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Geisteswissenschaftler beim Berufsstart "So schön klagt keiner"

"Willst du nicht lieber etwas Ordentliches studieren?" Geisteswissenschaftler müssen sich ständig verteidigen - zu Unrecht, sagt Martha Meyer-Althoff. Im Interview mit SPIEGEL ONLINE erklärt die Professorin, warum Freigeister für den Arbeitsmarkt taugen und Betriebswirte jeden Kneipenjob zur Management-Kompetenz hochjubeln.

SPIEGEL ONLINE:

Frau Meyer-Althoff, Sie sollen an der Universität Hamburg Geisteswissenschaftler fit für den Arbeitsmarkt machen. Nur will der Arbeitsmarkt leider keine Geisteswissenschaftler.

Martha Meyer-Althoff: Das ist eine Mär. Die große Zahl an Geisteswissenschaftlern, die erfolgreich in den verschiedensten Berufen arbeiten, sei es als Lektor, Journalist, PR-Fachmann oder Personalverantwortlicher, spricht eindeutig dagegen.

SPIEGEL ONLINE: Trotzdem bekommen Geisteswissenschaftler von allen Seiten eingeredet, sie studierten für die Arbeitslosigkeit.

Meyer-Althoff: Geisteswissenschaftler, die ihr Studium erfolgreich abschließen, schaffen in den allermeisten Fällen auch den Berufseinstieg. Dass sie sich trotzdem ständig verteidigen müssen, ist zum Teil die Schuld der Hochschulen. Sie haben sich lange Jahre nicht um den Verbleib ihrer Absolventen gekümmert. Wer nicht Lehrer oder Professor wurde, geriet aus dem Blickfeld. Wissenschaftler geben ungern zu, dass sie etwas nicht wissen. Als dann die These aufkam, Geisteswissenschaftler würden für nichts oder für die Arbeitslosigkeit produziert, haben wir pflichtschuldig genickt und gesagt: "Jaja, die werden alle arbeitslos." Diese selbst gemachte Prophezeiung entspricht aber nicht der Realität.

SPIEGEL ONLINE: Wie sieht denn die Realität aus?

Meyer-Althoff: Der Weg in den Beruf verläuft für Geisteswissenschaftler nicht gerade, er ist nicht gebahnt. Absolventen verschiedener geisteswissenschaftlicher Richtungen können den gleichen Beruf ergreifen, andererseits können Kommilitonen eines Faches in sehr unterschiedliche Richtungen gehen. Das ist in Studienfächern, die auf eine bestimmte Profession ausgelegt sind, anders. Studiere ich Medizin und schaffe ein bestimmtes Nadelöhr, dann ist klar: Ich werde Arzt oder Ärztin. Bei Geisteswissenschaftler ist die Übergangszeit komplexer, was wiederum den Legitimationsdruck verstärkt. Manche Geisteswissenschaftler denken dann schnell: "Oje, aus mir wird doch nichts Rechtes."

SPIEGEL ONLINE: Machen sich Germanisten, Politologen oder Soziologen schlechter, als sie sind?

Meyer-Althoff: Ich denke ja. Sie bekommen aber auch vom ersten Semester an eingeredet: "Schön, dass Sie da sind, aber Sie wissen ja, dass Sie alle für die Arbeitslosigkeit studieren." Im Rückblick sieht meist alles ganz anders aus. Da erkennen Geisteswissenschaftler, dass auch Übergangsphasen ihren Sinn hatten. Während dieser Phasen haben sie zum Beispiel bewiesen, dass sie sich schnell in verschiedene Themen einarbeiten und auch mal eine Durststrecke durchstehen können. Das sollte man offensiver verkaufen. Aber viele Geisteswissenschaftler schreiben ja nicht mal in ihren Lebenslauf hinein, was sie alles können, weil es angeblich nicht zählt.

SPIEGEL ONLINE: Zum Beispiel?

Meyer-Althoff: Den Job als Kellnerin zum Beispiel. Geisteswissenschaftler haben häufig ein gewisses intellektuelles Niveau als Sollvorstellung im Kopf. Dieser Anspruch an sich selbst lässt sie alle banalen, trivialen Maloche-Jobs, mit denen man als Student nun einmal sein Geld verdient, als wertlos erachten. Denn angeblich interessiert das ja niemanden. Dagegen arbeite ich immer an und sage: "Hast du eine Ahnung, das qualifiziert dich auf vielerlei Weise."

SPIEGEL ONLINE: Wofür qualifiziert denn der Kellnerjob?

