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Gen-Forschung: Insektengift, das aus der Erbse kommt

Foto: Frank Schinski/ Ostkreuz

Wissenschaftler unter Druck Wir sind Gen-Forscher

Wer mit Gentech-Pflanzen arbeitet, kann sich in Deutschland Feinde machen. Doch Hannoveraner Uni-Biologen nehmen diesen Ärger gern in Kauf. Sie glauben daran, die Landwirtschaft zu revolutionieren.

Köln, am 19. August 1985. Es ist zwei Uhr nachts, der Rohbau des Max-Planck-Instituts für Züchtungsforschung im Westen der Stadt liegt im Dunkeln, als in einem Lüftungsschacht die Bombe hochgeht, mit der alles beginnt. Erst am nächsten Morgen entdecken Arbeiter den detonierten Sprengsatz, die Lüftungsanlage ist schwer beschädigt. Menschen kommen bei dem Anschlag glücklicherweise nicht zu Schaden.

Wenige Tage später bekennt sich die "Rote Zora", eine Gruppe radikaler Feministinnen, zu dem Anschlag. Den Aktivistinnen geht es nicht um Sexismus. Dieses Mal kämpfen sie gegen eine Wissenschaft, die zum Beispiel die Gene fremder Organismen in Pflanzen einbaut. Gentechnik und -forschung, wie sie auch in Köln betrieben werde, zementiere die Macht multinationaler Agrarkonzerne, schreiben die Frauen in einem Brief. Die Gefahren, die von der neuen Technologie ausgingen, seien unvorhersehbar. Die Technik müsse gestoppt werden, für immer. Um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen, verübt die "Rote Zora" noch einen weiteren Anschlag: Es trifft das Institut für Botanik an der Universität Köln.

Mit den Bomben der radikalen Feministinnen startet ein Widerstand, der auch heute noch anhält, fast 30 Jahre und viele Erkenntnisse später. Die Wut gegen die grüne Gentechnik spüren nicht nur Konzerne wie Monsanto oder Pioneer, dessen Genmais-Sorte 1507 trotz erheblichen Widerstands kurz vor der Zulassung durch die Europäische Union steht. Die Wut trifft auch die Wissenschaftler, die Genpflanzen entwickeln. Immer wieder zerstören Aktivisten Felder, auf denen Forscher ihre neugeschaffenen Pflanzen testweise anbauen.

Bei der Bevölkerung ist Gentechnik verrufen

Der Protest zeigte Wirkung: Auf keinem einzigen Acker in Deutschland wachsen derzeit Genpflanzen, und es sieht so aus, als ob sich daran so schnell nichts ändern wird. Auch die demnächst in der EU zugelassene Sorte 1507 soll hierzulande nicht ausgesät werden; bei der deutschen Bevölkerung ist Gentechnik ähnlich verrufen wie Kernenergie. "Wir haben in Deutschland sehr viel erreicht", sagt eine Sprecherin der Initiative "Gen-dreck weg".

Für Gentechniker an den Unis, die mit Pflanzen experimentieren, ist Deutschland also kein guter Ort. Die Technische Universität München musste vor einigen Jahren Versuche abbrechen, weil der Widerstand in Bayern zu groß wurde, anderswo flüchteten Forscher und Studenten in Scharen ins Ausland. Die, die noch nicht aufgegeben haben, zogen sich in ihre Labore zurück - und verbringen einen großen Teil ihrer Zeit damit, sich gegen Vorwürfe zur Wehr zu setzen.

Das "Institut für Pflanzengenetik" ist ein gelbgestrichener Bau auf dem Campus der Universität Hannover. Drinnen: abgewetzter PVC-Boden, knallorangefarbene Türen, dahinter Laborräume. In einem davon steht Alemayehu Teressa Negawo, 32, und greift mit einer Pinzette einen Erbsen-Embryo aus der Petrischale vor sich. Mit dem Skalpell in seiner rechten Hand zerteilt er die fingerkuppengroße Kugel und tunkt sie in eine Bakterienlösung. Negawo, Jeans und Hemd, offenes Lachen, ist einer von zwei Doktoranden am Institut für Pflanzengenetik. Der Äthiopier forscht an einer genveränderten Erbsenpflanze, die resistent sein soll gegen bestimmte Insektenarten, die sich auf dem Acker ausbreiten und die Pflanzen zerfressen. In Alemayehus Heimat, wo Erbsen Grundnahrungsmittel sind, dezimieren die Schädlinge die Ernte. Der Doktorand will helfen, dass sich das ändert. Im Labor versucht er daher, Gene des Bacillus thuringiensis, eines Bakteriums, in das Genom der Erbsen einzuschleusen. Gelingt ihm das, produziert die Erbsenpflanze später ein Gift, das gefräßige Schmetterlingsraupen tötet - wie eine Art natürliches Insektizid.

Freilandversuche sind in Deutschland schwer möglich

Weil die Manipulation des Genoms nur bei jedem 50. Erbsen-Embryo funktioniert, zieht Negawo in einer neonbeleuchteten Klimakammer Dutzende Pflänzchen in Plastikbechern heran. Anschließend züchtet er in den Gewächshäusern auf dem Campusgelände die Erbsenpflanzen über mehrere Generationen, um diejenigen auszulesen, die die veränderte DNA am stabilsten weitervererben. Negawo teilt sein Labor mit einer Ägypterin, die für einige Monate in Deutschland forscht. Auch in den anderen Laboren arbeiten Mikrobiologen aus aller Welt. Die Reputation und Expertise des Instituts sei noch immer exzellent, sagt Negawo, dessen Promotion die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit finanziert.

