Interview zur Eliteschmiede der Wirtschaft "Wir sind keine Universität, das ist lächerlich"
SPIEGEL ONLINE:
Was ist seit der Gründung Ende Oktober geschehen?
Derek F. Abell: Ich arbeite 15 Stunden am Tag, sechs Tage in der Woche, und zumindest in meinem Kopf habe ich Fortschritte gemacht. Schließlich habe ich den Job als Präsident erst fünf Wochen vor der Gründungsfeier übernommen. Bis dahin hat jeder nur auf einen Präsidenten gewartet. Im Moment besteht die ESMT lediglich aus drei festen Mitarbeitern: dem Gründungsdekan Wulff Plinke, der Sekretärin und mir.
SPIEGEL ONLINE: Haben Sie inzwischen das anvisierte Stiftungskapital von 100 Millionen Euro zusammen?
Abell: Wir haben Zusagen der Sponsoren über 80 Millionen Euro, die allerdings noch nicht komplett einbezahlt sind. Dazu kommen zehn Millionen Euro Vermögenswerte und etwas Kapital durch die Überführung des USW Schloss Gracht und des IMT Berlin in die ESMT.
SPIEGEL ONLINE: Wie soll sich die ESMT finanzieren?
Abell: Ich rechne mit 3,5 Millionen Euro Zinsen aus dem Stiftungskapital und schätze, dass wir denselben Betrag aus dem Gewinn unserer Executive Education Programme bekommen werden. Die Zinsen werden dabei ausschließlich in die Forschung und die Programminnovation fließen.
SPIEGEL ONLINE: Ist inzwischen klar, woher das Geld für die Renovierung des ehemaligen Staatsratsgebäudes kommen soll?
Abell: Es gibt mehrere Optionen, aber noch keine Entscheidung. Ich habe erst einmal einen Architekten mit einem Vor-Vor-Vorschlag beauftragt. Schließlich ist es eine große Herausforderung, das historische Gebäude zu erhalten und gleichzeitig eine flexible Struktur zu schaffen. Zudem möchte ich das Gebäude oder wenigstens ein Teil davon auch für die Öffentlichkeit zugänglich machen.
SPIEGEL ONLINE: Laut Plan soll die Renovierung bereits im Herbst 2004 abgeschlossen sein.
Abell: Das ist ein sehr enger Plan, und ich wäre überrascht, wenn das klappt. Die Renovierung ist nicht meine Priorität. Ich will mit kurzen Managementseminaren anfangen und nicht mit 300 MBA-Studenten. Daher bin ich nicht unter Zeitdruck. Aber natürlich muss etwas passieren in Berlin, damit man sieht, dass wir vorankommen. Vielleicht veranstalten wir dort eine große Konferenz oder ein anderes Event.
SPIEGEL ONLINE: Wo sollen die ersten Programme stattfinden?
Abell: In München haben wir zwei Klassenzimmer am alten Flughafen Riem, die uns das Land Bayern mietfrei zur Verfügung stellt. Daher müssen wir hier schnell etwas tun. Ich denke, wir werden den Münchner Campus im März oder April eröffnen, am nächsten Tag soll dann das erste Programm starten. Das werde ich selbst zusammen mit dem renommierten Managementprofessor Henry Mintzberg leiten.
SPIEGEL ONLINE: Laut Plan soll die ESMT in fünf bis zehn Jahren 60 Vollzeit- und 20 Gast-Professoren haben. Wie wollen Sie das schaffen?
Abell: Das ist meine größte Sorge. Denn gute Professoren, die auch erfahrene Manager unterrichten können, sind äußerst rar. Ich schätze, dass ich den ersten im Januar ernsthafte Angebote machen werde, die werden dann sicher nicht vor Herbst 2003 bei uns anfangen. Im optimalen Fall haben wir 35 Professoren bis zum Jahr 2007. Wenn es schlecht läuft, sind es nur 20. Bis dahin müssen wir mit Gast-Professoren arbeiten. Um gute Leute zu bekommen, brauchen wir vor allem eine klare Vision. Die soll sich bereits in unseren ersten Programmen widerspiegeln.
SPIEGEL ONLINE: Aber welche Vision steckt hinter Seminaren mit so schnöden Titeln wie "Das 1x1 im Marketing"?
