Frust im Lehrerzimmer Ungeeignet, überfordert, resigniert
Eine Springflut von Fachaufsätzen und Leserbriefen kündet vom kollektiven Erschöpfungszustand der deutschen Lehrerschaft. Vorn die rüpelhaften bis gewalttätigen Schüler, hinten zänkische Eltern, rechts die böse Kultusbürokratie und links die Medien, die stets nur Schlechtes über die Schulen berichten - von allen Seiten fühlen sich Pädagogen in die Zange genommen. Und dann noch die Häme wegen der Beamten-Privilegien. Und die Pisa-Blamage. Da ist der Burn-out nicht mehr fern. Diagnose: Lehrer.
Eine Untersuchung der Universität Potsdam zeigt, dass die Lehrer mehr als nur rituell klagen. Pädagogen seien seelisch stärker belastet als etwa Ärzte oder Polizisten, ermittelten Uwe Schaarschmidt und seine Potsdamer Kollegen. Schaarschmidt ist Psychologe und leitete eine Befragung von 20.000 Lehrern aus 14 Bundesländern. Einerseits räumen die Wissenschaftler gründlich auf mit der Legende vom "beneidenswerten Halbtagsjob" - den Lehrergewerkschaften, mit denen sie bei der Studie zusammenarbeiteten, kommt das zupass. Andererseits haben die Forscher auch für Pädagogen unangenehme Botschaften im Gepäck. Nämlich: Viele junge Lehrer entscheiden sich schlicht für den falschen Beruf - und aus den falschen Gründen.
Unter den Lehramtstudenten gebe es "zu viele eher ängstliche, vorsichtige Charaktere ohne großen Ehrgeiz", monierte der Erziehungswissenschaftler Ewald Terhart schon vor Jahren. Auch die Potsdamer Forscher fanden unter den Studenten und Referendaren etliche, die den psychischen Anforderungen des Schulalltags nicht gewachsen sind. "In der Tat sind zu viele ungeeignet für den Lehrerberuf", sagte Uwe Schaarschmidt am Freitag in Stuttgart.
Bei der großen Befragung, die sich über sechs Jahre erstreckte, teilten die Potsdamer Forscher die berufserfahrenen Lehrer, die Neulinge und die Studenten in vier Gruppen ein:
- Muster G wie Gesundheit - hohes, aber nicht überhöhtes Engagement, Belastbarkeit und Zufriedenheit
- Muster S wie Schonung - reduziertes Engagement, Ruhe und Gelassenheit sowie relative Zufriedenheit
- Risikomuster A - Selbstüberforderung: exzessive Verausgabung und verminderte Erholungsfähigkeit, Einschränkung der Belastbarkeit und Zufriedenheit
- Risikomuster B - Resignation: reduziertes Engagement bei geringer Erholungs- und Widerstandsfähigkeit, Unzufriedenheit und Niedergeschlagenheit
In der Lehrerschaft insgesamt ordneten die Forscher 17 Prozent dem "wünschenswerten G-Muster" zu, den kleinsten Anteil aller vier Gruppen. Etwa gleichauf mit je 30 Prozent sind die Risikomuster A und B; die übrigen 23 Prozent entfallen auf die S-Klasse mit dem Hang zum Zurücklehnen.
"Eigenaktives und engagiertes Handeln zählt"
Dass bei den berufserfahrenen Lehrern sich über die Hälfte entweder schont oder resigniert, ist noch keine große Überraschung. Das könnte auch allein dem jahre- oder jahrzehntelangen Nervenabrieb im Klassenzimmer geschuldet sein. Und tatsächlich stellten die Forscher eine Verschlechterung über die Berufsjahre fest. Sie sehen allerdings eine weitere Ursache dafür, dass es vielen Lehrern so schlecht geht: Die nachrückende Generation startet mit ungünstigen Voraussetzungen in den Beruf.
Überraschend zählt nämlich auch jeder vierte Lehramtstudent oder Referendar zum "resignativen Typ", knickt also schon vor dem Berufseintritt ein. "Klar ist, dass bei stärkerer Ausprägung dieses Musters der Betroffene kaum ein guter Lehrer sein kann", heißt es in der Studie. Und 30 Prozent steigen in die S-Klasse, verordnen sich selbst Schonung durch geringes Engagement. Das sehen die Potsdamer Forscher als "ernstes Hindernis für erfolgreiche Arbeit", denn es komme gerade auf "eigenaktives und engagiertes Handeln an".
Weniger der aktuelle Unterricht führe zu den Belastungen als vielmehr Persönlichkeitsmerkmale, kommentiert Volker Stich, Chef des Beamtenbundes Baden-Württemberg, die Ergebnisse: "Lehrerverbände haben das aus Rücksicht auf ihre Mitglieder nicht genügend in den Fokus gerückt."
Und warum wollen junge Leute überhaupt Lehrer werden, wenn sie dafür nicht geeignet sind? Offenbar sitzen sie den gleichen Vorstellungen auf, die so weit verbreitet sind - und neigen zur Ansicht, das Studium und der spätere Beruf seien leichter als andere, mutmaßt Schaarschmidt. Hinzu kämen Faktoren wie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und die künftige Absicherung als unkündbarer Beamter. "Doch das ist keine Basis für einen Beruf, dessen Voraussetzung die Freude an der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ist", so der Psychologieprofessor.
Drum prüfe, wer sich ewig bindet
Der Beamtenbund Baden-Württemberg sieht nun die Kultusministerien in der Pflicht und fordert eine sinnvollere Auswahl der Lehrer-Kandidaten, die schon im zweiten Semester Fragebögen zu ihrer Selbsteinschätzung ausfüllen sollten. Die Bildungsgewerkschaft GEW will den Praxisschock vermeiden: Studenten sollten nicht erstmals im Praxissemester nach dem Grundstudium vor den Schülern stehen, sondern schon in den ersten Semestern einmal pro Woche Erfahrung sammeln. "Nach der ersten späten Praxiserfahrung ist ein Studienwechsel - dann im fünften oder sechsten Semester - sehr schwierig", sagte Matthias Schneider, GEW- Sprecher in Baden-Württemberg.
Die Potsdamer Wissenschaftler haben aus der Studie den Online-Test "Fit für den Lehrerberuf?" entwickelt, der Abiturienten eine Selbsteinschätzung bei der Entscheidung für oder gegen den Lehrerberuf erlauben soll. Da geht es zum Beispiel um den Humorzugang, die kommunikativen Fähigkeiten, den Umgang mit Misserfolg, um Freundlichkeit und Warmherzigkeit.
Die eigene Anschauung dürfte so ein Online-Test kaum ersetzen, kann aber bei der Klärung der wichtigsten Fragen helfen: Kann ich das? Will ich das wirklich? Oder soll ich den Job im Klassenzimmer lieber Leuten überlassen, die dafür mehr Begeisterung mitbringen? "Self-Assessment" heißen solche Tests auf Neudeutsch - oder viel altmodischer: Drum prüfe, wer sich ewig bindet.