Eines kann der Äthiopier in Hannover aber nicht: seine Pflanzen draußen erproben; das würde von den Behörden wohl nur nach einem langwierigen Verfahren erlaubt und wäre wegen des Widerstands der Gentechnikgegner auch zu riskant. Doch ohne Freilandversuche, geben die Forscher zu bedenken, könne man nicht ergründen, wie sich die Pflanzen in der Natur verhalten - und ob sie gefährlich fürs Ökosystem sind.

Die Wissenschaftler haben sich deshalb etwas einfallen lassen: Sie säen ihre Pflanzen in Nordamerika aus. "Dort hatten wir innerhalb von drei Wochen nach Einreichung des Antrags eine Genehmigung zur Freisetzung", sagt Negawos Chef, der Pflanzengenetik-Professor Hans-Jörg Jacobsen. Wo genau sein Institut die Pflanzen anbaut, möchte er aber nicht sagen, "sonst zerstören selbsternannte Aktivisten nachher unsere Felder".

Ist Gentechnikforschung Lobbyismus?

Jacobsen, ein Mann mit grauem Bart und ruhiger Stimme, sitzt in seinem Büro, das vollgestopft ist mit Büchern und Aktenordnern. Seit 25 Jahren forscht der 64-Jährige an grüner Gentechnik. Er hat schon so einiges erlebt: Unbekannte schmierten "Gen-Sau" auf sein Auto, auf Podiumsdiskussionen wird er regelmäßig bezichtigt, ein Lobbyist der Gentechnikfirma Monsanto zu sein. Jacobsen sagt, er habe niemals Geld von der Industrie angenommen.

Besonders in Greenpeace hat Jacobsen einen hartnäckigen Widerpart gefunden. Immer wenn er bei einer Veranstaltung für seine Wissenschaft wirbt, sind auch Vertreter der mächtigen Umweltorganisation da. Als die niedersächsische Landesregierung darüber beriet, ob sie ein Schulprojekt von Jacobsen weiterhin finanzieren sollte, opponierten die Umweltschützer heftig. Und gewannen.

Greenpeace habe nichts gegen Gentechnikforschung, sagt Dirk Zimmermann, Gentechnikbeauftragter der Umweltorganisation - solange die Pflanzen das Gewächshaus nicht verlassen. Zimmermann ist promovierter Biologe, er hat selbst einst mit genveränderten Tomaten experimentiert. Er glaubt, dass sich mit konventioneller Züchtung ebenso gut optimierte Pflanzen heranziehen lassen. Die Absicht, Genpflanzen in Afrika und Südostasien verbreiten zu wollen, hält er für "modernen Kolonialismus".

Die Bundesregierung lässt forschen und ignoriert die Ergebnisse

Die Ablehnung von Greenpeace und anderen NGOs wie Foodwatch sei das eine, sagen die Gentechnikforscher. Was sie noch mehr ärgert: wie die Politik ihre Erkenntnisse ignoriere. Jahrelang steckte die Bundesregierung viel Geld in die Erforschung möglicher Risiken von Genpflanzen. Der Biologe Stefan Rauschen leitete eines dieser Projekte. Sein Team sollte herausfinden, ob Genmais nicht nur Schädlinge tötet - sondern ungewollt auch andere Organismen. Auf einem Acker nahe Braunschweig bauten die Wissenschaftler daher den Genmais an. Aktivisten campierten auf den Feldern, Rauschen erhielt Hassbriefe: Er möge am Genmais verrecken, stand unter anderem darin. Das Fazit der Forscher war eindeutig: Der Genmais ist unbedenklich. Trotzdem erließ die damalige Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner im April 2009 ein Anbauverbot für MON810. Es gilt bis heute. "Es gibt keine wissenschaftliche Begründung dafür", klagt Rauschen.

Das Forschungsministerium in Berlin hat die Fördermittel für Freilandversuche inzwischen vollständig gekappt, einige Landesregierungen geben überhaupt kein Geld mehr für Gentechnikforschung aus. Jacobsen, der Pflanzengenetiker aus Hannover, glaubt, dass sich die Gentechnik dennoch durchsetzen wird - auch wenn Deutschland aus der Forschung aussteige. "Doch dann müssen wir die Technologie irgendwann teuer zurückkaufen", warnt er.

Und er selbst? Warum macht er trotzdem weiter? Einmal sei er in Bangladesch über Land gefahren, erzählt Jacobsen, ringsherum Tomatenfelder. Ein Bauer habe seinen Acker mit einem weißen Puder bestäubt - einem hochgiftigen Insektizid, das mutmaßlich auch für Menschen gefährlich sei. Der Bauer habe nicht einmal Handschuhe getragen, geschweige denn Schutzkleidung. "Das", sagt Jacobsen, "ist die Alternative zur Gentechnik."

Aus für Genlabore an Schulen
Foto: Patrick Pleul/ DPA

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