Meyer-Althoff: Du kannst hart arbeiten. Du kannst Kunden angemessen bedienen, sonst fliegst du nämlich raus, weil die Kneipe oder das Restaurant seine Kunden verliert. Du achtest darauf, dass die Kasse stimmt. Du kannst in einem Team von Kollegen auch unter Druck arbeiten. Du hältst physische Arbeit aus. Das ist doch eine ganze Menge.

SPIEGEL ONLINE: Und der Betriebswirt mit Kellnerjob...

Meyer-Althoff: ... würde sagen: "Ich habe das Kollegenteam geführt, ich habe die Finanzen gemanagt und und und." BWLer würden trumpfen, sie sind stolz auf das, was sie gemacht haben, manchmal zu stolz. Das ist aber im Zweifelsfall besser als umgekehrt, in der Selbstvermarktung haben die BWLer den Geisteswissenschaftlern etwas voraus.

SPIEGEL ONLINE: Müssen Geisteswissenschaftler auf einen Nebenjob ausweichen, um sich Fähigkeiten anzueignen, die in der Berufswelt zählen?

Meyer-Althoff: Nein, sie lernen auch durch ein erfolgreiches Studium eine ganze Menge. Geisteswissenschaftler müssen sich ihr Studium selbst zusammenstellen, sich ihre Lehrveranstaltungen auswählen und diese dann tatsächlich durchziehen. Das fördert, wenn es gelingt, die Selbstorganisation und die Fähigkeit, die eigenen Interessen zu entdecken. Sodann beschäftigen sich Geisteswissenschaftlern in ihren Fächern mit dem Fremden, dem Anderen: Germanisten mit der Literatur vergangener Epochen, Historiker mit versunkenen Welten und Soziologen mit sozialen Entwürfen, die sie selbst nicht leben könnten. Das weitet den Horizont und ist überaus wichtig für die Arbeitswelt. Schließlich hat man dort auch mit anderen Menschen zu tun als im eigenen Privatleben.

SPIEGEL ONLINE: Wie erklären Sie dem Personalchef, dass er die Kenner des Anderen in seinem Unternehmen braucht? Für viele Arbeitgeber ist ja schon der Psychologe in der Marketing- oder Personalabteilung ein Exot.

Meyer-Althoff: Ich sage nicht, dass er jetzt unbedingt nur Germanisten oder Politologen einstellen soll. Ich würde einem Personalchef sagen, dass er in seinen Teams immer auch Leute braucht, die anders denken, die das Salz in der Suppe sind. Die Personalverantwortlichen sollten allgemein offener für Bewerber werden, die nicht den schnurgeraden Weg in ein Unternehmen hinein gehen.

SPIEGEL ONLINE: Wird künftig in Stellenanzeigen stärker nach Geisteswissenschaftlern gefahndet werden?

Meyer-Althoff: Vielleicht mittelfristig, wenn der vorausgesagte Akademikermangel zum Tragen kommt. Für Geisteswissenschaftler ist das aber ohnehin nebensächlich: Sie sollten bitte, bitte nicht auf Stellenanzeigen warten, die sie suchen. Wer sucht schon gezielt Germanisten, außer für eine Professur? Geisteswissenschaftler müssen sich rühren und sich alles selbst erarbeiten. Sie sollten nicht darauf warten, dass sie irgend jemand abholt. Fast keine Einsteigerposition für Geisteswissenschaftler, sei es der Werkvertrag oder die Elternzeit-Vertretung, wird je offiziell ausgeschrieben. Das läuft über Praktika und Initiativbewerbungen.

SPIEGEL ONLINE: Geht Deutschland besonders schlecht mit seinen Geisteswissenschaftlern um?

Meyer-Althoff: Na ja, die angloamerikanischen Länder haben eine andere, wesentlich offenere Haltung gegenüber Berufsanfängern. Dort können auch Altphilologen in eine Großbank einsteigen, was in Deutschland erheblich schwieriger wäre. Diese Offenheit finde ich gut. Die Geisteswissenschaftler gehen vor allem besonders schlecht mit sich selbst um und ergehen sich gerne im typisch deutschen Hang zum Jammern. Früher habe ich immer gesagt: Keiner kann so schön klagen wie Bauern und Professoren. Mittlerweile würde ich die Geisteswissenschaftler dazu zählen. Sie bekommen allerdings auch von Anfang eingeredet: "Kind, willst du nicht etwas Ordentliches studieren?"

Das Interview führte Jan Friedmann

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