Kampf gegen das Zeitungssterben Studenten machen einfach "Weiter"
Es war vergangenes Jahr, im Oktober, in deutschen Verlagen ging schon länger die Angst um: Kriegen wir genügend Anzeigen rein? Können wir das nächste Heft rausbringen? Hilfe, unsere Auflage bröckelt! Mitarbeiter wurden entlassen, ganze Zeitschriften eingestellt.
Da erschien die erste Ausgabe von "Weiter".
Jonathan Fasel, Constanze Kretzschmar, Jan Kröger, alle 26, und der ein Jahr ältere Dirk Stascheit hatten sich einfach nicht beirren lassen. Sie waren genervt von der "Leipziger Volkszeitung": Zu behäbig war ihnen die Berichterstattung, politisch eindimensional, oft miserabel geschrieben. Und weil immer nur jammern nicht hilft, fanden die vier Journalistikstudenten, mussten sie eben ein besseres Blatt machen. Inzwischen sind sechs Ausgaben von "Weiter" erschienen, mit einer Auflage von zuletzt etwa 500 Exemplaren.
Als provisorischer Redaktionsraum dient die Wohnküche von Jonathans Altbauwohnung am Leipziger Marktplatz. Zwischen leeren Rot- und Glühweinflaschen treffen sich dort nun wöchentlich die vier Chefredakteure am Küchentisch, trinken Tee und planen das nächste Heft: 16 Seiten im DIN-A4-Format, mit farbigen Bilder und oft originellem Layout.
Die Tücken der Basisdemokratie
Zwei gescheiterte Gründungsversuche haben die Jungunternehmer bereits hinter sich. Schon vor Jahren plante Constanze Kretzschmar mit neun anderen Studenten, ein Monatsmagazin herauszugeben. "Damals haben wir versucht, alles basisdemokratisch zu entscheiden", sagt Kretzschmar. "Allein die Frage, ob wir im Hoch- oder Querformat erscheinen wollen, wurde tagelang rauf- und runterdiskutiert." Irgendwann gab sie genervt auf. Jetzt, bei "Weiter", muss sie sich nur noch mit dem vergleichsweise kleinen Dreimännertrupp abstimmen.
Dirk Stascheit hatte sich 2003 an einer Tageszeitung versucht: "Der Leipziger" hieß sein Projekt. Doch nach wenigen Ausgaben war Schluss. Täglich Seite um Seite mit Inhalten zu füllen und nebenbei noch zu studieren sei dann doch zu sehr an die Substanz gegangen, erzählt er. Deshalb planten die "Weiter"-Gründer von Anfang an nur einen wöchentlichen Erscheinungsrhythmus. Doch selbst der ließ sich nicht durchhalten, seit Dezember kommt das Heft alle zwei Wochen heraus.
Der Anspruch ist hoch: Die Viererbande will Lokaljournalismus machen, recherchiert nach dem Vorbild von SPIEGEL, "Stern" oder "Zeit". Keine immergleichen Meldungen über Stadtratssitzungen, Spendenübergaben und Vereinsjubiläen, stattdessen die großen Themen aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, heruntergebrochen auf Leipzig. Der Karstadt-Quelle-Insolvenz zum Beispiel widmete die Redaktion eine Titelgeschichte, der Blickpunkt lag dabei auf der Zukunft des örtlichen Kaufhauses.
Auch kritische Stimmen über die eigene Stadt sollen Gehör finden, eine Ausnahme im Lokaljournalismus, der sich meist regionalpatriotisch gibt. So durfte "Sachsen-Paule", ein ehemaliger Porno-Darsteller, der durch die Nachmittagstalkshows tingelt, in "Weiter" seine Heimatstadt beschimpfen: "In Leipzig will ich gar nicht wohnen", sagte der Boulevardheld, "Leipzig ist der letzte Dreck, ist doch nichts los hier."
Bioladen und Schneiderei - die Zeitungsmacher testen neue Vertriebskanäle
Solche Beiträge erregen leicht den Unmut des Publikums; das müssen Journalisten aushalten. Um sich auch für juristisch heikle Situationen zu rüsten, haben Fasel, Kretzschmar, Kröger und Stascheit eine sogenannte Mini-GmbH gegründet. Nur kleines Geld haben sie in diese Gesellschaft gesteckt und haften nicht mit ihrem persönlichen Vermögen.
Neben dem Verkauf am Kiosk und in Buchhandlungen haben die "Weiter"-Macher eher unkonventionelle Vertriebswege aufgetan: Das Heft ist in Bioläden zu haben, in Bäckereien, einem Quelle-Shop und einer Änderungsschneiderei. Es kostet einen Euro. Die rund 50 Abonnenten belieferte Jan Kröger anfangs noch persönlich, mit dem Fahrrad; inzwischen können die vier Blattmacher sich das Porto leisten. Nur beim Direktverkauf ist noch persönlicher Einsatz gefragt, und so stehen die Journalisten, unterstützt von Kommilitonen, stundenlang in der Innenstadt oder vor der Uni-Mensa.
Abends tingeln sie oft von Kneipe zu Kneipe, mit einem Stapel Hefte unterm Arm. "Ich lese dann auch schon mal Artikel vor, um die Leute von der Qualität zu überzeugen", sagt Kretzschmar.
Der persönliche Verkauf ersetze die Leserbriefspalte, erzählen die Redakteure, Lob und Kritik gebe es gleich an Ort und Stelle. Sogar Personalgespräche lassen sich auf der Straße führen: "Es haben schon einige Leser gefragt, ob sie bei uns mitmachen können", berichtet Jan Kröger. "Das ist wichtig für uns, schließlich wollen wir nicht nur aus der Sicht von Studenten berichten." Inzwischen hat "Weiter" 25 Mitarbeiter, die - unentgeltlich - Themen suchen, recherchieren, schreiben, layouten und fotografieren.
Es geht nochweiter.de
Die Gründer glauben, dass ihr Projekt auch wirtschaftlich eine Zukunft hat - schließlich hätten doch schon andere einen erfolgreichen Start in schwierigen Zeiten hingelegt. Erfolg beginnt für sie schon da, wo Verkauf und Werbung gerade so eben die Druckkosten decken. Auf längere Sicht sollen dann Anzeigenvolumen und Auflage gesteigert werden, und irgendwann, so der Traum, werde man den Mitarbeitern auch ein Honorar zahlen können. "Wir wollen damit schon Geld verdienen", sagt Fasel.
Liegt die Zukunft solcher Projekte nicht im Internet? Auf ihren Online-Auftritt sind die Medienmacher stolz, auch wenn es mit der Wunsch-Web-Adresse "www.weit.er" bislang nicht klappte. Die Domain ".er" gehört dem afrikanischen Staat Eritrea, der die Anfrage der Leipziger bislang offenbar nicht ernst genug nahm, um sie zu beantworten. Der Besitzer von "weiter.de" wollte auch nicht verkaufen, und so finden sich Blog, Kolumne und Online-Bestellformular nun unter nochweiter.de .
Doch auf die gedruckte Ausgabe wollen die Studenten auf keinen Fall verzichten. "Papier macht glücklich", sagt Constanze Kretzschmar. "Da hat man etwas in der Hand, man kann es anfassen und darin blättern." Und eine pädagogische Botschaft an die eigenen Leser schwingt auch mit: "Die Leute sollten begreifen, dass guter Journalismus Geld kostet."