Geschäfte der Ghostwriter Von Geisterhand verfasst
In Unis werben Ghostwriter gern diskret, mit Aushängen an den schwarzen Brettern. "Biete Lektorat", heißt es da ganz unschuldig. Doch oft liefern die Werber dann deutlich mehr: Zügig und fast immer unbemerkt von den Professoren schreiben sie Seminar- und Abschlussarbeiten, manche liefern sogar komplette Dissertationen.
Im Internet dagegen treten die Ghostwriter geschützt von der Anonymität des Netzes häufig ganz offen auf - und überbieten sich darin, ihre zwielichtigen Dienste anzupreisen. Was sie tun, ist bei Licht betrachtet vor allem eins: bezahlte Hilfe beim wissenschaftlichen Betrügen.
Es wurde viel darüber spekuliert, ob der entdoktorte Ex-Verteidigungsminister und CSU-Politiker Karl-Theodor zu Guttenberg mit seiner plagiatverdächtigen Arbeit vielleicht einem ungeschickten Auftragschreiber aufgesessen ist. Wenn dem so wäre - der Ghostwriter hätte einen richtig schlechten Job gemacht. Denn der Ruf der klandestinen Branche steht und fällt damit, dass die Auftragschreiber für teils fünfstellige Honorare Arbeiten liefern, die einer wissenschaftlichen Prüfung standhalten.
Klar, Anstand und Selbstrespekt gebieten, dass man eine wissenschaftliche Arbeit nicht von jemand anderem schreiben lässt, um sie dann als seine auszugeben. Die Ghostwriter wollen davon nichts hören, sie sehen sich als "Nothelfer" verzweifelter Studenten und Doktoranden, und sie betonen, das Verfassen der Texte sei doch ein "ganz normaler Job".
SPIEGEL ONLINE erklärt, wie das Geschäft der Geisterschreiber funktioniert, warum die Schreiber in einer Grauzone operieren - und dass sich die Käufer sogar strafbar machen können.
Wer sind die Ghostwriter?
In Deutschland gibt es zum einen eine Handvoll großer Ghostwriting-Agenturen, die mit teilweise Hunderten freien Autoren zusammenarbeiten. Zum anderen gibt es zahlreiche Einzelkämpfer unter den Ghostwritern, die ihre Kunden auf eigene Faust akquirieren. Einige arbeiten sowohl selbstständig und sind gleichzeitig in der Kartei einer der großen Agenturen.
Unter den Ghostwritern befinden sich Akademiker verschiedenster Fächer. Manche arbeiten seit Jahren ausschließlich als Auftragsschreiber, andere übergangsweise, und einige sind nur nebenbei als Fälscher tätig und arbeiten hauptberuflich etwa als Lehrer oder Wissenschaftler. Häufig sind sie promoviert oder gar habilitiert.
Welche Leistungen bieten sie an?
Im direkten Interview sprechen Ghostwriter meist nur juristisch unverfänglich von "Arbeiten, die den wissenschaftlichen Ansprüchen von Abschlussarbeiten entsprechen" oder sagen, dass sie ihre Kunden beim Schreiben unterstützen. Das umfasse dann eine "Betreuung von A-Z", von der Hilfe beim Verschriftlichen der eigenen Ideen über Literaturrecherche bis zur Korrektur der Arbeit.
Im Web und anonym dagegen sprechen Agenturen und freie Autoren Klartext und bieten etwa "Texte von der Hausarbeit bis zur Dissertation" an - "wissenschaftlich recherchiert, sauber formuliert und bis ins Detail auf deine Wünsche abgestimmt" - solche und ähnlich lautende Einträge ergibt eine einfache Suchmaschinen-Recherche gleich dutzendfach.
Ist Ghostwriting denn überhaupt erlaubt?
Für Studenten und Doktoranden ist die Situation klar: Wenn sie eine Auftragsarbeit unter ihrem eigenen Namen einreichen, verstoßen sie gegen die Prüfungsordnungen der Hochschulen. Fliegen sie auf, müssen die Prüflinge, insbesondere im Wiederholungsfall, mit hohen Geldbußen rechnen und können exmatrikuliert werden.
Haben sie, wie bei Dissertationen oft gefordert, wider besseres Wissen eine vor Gericht verwertbare Erklärung unterschrieben, dass die Arbeit selbstständig angefertigt wurde, kann die falsche Angabe später auch juristische Konsequenzen haben - bis hin zu einer Geld- oder sogar einer Freiheitsstrafe.
Auf der anderen Seite ist es komplizierter: Ghostwriter selbst sprechen häufig von einer "Gratwanderung" oder "Grauzone", in der sie sich bewegen. Denn es ist erlaubt, für jemand anderes wissenschaftliche Texte zu verfassen, ohne als Autor genannt zu werden.
Um rechtlich abgesichert zu sein, lassen sich die Ghostwriting-Agenturen von ihren Kunden schriftlich bestätigen, dass sie die Arbeiten nicht unter eigenem Namen als Prüfungsleistung abgeben. Es komme deshalb immer auf den Einzelfall an, - "eine eindeutige Strafbarkeit liegt nicht vor", erklärt der Urheberrechtsexperte und Mitherausgeber der Zeitschrift für Geistiges Eigentum Matthias Leistner von der Uni Bonn.
"Man müsste berücksichtigen, wie die Werbung gestaltet ist", sagt Leistner, etwa ob die Ghostwriter eine "Ideenschmiede" oder explizit "Abschlussarbeiten" offerieren. Gegebenenfalls könne neben strafrechtlichen Mitteln auch ein wettbewerbsrechtliches oder gewerbeaufsichtliches Vorgehen gegen die Ghostwriter in Betracht kommen.
