankreich hat mit den derzeit in Deutschland viel diskutierten Eliteuniversitäten seit Jahrzehnten Erfahrungen gemacht - und keineswegs nur gute. Nicht weniger als zwei der letzten drei Staatspräsidenten und drei der letzten vier Premierminister absolvierten die Ecole Nationale d'Administration (ENA), die Kaderschmiede der Fünften Republik. Die "Enarquen" beherrschen Verwaltung und Politik. Karrieren wie die des früheren Taxifahrers Joschka Fischer sind in Frankreich undenkbar.
"Gleiche Schicht, gleiche Ausbildung, gleiche Denke", bringt der stellvertretende Direktor des Deutsch-Französischen Instituts, Henrik Uterwedde, den Unmut über die herrschende Kaste auf den Punkt. Die Absolventen der 187 Grandes Ecoles, an deren Spitze die ENA steht, "waren nie etwas anderes als Musterschüler".
Beruflicher Erfolg fast garantiert
Im Hochschulbereich hat sich ein Zweiklassensystem herausgebildet: Im Massenbetrieb der normalen Universitäten sind etwa zwei Millionen Studenten eingeschrieben, in den prestigeträchtigen und wesentlich besser ausgestatteten Grandes Ecoles büffeln 120.000 junge Franzosen.
Ein Abschluss an einer Grand Ecole ist ein Garantieschein für den beruflichen Erfolg. 92 Prozent der Absolventen des Jahrgangs 2001 hatten zwei Jahre später eine feste Stelle, fast immer in leitender Position und mit klar besserem Gehalt als andere Berufsanfänger.
Die bedeutendsten Grandes Ecoles sind staatlich: Ingenieure und Naturwissenschaftler besuchen die "Polytechnique" (X genannt). Vivendi-Chef Jean-Rene Fourtou oder Wirtschafts- und Finanzminister Francis Mer gehören zu ihren Absolventen, die im Berufsleben einen starken Korpsgeist bewahren und oft Seilschaften bilden. Die Ecole Normale Superieure formt die geisteswissenschaftliche Elite, Präsident Georges Pompidou besuchte die Schule in der Pariser Rue d'Ulm.
An der Spitze der sozialen Pyramide
Krönung einer Karriere im System der Grandes Ecoles ist die Zusatzausbildung an der ENA. An den "Enarquen" führt im Zentrum der Macht kein Weg vorbei: Zu ihnen gehört der Vorsitzende der Regierungspartei UMP, Alain Juppe, ebenso wie Sozialistenchef Francois Hollande, Staatspräsident Jacques Chirac oder die Minister Dominique de Villepin und Dominique Perben.
Premier Jean-Pierre Raffarin verdankte seine Berufung vor zwei Jahren in gewisser Hinsicht auch der ENA: Chirac suchte nach dem Le-Pen-Schock jemanden, der eben gerade nicht als volksfremder Polittechnokrat galt.
"Die meisten Schüler der Grandes Ecoles lernen dort vor allem, dass sie dazu ausersehen sind, sich an der Spitze der sozialen Pyramide niederzulassen", kritisierte Alain Peyrefitte, Mitglied der Academie Francaise und selbst ENA-Absolvent, in den siebziger Jahren. Noch vor dem 30. Lebensjahr ist der "Enarque" im rigiden System aus Vorbereitungskursen und Grandes Ecoles fertig ausgebildet und rückt in Schlüsselposition auf, ohne sich im Berufsleben hochgearbeitet zu haben.
"Künstliche Welt"
Oft setzt bereits der Vater als ENA-Absolvent seinen Filius auf das richtige Gleis. 70 Prozent der Schüler in den Grandes Ecoles sind Kinder von leitenden Angestellten oder Freiberuflern, wie der Soziologe Louis Chauvel der Zeitung "`L'Express" sagte. Nur sechs Prozent stammen aus Arbeiterfamilien. "Noch nie waren die sozialen Ungleichheiten beim Zugang zur Hochschulausbildung so schreiend wie heute", bilanziert das Nachrichtenmagazin.
Der Koordinator der OECD-Pisa-Studie, Andreas Schleicher, sieht zwar ebenfalls die Schwächen: "Da wird eine künstliche Welt geschaffen." Doch er warnt vor Pauschalkritik. Das französische Hochschulsystem sei insgesamt flexibler und dynamischer als das deutsche. So stieg der Anteil der Berufsanfänger mit Hochschulabschluss in Frankreich seit 1960 von 21 auf 33 Prozent, in Deutschland stagniert die Zahl bei 20 Prozent.
In Deutschland werde schon in der Schule ausgesiebt: Nur ein Drittel schaffe die Hochschulreife, in Frankreich sei es dagegen immerhin die Hälfte, betont der OECD-Experte. Von größerer Chancengleichheit könne dabei keine Rede sein. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Schüler einen Hochschulabschluss erwirbt, liegt in Deutschland laut OECD drei Mal höher, wenn schon die Eltern an der Uni waren. Da seien die viel gescholtenen Grandes Ecoles mit ihrer Auswahl nach dem Leistungsprinzip immerhin ein "interessanter Ansatz".
Von Uwe Gepp, AP