Abell: Diese Titel wurden vor meinem Antritt als Präsident ausgedacht. Ich habe das bereits umbenannt in "Essence of Marketing", es geht um wesentliche Fragen des Marketing und nicht um Grundlagen.
SPIEGEL ONLINE: Und wie sieht Ihre Vision aus?
Abell: Ziel ist es, ein neues Konzept von Europa zu schaffen, und zwar nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in der Gesellschaft. Die Manager müssen verantwortlicher denken und nicht nur auf die Quartalsergebnisse achten. Sie müssen stärker auf die Umwelt, die Ethik und die Bedürfnisse ihrer Mitarbeiter eingehen. Denn Unternehmen ohne wertorientierte Führung gehen irgendwann pleite. Warum soll Europa nicht Vorreiter für eine grundlegende Neuausrichtung sein? Wir müssen daher anders sein als die anderen Business Schools. Ich will nicht wie Harvard werden, aber dasselbe Renommee haben.
SPIEGEL ONLINE: Sehen Sie das ESMT als Konkurrenz zu öffentlichen Universitäten?
Abell: Wir sind keine Universität, das ist lächerlich. Ich will auch nicht, dass man uns Hochschule nennt. Wir sind eine private Managementschule, auch wenn das kurz greift. Denn wir bringen unseren Teilnehmern nicht nur Management, sondern auch Leadership bei. Vielleicht wäre Kaderschmiede eine gute Bezeichnung. Wir bieten etwas ganz anderes an als die Universitäten - die bilden Studenten aus, wir wenden uns an erfahrene Manager. Wenn die Universitäten das verstanden hätten, wären sie vielleicht auch offener uns gegenüber gewesen.
SPIEGEL ONLINE: Lag das nicht auch an der katastrophalen ESMT-Pressearbeit?
Abell: Das stimmt. Leider gab es viele Missverständnisse, das hat uns geschadet. Als erstes werde ich daher einen guten PR-Manager einstellen. Denn wir müssen so viel wie möglich kommunizieren und offen sagen, wo wir stehen.
SPIEGEL ONLINE: Wenn die ESMT keine Uni sein will, warum strebt sie dann das Promotionsrecht an?
Abell: Wichtig ist, dass wir die Möglichkeit haben, akademische Grade zu vergeben und das Promotionsrecht erwerben können. Und wenn wir soweit sind, werden wir das auch beantragen. Aber noch haben wir nichts. Ich glaube allerdings nicht, dass wir in der nächsten Zeit eine Promotion anbieten sollten. Wir wollen erfahrenen Managern dabei helfen, ihre Aufgaben besser zu erledigen, nicht dabei, einen Doktortitel zu erwerben.
SPIEGEL ONLINE: Wie sieht es mit den MBA-Programmen aus?
Abell: Hier habe ich erst mal die angestrebte Zahl der Studenten von 500 auf 200 reduziert. Vielleicht werden wir schon 2004 mit einem modularem Executive MBA Programm starten. Da wird es zwei Typen geben: Einmal ein Programm für Manager mit technischem Hintergrund mit Basis in München. Und dann ein Programm in europäischem Management mit Schwerpunkt Zentral- und Osteuropa. Wir werden mit vielleicht 30 bis 35 Teilnehmern starten, besser wären natürlich 45. Erst danach wird es ein einjähriges Vollzeitprogramm für junge Akademiker mit Berufserfahrung geben. Denn dazu braucht man genug Vollzeitprofessoren.
SPIEGEL ONLINE: Wollen Sie künftig mit deutschen Unis kooperieren?
Abell: Im Grunde genommen machen wir völlig unterschiedliche Dinge. Aber ich kann mir vorstellen, dass wir mit bestimmten Fachbereichen wie Kunst oder Naturwissenschaften kooperieren, um unseren Teilnehmern Zugang zu deren Denken zu ermöglichen.
SPIEGEL ONLINE: Wie geht es weiter?
Abell: Die entscheidende Frage ist, wie schnell wir gute Professoren bekommen. Ich glaube aber, dass wir trotzdem schnell auf den Markt gehen sollten. Denn wenn wir etwas Innovatives bieten, werden wir auch Erfolg haben, unabhängig von der Konjunktur. Für 2003 wird es daher erst einmal zwölf bis 15 kurze Programme geben.
Das Interview führte Bärbel Schwertfeger