So heißt es in einem aktuellen Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf, dass bei den Summen, die an die Ghostwriter gezahlt werden, allen Beteiligten klar sei, dass die Arbeiten auch eingereicht würden. Das Gericht nannte Ghostwriting eine "verbotene Dienstleistung" und eine Tätigkeit, die "gegen die guten Sitten" verstoße.
Wer sind die Kunden der Auftragsschreiber?
Mehrere Ghostwriter geben an, dass vor allem Studenten der Wirtschaftswissenschaften Arbeiten verfassen lassen. Ob sich daraus schließen lässt, dass sie häufiger schummeln als Studenten anderer Fächer, lässt sich daraus allerdings nicht direkt ableiten. Schließlich ist BWL das mit Abstand meiststudierte Fach in Deutschland. Sehr häufig kämen die Anfragen auch von Juristen und Politikwissenschaftlern, selten hingegen von Physikern, Chemikern oder Medizinern.
"Meistens sind's die, die am wenigsten Interesse an ihrem Studium haben", erzählt ein Lohnschreiber, der nicht namentlich genannt werden will. Meist seien es Leute, die "keine Ahnung von gar nichts" hätten und ohne fremde Hilfe ihre Arbeit nicht schreiben könnten.
Anfragen kämen außerdem von ausländischen Studenten, deren Sprachkenntnisse zum Schreiben ihrer Haus- und Abschlussarbeiten nicht ausreichen. Einige Ghostwriter brüsten sich damit, dass zu ihren Kunden auch gestandene Wissenschaftler zählen.
Was kostet eine komplette Arbeit?
Die Preise unterscheiden sich stark, hängen zum Beispiel von den Ansprüchen des Auftraggebers ab: Will er eine Eins oder geht es nur ums Bestehen? Hat er bereits Literatur recherchiert und eine Gliederung angefertigt oder muss der Ghostwriter bei Null beginnen?
Seitenpreise variieren meist zwischen 30 und 80 Euro, oft kommt noch eine Pauschale hinzu. Abschlussarbeiten liegen im vierstelligen, Doktorarbeiten im fünfstelligen Bereich. Mancher freie Autor gibt an, "Sozialpreise" für arme Studenten anzubieten.
Wie arbeitet ein Ghostwriter?
Genau wie der Normalstudent: Ghostwriter gehen in die Bibliothek, recherchieren und sichten die einschlägige Literatur zum Thema, erstellen eine Gliederung, schreiben und überarbeiten den Text. Die wenigsten arbeiten mit vorgefertigten Textbausteinen, fast alle schreiben jede Arbeit komplett neu. Bei den Ghostwriting-Agenturen ist es den freien Autoren explizit verboten, Versatzstücke zu verwenden. Sie setzen oft Anti-Plagiats-Software zur Kontrolle der Arbeiten ein.
Einige Ghostwriter haben sich auf bestimmte Fächer spezialisiert, etwa auf das, was sie studiert haben und benachbarte Disziplinen. Andere schreiben aber querbeet fast alles mit wenigen Ausnahmen und geben etwa den mathematischen Teil in einer Arbeit an jemand anderen weiter.
Grundlagenliteratur zum Thema und aktuelle Aufsätze würden reichen, um ein fachfremdes Thema zu bearbeiten, sagt ein Ghostwriter. Eine Kollegin meint: "Im Grunde beweisen wir Ghostwriter ja nur, dass so eine Arbeit jeder schreiben kann, der ein wissenschaftliches Buch lesen kann."
Im Ernstfall geht es schnell: "Eine 40-seitige Bachelorarbeit schreibe ich, wenn der Abgabetermin drängt, auch in drei Tagen und Nächten", erzählt ein Ghostwriter. Höchste Qualität sei dann aber nicht zu erwarten.
Als routinierte Schreiber, die auf diese Weise ihr Geld verdienen, arbeiten die Auftragsschreiber in der Regel schneller als Studenten und Doktoranden. Laut einer Agentur könne ein erfahrener Ghostwriter, will er wissenschaftlich gründlich arbeiten, im Schnitt etwa zwei Seiten am Tag abliefern. Macht für eine Diplom- oder Masterarbeit etwa anderthalb Monate.
Wie entsteht der Kontakt - und hat die Auftragsschreiberei zugenommen?
Der Erstkontakt läuft bei den Agenturen meistens über Formulare auf ihren Internetseiten. Die freien Autoren finden ihre Kunden über Aushänge an Hochschulen, ihre Internetauftritte und über Mund-Propaganda. Die Ghostwriter garantieren Diskretion, die Agenturen sogar gegenüber den Autoren der Texte Anonymität. Sie erfahren nicht, für wen und zu welchem Zweck sie die Arbeiten schreiben.
Ghostwriting hat es schon immer gegeben und wird es auch immer geben, behauptet eine Inhaberin einer Ghostwriting-Agentur. Ein Ghostwriter, der seit 20 Jahren im Geschäft ist, sagt allerdings, dass die Nachfrage in den letzten Jahren stark gestiegen sei. Das Bologna-System setze die Studenten unter Druck und treibe sie zu den Ghostwritern, meinen mehrere. Eine mögliche Erklärung wäre auch die Titelgier: Die Zahl der Dissertationen in Deutschland hat seit den siebziger Jahren stark zugenommen, 2007 gab es über 25.000 Promotionen.