IT-Experten Der Trend geht zum Multi-Spezialisten
SPIEGEL ONLINE: Die Zentralstelle für Arbeitsvermittlung (ZAV) meldete dieses Jahr 20 Prozent mehr offene Stellen für IT-Experten. Kommt ein zweiter Internet-Boom?
Bernhard Hohn: Die Zahl der Arbeitsuchenden im IT-Bereich ist in riesigen Schritten von 61.500 im Jahr 2004 auf 38.000 Menschen zurückgegangen. Ich halte den Trend für stabil. Anders als in den Jahren 1999 und 2000 verläuft das Wachstum in der Branche nicht explosionsartig, sondern steigt stetig an. Das ist ein Zeichen für Konstanz.
SPIEGEL ONLINE: Wieso beklagen etliche Unternehmen einen Mangel an Fachkräften, obwohl zugleich 38.000 IT-Experten eine Arbeit suchen?
Hohn: Gerade bei jüngeren Bewerbern reicht die spezifische Berufserfahrung oft nicht aus. Wenn eine Firma einen Informatiker für die Pflege eines Netzwerkes sucht, dann will sie einen Arbeitnehmer, der das schon kann. Es gibt derzeit wenig Bereitschaft bei den Unternehmen, Mitarbeiter zu qualifizieren und einzuarbeiten, dazu ist der IT-Sektor zu schnelllebig. Viele kleinere Firmen planen hier keine langfristigen Projekte im Voraus.
SPIEGEL ONLINE: Sollen sich Informatiker folglich schon während des Studiums auf einen bestimmten Bereich festlegen?
Hohn: Der Trend geht zu den Bindestrich-Fächern: Studiengänge der Medien-, Medizin-, Biologie- und Wirtschaftsinformatik verzeichnen regen Zulauf. Die Arbeitsvermittler vor Ort berichten, dass diese Absolventen gern eingestellt werden. Andererseits haben Quereinsteiger schlechte Chancen, weil sie oft zu stark spezialisiert sind und sich schwer umorientieren können. Die IT-Branche erschließt ständig neue Arbeitsfelder, Fachkräfte mit einem breiten Grundlagenwissen aus dem Studium können sich eher anpassen.
SPIEGEL ONLINE: Gesucht wird der spezialisierte Generalist - das klingt paradox.
Hohn: Im Grundstudium sollten sich die Studenten eine breite Basis aneignen, egal ob an der Universität oder Fachhochschule. Nach der Zwischenprüfung heißt es: Steckenpferde suchen. Nicht die Experten, die von einem Bereich alles wissen, haben am Arbeitsmarkt Erfolg, auch nicht die Generalisten, die von allem ein bisschen können. Gefragt sind Absolventen, die sich in drei, vier Disziplinen gut auskennen - so genannte Multi-Spezialisten. Wer im Hauptsstudium Schwerpunkte setzt, in diesen auch Praktika absolviert und seine Diplomarbeit schreibt, schafft sich gute Voraussetzungen für einen Einstieg in die IT-Branche.
SPIEGEL ONLINE: Sind dann all die Weiterbildungen und IT-Qualifizierungen für Quereinsteiger vergebens?
Hohn: Obwohl das eine oder andere Unternehmen vielleicht nicht den passenden Bewerber findet, würde ich noch nicht von einem IT-Kräfte-Mangel sprechen. Erst wenn die Not groß ist, haben Seiteneinsteiger wirklich gute Chancen, da die Firmen gezwungen werden, ihren Blick zu weiten. Die Zeiten könnten aber wieder kommen.
SPIEGEL ONLINE: Momentan wandert der Blick eher ins Ausland.
Hohn: Natürlich sind die Lohnkosten in Russland, Indien und Tschechien niedriger, aber in fünf bis zehn Jahren werden sie sich westeuropäischen Einkommen langsam annähern. Zudem genießen deutsche Informatiker einen guten Ruf. Auf einer Fachmesse habe ich von IT-Unternehmern folgendes gehört: Wenn wir unsere Aufträge nach Asien schicken, werden sie schnell und wie bestellt erledigt. Die deutschen Informatiker und Programmierer sind hingegen kritischer und weisen uns auf Fehler hin. Dadurch kann ein Unternehmen viel Geld für Fehlentwicklungen sparen.
SPIEGEL ONLINE: Wo sind die indischen IT-Spezialisten geblieben, die Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder mit seiner Green-Card-Offensive in Scharen anlocken wollte?
Hohn: Die hohen Jahresgehälter, die für eine Green Card notwendig waren, konnten nur große Unternehmen bezahlen. Im Zuwanderungsgesetz ist die finanzielle Hürde für Nicht-EU-Bürger mit 84.000 Euro ähnlich hoch. Den aktuellen Aufschwung in der IT-Branche haben wir aber kleinen und mittelständischen Betrieben zu verdanken, die keine Spitzensummen aufbringen können. Hier ist zudem Deutsch als Umgangssprache unbedingt erforderlich. Darin scheitern etliche ausländische Bewerber.
SPIEGEL ONLINE: Wie sieht ein chancenreicher Informatik-Absolvent in fünf bis zehn Jahren aus?
Hohn: Die Softskills der Zukunft sind heute schon gefragt. Englisch und Teamfähigkeit sind Pflicht. Weil viele Unternehmen kaufmännische Kontakte pflegen, sollten Informatiker zudem BWL-Grundlagen mitbringen, sich zum Beispiel eine Vorlesung anhören, ein Buch dazu lesen oder sich weiterbilden. Die spezifischen Fachkenntnisse können sich im IT-Sektor blitzschnell ändern. Heute sind Netzwerke und Datenbanken wichtige Arbeitsbereiche, morgen finden wir IT-Technik vielleicht an so profanen Orten wie unserer Küche. Studenten sollten sich umsehen und fragen: Welche Anwendungsgebiete erobert die Informationstechnologie als nächstes? Da liegen die Chancen.
Das Interview führte Antonia Götsch